Neulich war mal wieder SF-Stammtisch in Halle/Saale. Da werden ja auch immer wieder olle Kamellen gewälzt, also in den Erinnerungen gekramt. Wie das so ist bei "alten Männern".
Irgendwie kamen wir auf BLADERUNNER zu sprechen. Da hatte ich doch mal was gelesen, und fĂĽr SOLAR-X was geschrieben. Da ich mich selbst kaum noch richtig erinnern konnte, habe ich den alten Artikel ausgekramt. Hier ist er.
Es ist eine Art vergleichender Rezension - zwischen dem Buch von Dick, dem Film von Ridley Scott und den Buchfortsetzungen von Jeter.
"In diesem Universum ist nichts harmlos." (S. 228) K.W. Jeter: Blade Runner. Die Rückkehr (Deckards Weg / Die Nacht der Replikanten) Heyne 06/6468Wäre ich zu dem Zeitpunkt, da ich sie gesehen hatte, nicht schon längst SF-Fan, dann wären es zwei Filme, die mich dazu gemacht hätten: "Blade Runner" und "Alien". Beide bekanntlich vom selben Regisseur; und der Film, der mich vollends für das Thema Vampire eingenommen hat, wurde von dessen Bruder gedreht ("Begierde"). Was für eine Familie! Wahrscheinlich wurde "Alien" weit mehr kommerziell und inhaltlich ausgebeutet als "Blade Runner" - Fortsetzungsfilme, Bücher, Romane, Comics, Merchandising, Spielzeug, doch "Blade Runner" wurde wahrscheinlich unter seinen Fans in weit größerem Umfang diskutiert.
Eine Internetrecherche gab mir schnell darüber Auskunft und machte meinen Plan, die Herausgabe der nun zusammen in einem Band gesammelten Jeter†™schen Fortsetzungen des Stoffes zum Anlass zu nehmen, mal ordentlich in die Mottenkiste zu greifen und das Blade-Runner-Universum auszuleuchten, zunichte. Es scheinen alle Fragen beantwortet! Und für die Neueinsteiger und Leute, die immer die gleichen Fragen stellen, gibt es eine FAQ-Seite in mehreren Sprachen, die genau die Fragen sammelt und beantwortet, auf die wahrscheinlich jeder stößt, der Film und Buch von Dick genossen hat. Also was soll†™s?
Nun, so ganz will ich es nicht lassen: Als Dick seine Geschichte schrieb -
"Träumen Androiden von elektrischen Schafen" (1968) - gab es interessanterweise die Bezeichnung
"Blade Runner" noch gar nicht. In der deutschen Buchausgabe, die mir vorlag, wird diese Bezeichnung aber kräftig verwendet; Jeter macht es natürlich auch. Der Titel stammt von einem gewissen
Alan Edward Nourse (1929 - 1992), der damit einen Roman über Schmuggler illegaler medizinischer Gerätschaften betitelte (1974). Kein geringerer als
William S. Burroughs (1914 - 1997) machte daraus 1979 ein Filmskript
"Bladerunner (A Movie)". Scott kaufte den Titel, verwandte ihn aber dann ganz anders. Komische Genesis eines so populären Namens. Jeter greift diese Problematik übrigens auf: Sein kleiner Exkurs in die Entstehungsgeschichte der Replikanten und ihrer Produzenten leitet den Namen aus dem Deutschen ab, da wurden sie nämlich das erste Mal gebaut und hießen "Bleibruhiger" (S. 177), und waren demnach selber Replikanten, die andere, außer Kontrolle geratene "Artgenossen" zur Strecke bringen, also ruhig stellen - in den Ruhestand versetzten - sollten. Und weil das so ähnlich klang, heißen sie jetzt halt Bladerunner ... Vielleicht macht sich Jeter damit etwas lustig über die real passierte seltsame Namensfindung?
Im NETZ herrscht übereinstimmend die Meinung vor, dass Dicks Buch und Scotts Film eigentlich nicht viel gemein haben. Dies kann ich nach Lektüre und Ansehen beider Quellen nicht unbedingt bestätigen. Viele Details finden sich im Buch und Film, so z.B. das Testverfahren, mit dem Blade Runner Replikanten/Androiden überführen. Die Dick†™schen Figuren findet man im Film wieder, wenn auch unter anderen Namen und teilweise mit verändertem Charakter. Keine Ahnung, warum die Replikanten im Film teilweise anders heißen als die Androiden in Dicks Buch. So heißt
Leon Kowalski (im Film der erste Replikant, dem der Zuschauer begegnet, den Holden nach seiner Mutter befragt und als Antwort eine Kugel in die Brust abbekommt) in Dicks Buch
Polokov, entspricht aber dem literarischen Original. Vielleicht war Scott und seinen Drehbuchautoren Polokov zu russisch?
