6 - Waldtraut Lewin: „Der Wind trägt die Worte“Ein Wiedersehen mit einer alten Bekannten. Oh, das „alte“ ist nicht despektierlich gemeint! Dabei ist die Autorin kürzlich tatsächlich 80 geworden. Happy Birthday! Ich kannte sie allerdings aus einer anderen Zeit, Epoche gar. „Damals“ war sie mir sehr, sehr wichtig. Ihre Bücher, sicher für „die reife Jugend“ gedacht, hatten mich elektrisiert. Damals, kurz vor dem Erwachen meiner SF-Leidenschaft, las ich vor allem historische Romane - Antike, Mittelalter - und stieß auf Waldtraut Lewin:
„Die stillen Römer“. Was für ein Buch, das mir eine ganz andere - schmutzige, prickelnde, erdige, poetische - Sicht auf das alte Rom, jenseits der Cäsaren und Legionen und Gladiatoren bot, ein Blick in die Subura, so wie ich es damals noch nicht wahrgenommen hatte. War auch heftig, da auf sexuellem Gebiet eindeutige Szenen aufwies, die mir als Heranwachsenden auch große Augen bescherten.
Als das mit der SF, Phantastik, dazu kam, kam ihr Roman
„Federico“, auch ein historischer Roman, aber mit einem Prolog, der mir schon recht seltsam vorkam, und vielleicht, zumindest habe ich das so in Erinnerung, an die Fantasy gemahnte, die ich damals noch gar nicht kennen konnte.
Waldtraut Lewin ist keine Fantasy-Autorin, aber es gab da die
„Märchen von den Hügeln“, mit deutlichen Anspielungen an den Herrn der Ringe, und das im Elbtal Dresdens angesiedelt, ein - kann man das schreiben? - Versuch in urban fantasy made in GDR? Ich las es so.
Nach der Wende habe ich sie, wie viele andere DDR-Autoren/innen aus den Augen verloren. Aber nie richtig, immer gewahrte ich, dass sie weiterschrieb, Krimis, historische Romane vor allem für Jugendliche. Aber ich las jetzt wirklich seit 1988 kein Buch mir von ihr.
Dieses Hörbuch, eingesprochen von der Autorin,
Ilja Richter und
Katja Riemann, bot sich für ein Wiedersehen an. Ein Thema, das die Autorin nach der Wende offensichtlich sehr stark umtrieb, wie ich nun feststellen kann, ist die Geschichte, die Leidensgeschichte der Juden. Na klar, sie ist Jüdin. Das spielte (so habe ich es zumindest wahrgenommen) in der DDR keine Rolle, vielleicht durfte es für sie keine Rolle spielen. Dieses Themenfeld ist aber, wenn man ihr Oeuvre nach 1990 betrachtet, sehr wichtig geworden.
Dieses (Hör-) Buch nun widmet sich in Erzählungen der langen, reichen, leidvollen, interessanten Geschichte des jüdischen Volkes. Es scheint ein 1. Band zu sein, denn er endet mit Beginn der Neuzeit.
Für mich war viel Neues dabei, Sachen, die ich noch nicht wusste, oder auch wieder vergessen hatte. So war mir nicht bewusst, dass die Umstände, wie die Menschen jüdischen Glaubens in Spanien der Zeit der Reconquista behandelt wurden, wie eine Blaupause für später, noch fürchterlichere Zustände zu dienen scheint.
Dazu dieser unvergleichliche Stil der Autorin, der mich sofort wieder gefangen genommen hat. Diese Mischung aus gefühliger Rhetorik und auf den Punkt formulierte Faktenvermittlung. Ich liebe das! Denke mal, ich muss da mal schauen, was meine „alte Lieblingsautorin“ so in den letzten gut 25 Jahren getrieben hat.
10 / 10 Punkte
7 - William Golding: „Herr der Fliegen“8 - William Golding: „Der Sonderbotschafter“Es war mal Zeit für große englische Literatur (wird fortgesetzt). Auch wenn „Herr der Fliegen“ Schulstoff, also so was von ausgelutscht ist, und ich das Buch schon mal gelesen habe, wollte ich mal schauen, ob es immer noch wirkt. Es hat ja mal gewirkt - Nobelpreis brachte es für den Autor. Den hat er zwar nicht nur für das Buch bekommen, sondern als wichtiger Autor, aber mal ehrlich: Welches Buch von Golding kennt man allgemeinhin noch von ihm?
