Herbstlesungen 2017 | Lektüreliste
Fortsetzung Leseliste 2017, September / Oktober
42 - Jerk Götterwind: „Etwas ist geblieben. Gedichte 2014 & 2015“
Dieses Buch und - als Bonus - das Heft LaborBefund #11, J.G.: „Das Leben ist schön“ (Ausgewählte Texte 2013) - habe ich im Tausch gegen den NEUEN STERN vom Autor erbeten und bekommen. Habe mich sehr gefreut. Sicherlich würde ich sonst kaum auf den Trichter kommen, mir Gedichtbände anzuschaffen. Aber hier war das mal eine gute Entscheidung!
Jerk traf meinen Nerv. Er kann seinen inneren Zustand, der nicht immer im hellsten Licht erstrahlt, mit knappen und treffenden Worten darstellen und mir begreifbar machen.
Die Gedichte reimen sich nicht, die Zeilen entsprechen nicht mal ganzen Sätzen - woran ich mich erst gewöhnen musste; ging aber schnell. Doch so lass ich mir Gedichte gefallen - komprimierte Gedanken und Gefühlsbeschreibungen (nein, nicht schwülstig, gar nicht).
8 / 10 Punkte
43 - H.G. Wells „Ugh-Lomi“
Als amazon-Broschüren-Nachdruck habe ich mir für wenig Geld das Heft geholt. Also, wenn es einem um „richtige“ Bücher geht, ist das vielleicht nicht die beste Wahl. Komischer Weise steht in dem Heft kein Übersetzername, kein Verleger oder Herausgeber. Es gibt einfach dieses Heft. Und ich wollte mal wieder diese Urmenschengeschichte lesen, ohne viel Geld auszugeben. Kann man machen†¦
Damals, als ich sie leihweise mal las, in einer alten Ausgabe aus der Bibliothek, war ich fasziniert. Leider fand ich diese Faszination nicht wieder. Die Story ist recht geradlinig, ohne den Esprit, an den ich mich erinnert hatte. Halt so eine Geschichte, in der ein Urzeitmensch alle möglichen Sache „erfindet“. Historisch überhaupt nicht belegt, aber eben auch nicht ins Mythische überhöht, oder besonders spannend aufbereitet. Versöhnt hat mich das Ende, als Wells so etwas wie herrlichen schwarzen Humor durchblitzen ließ (und der Held verspeist wurde).
So ähnlich erging es mir mit einem Wiedersehen mit RAHAN, den ich als Kind aus einem damals mir zugänglichen französischen Album kannte. Ich konnte den Comic gar nicht lesen (Französisch), aber die Zeichnungen und das Setting faszinierten mich. Und heute: Na ja†¦
5 / 10 Punkte
44 - H. G. Wells: „Die Zeitmaschine“
Zeit für einen Klassiker! Nach der Freigabe der Wells-Texte überrollt uns auch im Deutschen eine wahre Wells-Welle. Ich befürchte, man muss jetzt ziemlich genau hinschauen, zu welchem Wells-Buch man greift, um nicht „daneben“ zu greifen.
Bei der Neuübersetzung des Fischer-Verlages kann man jedenfalls nichts falsch machen! Die Novelle wird hier ergänzt durch weitere Zeit-Geschichten von Wells und ein Nachwort von Elmar Schenkel - sicher einem der deutschen Wells-Experten schlechthin. Allen das bewog mich, das Buch sozusagen nochmal zu kaufen, aber auch die anderen „Begleit-Texte“, die insgesamt mehr als ein Drittel des Buchvolumens füllen; Vorworte zu alten Ausgabe, auch von Wells selbst; andere Geschichten von Wells, die ich bisher nicht so kannte (sicher sind die schon mal woanders erschienen?).
Mit hat die Zusammenstellung ganz toll gefallen, hat mir neue Aspekte der sicher sonst wohlbekannten Story gezeigt und ein schönes Wieder-„Sehen“ mit einem alten Bekannten ermöglicht (das letzte Mal habe ich „Die Zeitmaschine“ so Ende der 80er gelesen).
Ein utopischer Aspekt wird bei der Betrachtung der Novelle ja immer betont, die Extrapolation der gesellschaftlichen und Klassenverhältnisse vom Ende des 19. Jh, in eine ferne Zukunft, in der die Arbeiter zu Morlocks und das dekadente Bürgertum zu den Eloi mutiert sind.
