Okay hier eine etwas ausführlichere Kritik des Romans nach einem Drittel. Sie ist etwas länglich geraten, ich bin auch nicht auf die anderen Kommentare eingegangen, was ich eigentlich vorhatte, aber ich wollte die Dinge, die ich mir beim Lesen notiert habe, zunächst zusammenhängend darstellen. Ich weiß noch nicht, ob ich noch Lust habe weitere Kommentare abzugeben, da dies im Grunde schon die Essenz dessen ist, was mir an
Leviathan erwacht aufgefallen ist. Interessanterweise ist es zu einer Globalkritik zum Buch geworden, gewissermassen eine Minderheitenmeinung, etwas das ich anfangs auch nicht erwartet hatte. Nach einem Drittel des Romans sollte man eigentlich wissen, ob man ein Buch mag oder nicht, und tatsächlich will der rechte Funke bei mir nicht überspringen und ich finde die Euphorie (vor allem der englischsprachigen Kritik) einigermaßen verwunderlich, angesichts der Schwächen, die der Roman für mich aufweist. Doch zunächst ein wenig Leseeindrücke.
Die
Donnager ist inzwischen ebenso Geschichte, wie kurz zuvor die
Canterbury und Holden und der Rest seiner Mannschaft nach ihrer dramatischen Flucht in letzter Sekunde wieder unterwegs (inzwischen bereits bei
Tycho-Station angekommen). Der Untergang des kampfstarken marsianischen Schlachtschiffs ist schon einigermaßen überraschend und zeigt, dass der geheimnisvolle Feind über beträchtliches technisches Vernichtungspotential verfügt, was umso verwunderlicher ist, als er ein neuer und bislang völlig unbekannter Spieler um Macht und Einfluss im Sonnensystem ist und anscheinend keiner der drei bekannten großen Machtkonstellationen (AAP, Mars, Erde) anzugehören scheint. Die Schlacht selbst hätte ich mir etwas bildhafter und farbiger gewünscht, so bekommen wir den Untergang des Kriegsschiffs nur indirekt und ohne Bilder mit. Lediglich die eigentliche Flucht Holdens und seiner Crew vom Schiff lässt ein wenig Dramatik aufkommen und andeutungsweise erahnen welche Kämpfe in dem Schiff stattgefunden haben müssen. Ein wenig bin ich überrascht, dass so ein Raumkampf mit so wenigen Schiffsmanövern stattfindet. Ich hätte jetzt erwartet, dass solche Schiffskämpfe von heftigen Kurswechseln und Schiffsbewegungen begleitet wären, die wegen der ruckartigen Beschleunigungs- und Verzögerungsmanövern auch physisch spürbar gewesen wären. Aber okay.
Während der Handlungszweig Holden sich also dramatisch und spannend gestaltet, tröpfelt die Handlung auf bzw. innnerhalb Ceres dahin. Ich gebe zu, dass die Charakterbeschreibung des ausgebrannten Cops Miller recht gut gelungen ist, wobei ich schon eine Weile gebraucht habe um zu erkennen, dass es psychisch um ihn eigentlich nicht gut bestellt ist und ihn seine Scheidung offenbar doch mehr mitgenommen hat, als aus der beschriebenen Innensicht hervorgeht. Deshalb hat es mich ebenfalls überrascht, dass er bei seinen Kollegen und seiner Vorgesetzten bereits seit langem als Versager gilt. Ebenso überraschend fand ich seine plötzliche Entlassung, die irgendwie ohne rechten Grund erfolgt. Dass Cops Trinker sind, ist doch jetzt nichts wirklich Außergewöhnliches und seine Diensttauglichkeit schien mir deshalb auch nicht davon beeinflusst, er hat ja nicht während des Dienstes gesoffen.
Insgesamt finde ich allerdings, dass die Figur Millers als Allerwelts-Cop, genau wie die Schilderung der Ceres-Kolonie, eher ein Abbild unserer Gegenwart ist, als dass sie das hypothetische Zusammenleben einer menschlichen Gemeinschaft, auf einem erdfernen Planetoiden irgendwo im Asteroidengürtel, in einer weit entfernten Zukunft widerspiegelt. Ebenso der unspektakuläre Holden und seine Crew, die mit ihrem Raumschiff Eis, ein wichtiges Versorgungsgut für die Kolonien, zwischen den Asteroiden herumkarren, genau so wie heutzutage Containerschiffe auf den Weltmeeren herumschippern.
Und hier komme ich schon zu den Einschränkungen, die mir den Lesegenuss doch ein wenig trüben. Persönliche Dinge, die man dem Roman direkt vielleicht nicht ankreiden kann, die mich aber stören und erklären warum ich bislang enttäuscht bin.
