
Gunnar Kunz: Lagunenrauner

Venedig, die geheimnisvolle Lagunenstadt, ist der Schauplatz des Jugendbuchs "Lagunenrauner" von Gunnar Kunz. Der Roman spielt im Jahr 1500, es handelt sich jedoch nicht um einen historischen, sondern um einen fantastischen Roman, und die Stadt hat einige magische Eigenheiten, die ihr zusätzlich zur Melancholie der versinkenden Häuser und der langen Geschichte des Ortes einen ganz eigenen Zauber verleihen.
Der Held des Romans ist der junge Marco, Sohn eines verschollenen Glasbläsers, ein Jugendlicher, der nun bei seinem Onkel und dessen Familie lebt, aber in jeder freien Minute die Stadt durchstreift, um Informationen über seinen Vater einzuholen. Doch nicht nur der Verlust des Vaters prägte den Jungen. Er musste auf einem seiner Streifzüge auch miterleben, wie seine kleine Schwester von geheimnisvollen Meermenschen unter Wasser gezogen und getötet wurde. Ein traumatisches Erlebnis, und auch das geheimnisvolle Flüstern der Lagune, das offenbar nur er hören kann, belastet Marco sehr.
Marco kennt beinahe jeden Winkel der Lagunenstadt. Beinahe, denn Venedig ist eine Stadt in Bewegung. "Die Lagune hat ihre eigenen Gesetze", sagen die Bewohner immer wieder fatalistisch. Ständig sind die Venezianer dabei, oben neue Stockwerke auf ihre Häuser zu setzen, während die Untergeschosse tief in den Grund der Lagune einsinken, immer tiefer, und regelmäßig aufgegeben werden müssen. Aber manchmal werden auch Häuser angetrieben oder von den Wassern weggespült, manchmal tauchen sogar Plätze aus dem Nichts auf oder verschwinden. Und manchmal, absolut unvorhersehbar, wird sogar das sagenhafte Haus "Il Millione" angespült, in dem Marco Polo gewohnt hat. Unvorhersehbar? Marcos Freund, der absonderliche Wissenschaftler Leornado da Vinci, könnte vielleicht den Ort und Zeitpunkt berechnen, an dem das Haus wieder auftaucht. Dazu müsste Marco ihm allerdings ein Buch aus dem Palast des Dogen beschaffen. Und das ist lebensgefährlich. Aber was tut in Junge nicht alles, der glaubt, dass sein Vater im Keller von "Il Millione" gefangen gehalten wird?
Venedig ist bedroht, dem Untergang geweiht. Ein geheimnisvoller schwarzer Nebel flutet heran, verschlingt immer mehr von der Stadt, fließt statt des Wassers in den Kanälen und infiziert jeden, der ihn berührt, mit einer tödlichen Krankheit. Hinzu kommen Wassermangel, eine Verschwörung und die Selbstsucht und Brutalität der Herrschenden, die sich nehmen, was sie als ihnen zustehend betrachten. Vor allem das anmaßende Verhalten des Dogensohns, der Marcos Freundin Chiara für sich haben will, wird für den Glasbläsersohn zur ständigen Provokation und damit auch zur Gefahr.
Der Roman ist spannend geschrieben und punktet durch detailreiche Schilderungen etwa aus den unterschiedlichen Handwerken, denen die Venezianer nachgehen. Sehr anschaulich ist die Arbeit der Maskenmacherin Chiara geschildert. Auch die fantastische Schilderung einer Stadt in Bewegung, der sinkenden und immer wieder aufgestockten Häuser oder des immer mal wieder auftauchenden Marco-Polo-Hauses bezaubern durch Fantasie und Realismus gleichzeitig.
Punkten kann dieses Buch aber auch durch seine Gestaltung. Der Hardcover-Band ist für den Liebhaber schöner Bücher mit seinen Stadtsilhouetten und Gondeln als grafischen Elementen zu Kapitel- und Buchbeginn ein optischer Genuss. Zur Ausstattung gehören auch ein Stadtplan des historisch-fiktiven Venedig und ein Lesebändchen. Insgesamt ein ausgesprochen werthaltiges Buch.
Fazit: Melancholisch-magischer Roman über den Zauber Venedigs und eine Stadt in Bewegung. Sehr schön gestaltet und lesenswert.
Gunnar Kunz: Lagunenrauner. Hildesheim: Verlag Monika Fuchs, 2021. 416 S., Euro 22.
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