Mark Brandis: Aktenzeichen: Illegal
Regina Schleheck Hörbücher - SF Interplanar Mark Brandis
Mark Brandis im Dickicht der Bürokratie und Weltpolitik: Die Angst vor Übervölkerung der Erde, die Ein-Kind-Politik Chinas und ein Netzwerk aus karriereorientierten Seilschaften bedrohen das Glück seines Freundes Grischa - denn seine Geliebte trägt das Aktenzeichen: "Illegal".
Das Hörspiel "Aktenzeichen: Illegal" nach dem gleichnamigen SF-Roman von Nikolai von Michalewsky denkt die radikale Ein-Kind-Politik Chinas konsequent weiter: Kinder, die trotz Verbot dennoch zur Welt kamen, gelten in den Vereinigten Orientalischen Republiken (VOR) als "Illegale Existenzen". Für die Physikerin Ko Ai eine tödliche Bedrohung: Sie ist Teil eines Zwillingspaares, und die Eltern hatten sich entschlossen, beide Kinder aufzuziehen, hatten beide Mädchen abwechselnd zur Schule geschickt und auf die gleiche Weise auch studieren lassen. Als sich Ko Ai in Brandis' Freund Grischa Romen verliebt und beide heiraten wollen, fliegt der Schwindel auf. Die VOR versuchen, die "Illegal-Geborene" in ihre Gewalt zu bringen, um den Gesetzesbruch nachträgich zu sühnen. Und auch der westliche Staatenbund, die EAAU (Europäisch-Amerikanisch-Afrikanische Union), will Ko Ai nicht helfen - man legt Wert auf gute Beziehungen zu den Republiken und will lieber eine einzelne Chinesin ausliefern als den unsicheren Frieden zu gefährden.
"Aktenzeichen: Illegal" als Lehrstück über Beziehungen und Seilschaften
Das Hörspiel ist ein Lehrstück über die Funktionsweise von Vetternwirtschaft, Beziehungen, Seilschaften und kleinen Dienstwegen. Brandis hatte sich für nicht zuständig erklärt, als der einflussreiche Leiter der internationalen Bevölkerungskonferenz von ihm unter der Hand ein neu entwickeltes Raumschiff erhalten wollte. Sein Ausscheeren aus dem Eine-Hand-wäscht-die andere-Spiel rächt sich schnell, als der Abgewiesene sich im Gegenzug weigert, seine Kontakte für Ko Ai spielen zu lassen. Da wird auf der Gegenseite im System der gegenseitigen Gefälligkeiten wesentlich besser "geschmiert". Eine Ärztin, die von einem Karrieresprung träumt, lässt sich von der Aussicht auf Protektion zu einer Gehirnstimulation bei einer vorgeblichen Routineuntersuchung des Commanders bewegen, um den Aufenthaltsort des flüchtigen Liebespaars aus ihm herauszukitzeln. Die politischen Beziehungen und das enge Geflecht an Interessen lassen eine Auslieferung Ko Ais fast unausweichlich erscheinen.
Kontakte helfen Mark Brandis und Ko Ai
Aber auch Brandis und sein Mentor und Vorgesetzter John Harris sind trotz ihres Beharrens auf Recht, Gesetz, Korrektheit und Unbestechlichkeit durchaus bereit, ihre Beziehungen spielen zu lassen. So verspricht Harris gleich zu Beginn, ein paar seiner Kontakte um Hilfe zu bitten. Und Brandis erhält unerwartet Schützenhilfe von Walter Hildebrand, dem bereits aus "Die Vollstrecker" bekannten Journalisten, der mit einem sehr interessanten Gerät aufwarten kann. Dass am Ende die EAAU-Präsidentin selbst die Hatz auf Ko Ai mit dem Hinweis, sie kenne da einen sehr vernünftigen Mann auf der anderen Seite, beenden kann, ist zwar eine gute Nachricht für das Liebespaar, aber zugleich auch die Bestätigung des Systems der gegenseitigen Gefälligkeiten unter der Hand.
Mark Brandis erinnert sich im Verhör
Interessant ist die Erzählweise der Geschichte: Weite Teile der Handlung werden in Rückblenden preisgegeben, während Mark Brandis unter Einfluss der Gehirnstimulation verhört wird und sich an Szenen aus der noch jungen Beziehung Grischa Romens und Ko Ais und ihrer Flucht erinnert. DAs ist nicht ganz risikolos und hätte bei weniger erfahrenen Autoren auch auch unbeholfen oder maniriert wirken können, ist aber hier vollkommen gelungen. Ein geschickter Schachzug, durch den selbst harmloses Geplänkel zwischen den Liebenden und ihren Freunden eine ungeheure Dramatik gewinnt.
"Aktenzeichen: Illegal" ist zweifellos ein echtes Highlight der Serie, spannend erzählt, atmosphärisch dicht und ungeheuer dramatisch. Akustisch ist die Folge erneut ein Leckerbissen und reiht sich nahtlos in die hochklassige Serie ein.
Fazit: Ein großartiges Hörerlebnis, spannend, atmosphärisch, dramatisch und hintergründig. Empfehlenswert.
Keines, gnatziges journalistisches Postscriptum:
Wenn man denn etwas zum Meckern finden wollte ... Als Journalistin muss ich gestehen, dass mich gewisse Ahnungslosigkeiten seitens des Stellavisions-Mitarbeiters Walter Hildebrand und der VEGA-Pressesprecherin Ruth O'Hara - nicht nur in dieser Folge - befremden.
Wieso weiß Hildebrand nicht schon seit dem Abenteuer "Die Vollstrecker", wer Ruth ist? Sie wäre seine wichtigste Ansprechpartnerin in allen Raumfahrtfragen gewesen. Außerdem dürfte sie als Sprecherin des ehemaligen Präsidenten der EAAU unionsweit bekannt sein.
Generell frage ich mich in den Romanen und in den Hörspielen oft: Wo steckt Ruth, wenn es bei der VEGA brennt und die Journalisten John Harris die Hölle heiß machen? Wieso ist sie über so brenzlige Dinge die "Operation Sonnenfracht" nicht informiert? Eine Presesprecherin gehört in die erste Schlachtreihe. Es ist absolut tödlich für eine Organisation, die eigenen Öffentlichkeitsmitarbeiter dumm zu halten.
Und welches Berufsethos spricht eigentlich aus Hildebrand, wenn er im Gespräch mit einer PR-Frau dienstbeflissen und mit einigem Handwerkerstolz verkündet: "Ich sorge dafür, dass die Botschaft ankommt ..."? Es ist nicht Aufgabe eines Journalisten, die Botschaften einer Public-Relations-Beauftragten zu verbreiten.
Wenn man sich nicht so viel Sorgen machen müsste um den Journalismus der Gegenwart, man könnte glatt um den Journalismus des 22. Jahrhunderts bangen. Aber vermutlich ist dies gerade ein Zeichen für die große Weltkenntnis der Hörspielmacher und für ihre Fähigkeit, aus bestehenden Übeln auf die Zukunft zu schließen.
Mark Brandis: Aktenzeichen: Illegal. Hörspiel nach dem gleichnamigen SF-Bestseller von Nikolai v. Michalewsky. Interplanar Produktion von Jochim-C. Redeker, Balthasar v. Weymarn und Regina Schleheck. Folgenreich, 2011. 63 Minuten.
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Pilgrim 2000 I
Pilgrim 2000 II
Operation Sonnenfracht
© Petra Hartmann