Pris, die zwar ihren Namen im Film behält, ist aber äußerlich eine ganz andere (siehe weiter unten).
Die Schlangentänzerin des Films war eine Opernsängerin. Der
Roy Batty bei Dick bleibt Roy Batty (in der Ausgabe von Dicks Buch, die mir vorliegt, wird er aber nur mit einem "t" geschrieben, und hat eine Frau, wie Deckard übrigens auch - wieder ein Mosaiksteinchen in der immer währenden Frage nach den Unterschieden zwischen Menschen und Nicht-Menschen?).
Und warum hat Scott die Handlung eigentlich von San Francisco nach L.A. verlegt? Die Film-Welt ist dunkel und verregnet; doch die des Dick†™schen Buches eigentlich viel trüber, auch wenn da mal die Sonne durchkommt. Nach einem Weltkrieg fällt täglich nuklearer Niederschlag, so gut wie alle Fauna ist ausgerottet - als erstes starben die Eulen - da bekommt die Eulenszene im Film eine ganz andere Wirkung und tatsächlich wirkt es dann auch wesentlich stärker, wenn Deckard im Buch auf die Frage, ob die echt ist, zunächst ein "Ja!" als Antwort erhält. Im Film wird das regelrecht abgeschwächt, da scheinen künstliche Tiere ohnehin wichtiger als natürliche zu sein. Bei Dick sind sie nur ein preiswerter Ersatz, und der Besitzt eines Tieres, eines echten!, ein absolutes Statussymbol, für das sich der volle Einsatz lohnt.
Der Buchtitel bei Dick bekommt da auch eine doppelte Bedeutung, denn von etwas träumen bedeutet ja auch, es zu begehren. Und da die Menschen übermächtig vom Wunsch nach echten Tieren beherrscht werden, könnte jemand, der unbedingt ein "elektrisches" Schaf haben will, ja kein Mensch sein. Nun ja, wer es gelesen hat: Deckard hat zunächst ein Kunstschaf auf dem Dachboden zu stehen ...
Komischerweise erhält irgendwie das viel ältere Buch (1969) eine Rückwirkung vom Film (1982): Da reflektiert Isidore, der Tierklinikmitarbeiter, über seine erste Begegnung mit Deckard, dem Blade Runner: "In dem unsicheren Licht erschien ihm der Prämienjäger als ein mittelgroßer, nicht sonderlich eindrucksvoller Mann. Rundes, glatt rasiertes Gesicht wie ein Büroangestellter, pflichtbewusst und freundlich; nach außen hin wirkte er ganz anders, als
Isidore ihn sich vorgestellt hatte." (Dick: "Blade Runner", Heyne SF 3969, S. 171) Ich möchte hinzufügen: anders, als man ihn sich nach dem Film vorgestellt hatte. Tatsächlich ist Deckard bei Dick ein der Gesellschaft aufgeschlossener, konformer und loyaler Mann, der zunächst den uns komisch anmutenden Idolen seiner Welt nacheifert wie jeder normale Mensch seiner Welt auch. Er wird langsam zum Zweifler, aber nicht mal vollends. Im Film ist er von vornherein ein desillusionierter, abgebrühter Aussteiger, dem immer mehr Zweifel an seinem Tun kommen und den der Zuschauer bereits nach seiner Karriere als Blade Runner kennen lernt. Beide Deckards haben übrigens eine Affäre mit
Rachael, der Replikantin.
Isidore aus Dicks Buch erscheint als
Sebastian im Film; beide wohnen jeweils im riesigen, verlassen Haus mit den selbstgebastelten Freunden und nehmen die Andys/Replikanten auf.
Isidore ist er aber ein geistig Minderbemittelter (oder anders Begabter, denn als Jugendlicher konnte er die Zeit zurĂĽck laufen lassen und damit Tote wieder beleben, was ihm aber ausgetrieben wurde),
Sebastian ist im Film der hochbegabte Biotechnologe mit Methusalemsyndrom. Bei Jeter tauchen dann beide Figuren wieder auf! Auch Sebastian, den man vielleicht tot wähnt, aber er hat überlebt und zog mit seinen "Freunden" und seiner geliebten
Pris, die auch nicht vollends tot war, in die zerstörten Vorstädte von L.A. Er hat als Biotechnologe Pris wieder so weit zusammengeflickt, dass sie existieren kann, doch hat sie Schäden zurückbehalten, sowohl seelische, als auch physische: Sie gleicht einem Zombie - Im Verlauf der Handlung wird noch einmal auf sie geschossen - in den Kopf, aber danach kraucht sie immer noch weiter und es bleibt unklar, ob sie nun tot ist oder nicht. Isidore hat bei Jeter die Tierklinik (für künstliche und echte Tiere; die nun natürlich auch in L.A. ist ...) von seinem inzwischen toten Chef übernommen und führt die erstaunlich gut, dazu auch eine Art Hilfsdienst für entflohene Replikanten. Ein interessanter personeller Spagat, den Jeter da betreibt; aber warum nicht? So richtig ernst muss man die Sache ja nicht nehmen. Jeters Isidore bringt übrigens eine interessante Härte ins Spiel, die allerdings leider nicht weiter verfolgt wird: Er vergleicht die Blade Runner mit den deutschen Nazis (S. 74 und 78).