Dabei hatte ich selber in DDR-Zeiten mehr von ihm gelesen. Aber auch schon lange her. In Erinnerung blieb, dass er - außer „Herr der Fliegen“ - ziemlich schwierig zu lesen ist.
Also erstmal „Herr der Fliegen“, gleich dazu die beiden bekanntesten Verfilmungen angesehen - und einen dicken Artikel für den NEUEN STERN verfasst. Daher hier also nichts weiter dazu.
Ergänzt ist der NEUER STERN-Artikel noch durch eine persönliche Darstellung meiner Leseerlebnisse eines weitern Buches von Golding. Ich wollte eben schon mal sehen, was er sonst noch so draufhat und inwieweit es mich noch immer anspricht.
Es sprach mich an. „Der Sonderbotschafter“ enthält 3 längere Erzählungen, die als „Romane“ bezeichnet werden, aber eher Novellen sind. Feine Texte, auf ihre Weise sehr unterschiedlich. Auch dazu mehr im NEUEN STERN.
9 / 10 Punkte
9 - Klaus Mann: „Alexander. Roman der Utopie“Nun ist es auch einmal wieder Zeit für Alexander. Diesem „Hobby“ fröne ich ja gern immer mal. Diesmal mit einem deutschen Klassiker. Der Roman war mir bis dato gänzlich unbekannt. Dabei kennt man doch Klaus Mann und ich kenne „meinen“ Alexander. Na, behaupte nicht, dass ich alle Alexander-Romane kenne, bei weitem nicht, schon gar nicht alle historischen, von denen es hunderte gibt. Also gab es ein „Hallo!“ als ich auf diesen stieß, zumal bei dem Untertitel. Ein gefundenes Fressen?
Ja und nein. Vielleicht hat es Gründe, weshalb dieser Roman des doch sehr Bekannten etwas ins Hintertreffen geriet. Es ist sein 2. Roman. Er fällt thematisch aus dem Rahmen, denn Klaus Mann ist nicht berühmt für seine historischen Romane geworden. Zudem ist der Roman auf seine Weise sehr schwärmerisch. Was mir natürlich sehr zusagte. Mit der histor. Wahrheit nimmt er es auch nicht so genau. Ist okay, finde ich. Er wollte ja was Anderes damit erreichen. Aber hat er das?
Worin bestand die „Utopie“ des Alexander? Im Grunde kommt da nur andeutungsweise im Roman rüber. Klar, er wollte ein Weltreich erschaffen, aber das war damals Realpolitik, Mann unterstellt, dass er dies auf friedlichem Wege schaffen wollte, in erster Linie. Die Völker, die unter der Knute des persischen Großkönigs litten, empfingen Alexanders Heer als Befreier. Also, manchmal†¦ Am Ende, das ist die große Lebenslüge Alexanders, kehrt sich dies in sein Gegenteil um. Das stellt der Autor sehr eindrucksvoll dar - also eher das Scheitern der Utopie.
Neben diesem gesellschaftlichen Auftrag: Vereinigung aller Völker unter einer friedlichen Diktatur (?), war es auch der Drang nach Erkenntnis, den Alex. vorantrieb. Eroberung = Erkenntnis - er wollte die ganze Welt „erkennen“. War unstillbar in diesem Drang; auch das kommt gut rüber.
Was aber - das unterstelle ich Klaus Mann jetzt einfach mal - ihm wirklich am Herzen lag, also dem Autor, war eine utopische Welt der hehren homoerotischen Freundschaft. Im Grunde hat Klaus Mann den Männerbund der Mazedonier, die da gemeinsam aufwuchsen und sich aufmachten, die Welt aus den Angeln zu heben, zu verändern, zu erobern, zu einer Gemeinschaft sexuell gleichgesinnter Männer erklärt. Sie fühlten sich nicht nur freundschaftlich, sondern auch körperlich und in aufrichtiger Liebe zueinander hingezogen. Frauen spielten eine untergeordnete Rolle. Sie waren u.U. auch nur attraktiv, wenn sie eher wie junge Männer wirkten, z.B. die Amazonen, die sich die Brüste entfernen ließen, um im Kampf besser zurecht zu kommen (der Sage nach). Ich denke mal hier hat Klaus Mann seiner persönlichen Vorliebe nachgehend geschichtliche Fakten frei interpretiert, um es mal so auszudrücken.
8 / 10 Punkte
10 - Leigh Brackett: „Der Weg nach Sinharat“Dass ich das Buch jetzt gelesen habe, habe ich
Kai Meyer zu verdanken. Das war sicher nicht seine Absicht, aber er hat es provoziert. Zumindest mittelbar, denn das erste Mal bin ich
hier darauf gestoßen worden.