Das Setting wirkt wie eine in den Weltraum aufgeblasene Version der globalisierten Welt des 18. Jhds. Einer Zeit des aufkommenden Kolonialismus, als sich Amerika von Europa emanzipierte und England und Frankreich um die Hegemonie in den Kolonien Nordamerikas konkurrierten. Politisch, aber auch in ihren Sozialstrukturen erscheint diese Zukunftswelt wenig utopisch, dafür verdächtig vertraut, man könnte auch sagen nicht sehr innovativ ausgedacht. Die Protagonisten, die man bislang kennen gelernt hat, findet man ohne Probleme auch in unserer Gegenwart wieder. Das vereinfacht es sich mit diesen Menschen zu identifizieren, macht andererseits in meinen Augen diese Zukunft relativ unglaubwürdig. Zudem halte ich die Besiedlung des Sonnensystems in der hier beschrieben Form für einen in der SF üblichen Stereotyp und eigentlich unrealistisch. Ich glaube, dass nicht der Mensch den Weltraum, das Sonnensystem, erobern oder kolonisieren wird. Der einzig lebenswerte Ort des Sonnensystems für Menschen ist die Erde und wird es auch auf absehbare Zeit sein. Es sei denn der Mensch würde biotechnisch für den Weltraum (niedrige Schwerkraft usw.) speziell angepasst. Ich meine, was will ein Mensch zum Beispiel auf dem Mond? Da gibt es nichts was irgendwie schön ist. Wer will schon die ganze Zeit in Bunkern bei künstlichem Licht und künstlicher Luft leben? Um diese Umgebung einigermaßen lebenswert zu gestalten müsste man einen Aufwand an Energie und Ressourcen betreiben, der wohl extrem unrentabel sein dürfte, falls nicht ein Wunder geschieht und wir effiziente Energiequellen entdecken. Hinzukommt, dass ein Mensch, der ständig auf dem Mond und anderen Himmelskörpern mit niedriger Schwerkraft lebt, oder dort geboren wird, nie mehr auf die Erde zurückkehren kann.
Dann die Technik. Es gefällt mir überhaupt nicht, dass die Raumschiffe ständig mit einer hohen Dauerbeschleunigung unterwegs sind. Das ist energetisch und treibstofftechnisch weitgehend unrealistisch, selbst mit diesem hypothetischen Wunderfusionsantrieb, wenn man nicht annehmen will, dass die Raketen zu fast 100% aus Antrieb und Treibstoff bestehen.
Dann die Station auf dem Ceres. Ich habe einen Verdacht, wie sich die Autoren das gedacht haben, ich mag es aber nicht glauben. Dieser ausgetunnelte "Felsbrocken", der in Wahrheit ein recht großer Kleinplanet mit einem Durchmesser von fast 1000 Kilometer ist, mit entsprechender Masse und Drehimpuls, wird mit Sichheit nicht mit jener Geschwindigkeit rotieren, die angeblich notwendig ist, um auf der Innenseite(!) eine künstliche Schwerkraft von 0,3g zu erzeugen. Diesen Planetoiden signifikant zu beschleunigen dürfte für die hier zur Verfügung stehende Zukunftstechnik ein ziemliches Problem darstellen. Ganz zu schweigen, dass bei einer so hohen Rotationsgeschwindigkeit dieser Planetoid wahrscheinlich zerbrechen dürfte. (Ein ähnliches Problem wie bei Niven’s Ringwelt, die mit einer Geschwindigkeit von 1000 km/s rotiert und eigentlich zerreißen müsste, bestünde sie nicht aus einem Phantasie-Material mit einer Energiedichte eines Neutronensterns.)
Dann das Thema Computertechnik. Von KI und ähnlichem hier keine Spur, genauso wenig von höherentwickelten Automaten, Robotern, die ja eigentlich in lebensfeindlichen Umgebungen die optimalen Arbeitsgeräte sein sollten. Ebenso automatisiertes intelligentes Kriegsgerät. Das gibt es in Ansätzen bereits heute. Umso mehr sollte man erwarten, dass es das in der Zukunft gibt. Von alledem ist nichts zu sehen, bzw. zu lesen.
Ich könnte hier noch weitere Dinge anführen, aber ich will es nicht nur bei Kritik belassen, der Roman ist schließlich eine relativ gut lesbare, bislang leider nicht allzu spannende Space-Opera mit Krimielementen, die für meinen Geschmack ebenfalls nicht so interessant ist, wie man es aus den überwiegend sehr positiven Kommentaren hier vermuten könnte. Ich finde jedenfalls keinen rechten Zugang, zumal der Roman auch sprachlich nicht das hält, was ich unter einem begeisternden Roman verstehe. Ich finde zum Beispiel, dass den Dialogen jede innere Spannung abgeht, etwas das ich bei vielen anderen Romanen spüre. Ich könnte das jetzt nicht an einem konkreten Beispiel darstellen. Es ist auch eine Gefühlssache. Abschließend kann ich nur sagen, dass dies ein Roman ist, der meine Erwartungen nicht erfüllt, was natürlich mein Problem ist, denn die anderen hier wurden anscheinend gut unterhalten. Ich wundere mich nur. Mein zusätzliches Problem ist auch, dass mir inzwischen jede kleine (auch scheinbare) Unstimmigkeit sofort ins Auge fällt, ich sie geradezu erwarte, auch dort wo ich gewöhnlich darüber hinweglese.
P.S. Ich habe zufällig eine kurze englischsprachige
Review gefunden (mit einer kurzen Antwort eines der Autoren), die meine Eindrücke auf ziemlich gleiche Weise wiedergeben.
LG Trurl
Bearbeitet von Trurl, 13 September 2012 - 15:32.