Die
Pris bei Dick war ĂĽbrigens aus derselben Baureihe wie
Rachael, glich ihr also aufs Haar, was natürlich zu Komplikationen und Konflikten führte, die Jeter auf seine Weise verstärkt mit anderen Personen wieder aufgreift: Rachael ist nämlich nach dem Vorbild der Nichte des Tyrell-Chefs konstruiert worden, und diese,
Sarah, holt Deckard aus seinem Exil, um ihm einen neuen Auftrag zu erteilen. Des weiteren erscheint das Original, nach dem der Replikant Roy Batty (im Film Rutger Hauer in seiner wohl besten Rolle?) entstand, der einem Verschwörungswahn (Regierungsverschwörung gegen die Blade Runner Garde) verfallen ist, ebenfalls etwas mit S
arah Tyrell zu tun hat und den seit einem Jahr schwer verletzt in der Klinik liegenden Holden quasi reanimiert, ihm künstliche Körperteile und Innereien in einer Replikanten-Reperaturwerkstatt verpassen lässt, um ihn vor seinen Karren spannen zu können. Ja, da gibt es mannigfaltige Verwirrungen, die in Gänze hier aufzuzählen müßig wäre. Davon lebt der Roman Jeters. Zusätzlich von dem Spiel, das er mit dem Leser betreibt, indem er immer wieder Bilder des Filmes heraufbeschwört, um sie dann in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Wir erfahren z.B., warum die Tyrell-Pyramide so gebaut ist, wie sie gebaut ist. Dies hat eine destruktive Funktion, die auch zum Zuge kommt.
Ein paar dieser Film-Bilder werden aber auch regelrecht verunglimpft (aus meiner Sicht), so das von der Taube, die Roy bei seinem Tod in den Himmel steigen lässt; Jeter beschreibt die Taube als schmutzige Ratte der Lüfte ...
Jeter scheint sich wirklich sehr genau mit dem Stoff auszukennen, denn einige der Fragen, die in oben erwähnter Fragen-Antwort-Sammlung aufgegriffen werden, auch Fragen hinsichtlich bestimmter Unstimmigkeiten im Film, greift er auf und löst sie im Handlungsgewebe. So z.B. die Frage, warum Holden Leon nicht als Replikanten bereits erkannte, bevor er ihn testet, denn Bryant hatte Deckard ja Bilder von ihm, Roy und den anderen gezeigt. Holden etwa nicht? - Bei Jeter wird dieser Baustein in die Verschwörung eingebaut, der sich die Blade Runner gegenüber sehen ...
Sogar der Aufhänger in Jeters Roman ist ja ein solcher Fehler im Film: Da erwähnte Bryant, der ständig besoffene Chef der Blade Runner, dass sechs Replikanten unerlaubt L.A. erreicht hätten. Das war einfach ein Fehler im Skript; ursprünglich waren es wohl tatsächlich sechs, doch eine Person wurde gänzlich aus dem Film entfernt, aber in der Szene, wo Bryant das erwähnt, hatte man nicht aufgepasst. Und genau dieser sechste wird nun gesucht. Ob er auch gefunden wird? Und wer kann das sein? Jeter hält den Leser hin: Immer wieder sollen Zweifel darüber entstehen, wer denn nun Mensch oder Replikant ist. Dieses Thema wird so sehr strapaziert, dass es eigentlich egal wird. Im Grunde könnte jede® eine® sein. Pris entpuppt sich z.B. als Mensch, die zu einer religiösen Gruppe gehört, die so tun als wären sie Replikanten, sich diesen auch anschließen, um dann genau wie diese um Anerkennung in der menschlichen Gesellschaft und eine längeres Leben zu kämpfen. Als Deckard sie erschoss (im Film), hatte er ja den Test nicht durchgeführt, wusste also nicht wirklich, was sie nun ist. Daher wird ihm jetzt ein Mord an einem Menschen angehängt und er ist deshalb ein Outlaw.