Sein - Kai Meyers - Buch ist seine Hommage an die Autoren dieser farbigen, Science Fantasy, die so kurz vor dem golden age der SF geschrieben wurde. Als ich das so in dem o.g. Thread las, fing ich sofort Feuer - aber nicht so sehr für das neue Buch von Kai sondern für deren, von ihm benannten Vorbilder.
Und? Na ja, vielleicht bin ich doch nicht so in der Laune, vielleicht muss man diese Stories doch in jungen Jahren lesen (ging bei mir ja nicht, aber Captain Future habe ich immer gesehen, mit großem Genuss!)
Aber jetzt war mir das einfach zu irrelevant. Der Zauber alter Marsstädte kam für meine Begriffe auch nicht rüber und die seichte Abenteuerstory lockte mich nicht hinterm Ofen vor. Okay, ich hab es versucht†¦
5 / 10 Punkte
11 - Felix Gasbarra: „Schule der Planeten“Erstes Buch für das
„Swift-Projekt" des NEUEN STERNS im Herbst. Ausführlich dann dort. Mir hat dieser kurze Roman des Orwell-Übersetzers (nicht nur, auch Verne z.B.), den ich sozusagen gerade erste kennen gelernt hatte, recht gut gefallen. Ist halt so ein Reiseroman, der von Welt zu Welt eilt. Es geht weniger um eine abenteuerliche Handlung, auch nicht um Figurenentwicklung, sondern um satirische Brechung von dem Autor wichtigen Problemen seiner Zeit und Welt.
8 / 10 Punkte
12 - Frigyes Karinthy: „Die neuen Reisen des Lemuel Gulliver“Zweiter Roman für das
„Swift-Projekt" des NEUEN STERNS im Herbst. Ausführlich.. ach ja, wissen wir schon.
Es handelt sich um 2 Kurzromane, von denen mir der 2. am besten gefallen hat (spielt auf dem Meeresgrund, in einer Frauen-Gesellschaft). Allerdings geht der bewusst altertümlich gehaltene Stil irgendwann auf die Nerven, fand ich.
6 / 10 Punkte
13 - China Miéville: „Diese Volkszähler“Endlich mal wieder ein Miéville, mit dem ich was anfangen konnte! Der Autor macht es einem (mir) in letzter Zeit ziemlich schwer. Seine Phantasie scheint mir zu ausbrechend, zu welt-fremd. Ich hatte schon so ein bisschen die Befürchtung, er hat nichts mehr zu erzählen und erfindet auf „Deibel komm raus“, was ihm aber leider in meinen Augen nicht so dolle gelingt.
Nun also dieses kleine Büchlein, dass in einem Verlag / in einer Reihe erschienen ist, die eigentlich nicht für Fantasy bekannt ist (liebeskind).
Doch auch hier kam ich schwer rein. Was lese ich da? Spielt das in den Alpen; irgendwann jetzt, oder doch eher früher? Alles aus Sicht eines Kindes - okay, das erklärt, das Dinge und Personen irgendwie unklar (aus der Sicht eines Erwachsenen) „gesehen“ werden. Aber nee, der meint das wirklich so. Die Welt hat irgendetwas Schlimmes hinter sich, ein, zwei Kriege, irgendwas mit Technik und ihrem Verschwinden. Daher spielt es wohl eher in der Zukunft, nach der Apokalypse. Oder doch auf einem anderen Planeten - na, nicht zwingend, wäre jetzt aber auch nicht unmöglich - aber egal.
Der Junge will den Mord an seiner Mutter durch seinen Vater beobachtet haben. Stimmt das?
Die Herkunft des Vaters ist unklar, aber nicht unwichtig. Ein „Volkszähler“ ist hinter ihm her. Der zählt nicht nur, sondern ermittelt und richtet auch über Menschen. Zu welchem Ergebnis / Urteil er hier kommt? Hmm†¦
Zu Beginn des Buches ist die Geschichte nur schwer greifbar; die Figuren, auch Nebenfiguren, bleiben unscharf. Dennoch baut der Autor hier eine fast unerträgliche Spannung auf. Aufgrund der Kürze der Novelle kann man das gute Stück in einem Ritt durch-„suchten“, wie das heute so heißt. Es lohnt sich - oder auch nicht?
Einordnen? Würde sagen, eine Mischung aus Iain Banks, „Die Wespenfabrik“ und David Brins „Postman“.
9 / 10 Punkte