Ein anderer Aspekt, den Wells zur Sprache bringt, ist mir entweder entfallen, oder war mir gar nicht so helle, nämlich der der Verweichlichung der Menschen, die sich nicht im „Lebenskampf“ beweisen müssen. Das liegt ja auf der Hand, wenn man sich die Eloi betrachtet: Sie bekommen alles geliefert von den Morlocks, daher haben sie keinerlei Antrieb mehr, sich zu bilden, zu arbeiten, sich zu behaupten. Diese Tendenz zur „Lebensuntüchtigkeit“ sieht der namenlose Protagonist / Wells bereits in seiner Zeit und sieht es in der fernen Zukunft bestätigt. Das fand ich bemerkenswert, vor allem vor dem Hintergrund des Interesses von Wells an sozialistischen Utopien und dem Drang nach Glückseligkeit als Ziel der Menschheitsgeschichte.
10 / 10 Punkte
45 - Aleksandar Žiljak: „Welche Farbe hat der Wind“
Großartige Neuentdeckung für mich. Ob das „mein“ Buch 2017 wird? Auf jeden Fall haben mir die darin versammelten SF-Stories großartig gefallen (bis auf die Cyberpunk-Story). Sexualität, Liebespiel an sich, spielt eine große Rolle in fast allen Stories, aber immer so, dass es nicht zum Selbstzweck wird.
Es sind tolle Ideen-SF-Stories, schöne Liebesgeschichten, tolle Formulierungen†¦ Ausführlich habe ich meine Eindrücke für den NEUEN STERN zusammengefasst.
12 / 10 Punkte
46 - H.P. Lovecraft: „Die Katzen von Ulthar“
Noch ein Klassiker, nochmal gelesen. Nach der sommerlichen Urlaubsreise an die US-Ost-Küste, mit einem wundervollen Tag in Providence, musste ich jetzt mal wieder zu HPL greifen. Die Lektüre der Erzählungen aus dem Suhrkamp-Verlag soll mir auch das Warten auf den fulminanten Super-Band zu und von und über HPL aus dem Hause Fischer Tor: H. P. Lovecraft. Das Werk hg. von Leslie Klinger, verkürzen, den ich mir zu Weihnachten wünschen werde.
Hier also die Randolph-Carter-Fantasy-Stories vom Meister. Wieder großartig. Ich tauche gern in seine dunkel-glitzernden Traumwelten ab. Randolph Carter ist auch ganz aus dem Holz geschnitzt, der meinem Lieblingsmotto (siehe hier im Blog rechts oben) zu folgen scheint. Gerade die letzte Story, die das Testament Carters enthält, sein Vermächtnis sozusagen, das sicher auch mit HPL selbst zu tun hat, hat mir fast Tränen in den Augen beschert.
Einen Punktabzug gibt es dann doch, wegen der teilweise längeratmigen Aufzählungen etc†¦
9 / 10 Punkte
47 - Joris K. Huysmans: „Tief unten"
Das Buch habe ich jetzt zum 2 ½ Male gelesen*. In der fin de siècle-Ausgabe von SOLAR-X (Nr. 120), die Ende des 20. Jh.s erschien, habe ich auch eine längere Besprechung des Romans gebracht. Tatsächlich hat sich mein heutiger Eindruck im Grunde kaum geändert. Zur besseren Lesbarkeit habe ich mir eine für mich besser lesbare Ausgabe gegönnt, denn die klein- und engbedruckte Reclam-Ausgabe ist eher kein Genuss (mehr). Damit ich mich nicht wiederholen muss, füge ich die alte Besprechung mal kurzerhand als Kommentar zu meinem Blog-Eintrag hinzu.
Beim Wiederlesen fiel mir tatsächlich wieder Vieles ein; erkannte ich sozusagen wieder. Dramaturgisch bietet der Roman übrigens weit weniger als man vermuten könnte. Denn der Protagonist will ja nur sein Buch über Gilles de Rais schreiben, dessen Weg vom Jünger der reinen, christlichen Heilsbringerin, der Jungfrau von Orleans, zum bösartigen, kindermordenden Satanisten nachzeichnen. Sein Kumpel weist ihn darauf hin, dass es Satanisten immer noch gäbe (Ende 19. Jh.) und die sogar im Priestergewand zu finden sind. Daher versucht unser Buch-Autor Kontakt zu solchen Leuten zu finden. Dazu geht er auch eine Liebesbeziehung zu einer verheirateten Dame ein, die entsprechende Beziehungen hat.
Das Buch zerfällt in mindestens zwei Teile, einmal diese unredliche Liebensbeziehung (der gehörnte Ehemann der besagten Dame kann die gewünschten Kontakte herstellen), die nur ein gegenseitiges Ausnutzen ist, und die Darstellung der Recherche-Ergebnisse zu dem ollen Blaubart.
Das Buch erschien mir jetzt viel klarer, aber auch weit weniger spektakulär, geheimnisvoll, als ich es wohl damals gesehen habe. Aber gut, diese alten Eindrücke noch mal aufgefrischt zu haben.
8 / 10 Punkte
*) Was die halbe Lesung anbelangt: siehe meine alte Besprechung†¦