Außerhalb des Gesetztes stehen quasi alle Protagonisten und ihre wahren Ziele haben am Ende kaum etwas mit dieser Frage zu tun, weder bei Sarah, noch bei Holden, Batty oder Deckard. Es wird viel verfolgt, gegrübelt, einander vorgeworfen, Leute getötet (u.a. Bryant, der Vorgesetzte Deckards) und geflucht. Jeter gelingt es leider nicht, die überzeugende, dunkle Stimmung aus Scotts Film zu beschwören, auch wenn er sich noch so viel Mühe gibt. Seine Dialoge sollen an den Film im Besonderen und den film noire im Allgemeinen erinnern, sind aber oft redundant und manchmal auch einfach trivial. In seinen Beschreibungen schießt Jeter sogar mitunter über das Ziel hinaus und wird unfreiwillig komisch, wenn er z.B. eine Uniform als "Kanonenstiefel-Ensemble" (S. 122), oder" "Ihre Toleranzen (als) ... nur so groß wie die Vorhaut einer Mücke" (S. 173) umschreibt. Solche seltsamen Bilder verwendet er zu gerne.
Am Ende - tatsächlich auf der letzten Seite des ersten Romans - gibt es noch eine ordentliche Überraschung, die die große Liebe Deckards betrifft, seine Rachael. Was wie ein happy end aussieht, ist dann doch ein guter Grund für eine Fortsetzung. Roman 2 beginnt ..., nein, nicht da wo der erste Roman endet, sondern direkt mit einer Szene aus dem Film: Als die Schlangentänzerin zur Strecke gebracht wird, Leon sich Deckard schnappt und Rachael ihren neuen Freund rettet. Was das soll? Ist tatsächlich ein Filmdreh - Deckard ist als "technischer Berater" zu der Billigproduktion bestellt und ist entsetzt, zum einen, weil alte Erinnerungen hochkommen, aber zum anderen weil echte Replikanten dabei tatsächlich zu Tode kommen - wegen des Realismus ... Und nicht nur Replikanten, sondern auch ein nun alter Bekannter aus dem ersten Roman: Holden, der Deckard einen sprechenden Koffer aushändigen soll - der Koffer enthält: Batty ...
Da wären also wieder die üblichen Verdächtigen. Und nicht nur das, irgendwie kann man nun ein Erzählschema erkennen: Eingangs wird eine alte (verbrauchte) Hauptperson umgebracht, ein Rätsel steht im Raum, von einer neuerlichen Verschwörung ist gar wieder die Rede. Es gibt eine konspirative Verbindung zwischen Replikanten und den Rep Symps, den Menschen, die mit den Replikanten sympathisieren, wie uns bereits bekannt bei Pris. Noch ein Schema F: Totgeglaubte stehen wieder auf, hier im übertragenen Sinne: Die Tyrell-Coorp. ist nicht vernichtet, sondern existiert nach wie vor, allerdings ihr Schatten (-Imperium). Der Roman widmet sich entsprechend hauptsächlich der Familiengeschichte der Tyrells, wir erfahren die "ganze Wahrheit" über Rachael-Sarah. Dabei bemüht Jeter einen interessanten SF-Trick: Das alte Raumschiff, das letzte, das eine private Raumreise unternommen hatte und scheiterte, liegt auf einer Art Friedhof für Raketentriebwerke, die dadurch vor unbefugten Gebrauch gesichert sind, indem sie in einer Art Zeitfeld gefangen sind; die Zeit scheint still zu stehen. Dort findet sich dann auch (die wahre)
Rachael - als Kind, aufgezogen vom Bordcomputer der
Salander 3.
Da die Handlung in eine Story zu einem Filmdreh eingebettet ist, kommt eine gewisse Distanz zum Erzählten auf; das kann ja mitunter helfen, hier stört es eher. Dieser Roman konnte mich weniger fesseln als der erste, da Jeter immer wieder dieselben Muster einsetzt. Um diese Romane genießen zu können, muss man den Film gesehen haben und sich der Personen und Handlung noch recht gut bewusst sein, ansonsten ist die Lektüre sinnlos. Jeter versteht es recht gut, die Filmhandlung in seinen Plot einzuweben und dabei direkt die Erinnerungen des Zuschauers zu reaktivieren, allerdings kann das auch etwas langweilen auf Dauer. Jeters Sprache ist eigentlich dann am schönsten, wenn er sich direkt auf den Film bezieht, seine eignen Parts fallen dagegen irgendwie ins Triviale ab.
Blade Runner - The Edge Of Human / Blade Runner - Replicant Night © 1995, 1996 by Philip K. Dick Trust, 2004 d. dt. Ausgabe by W. Heyne Verlag, München, Deutsche Übersetzung von Michael Nagula, 688 Seiten, ISBN 3-453-87918-X