Lucian Caligo: Der Fluch des Ritters Anastasius
Ein verfluchter Ritter, seine Erlösung und vier Abenteuer auf dem Weg dorthin - darum geht es in "Der Fluch des Ritters Anastasius". Das von Lucian Caligo herausgegebene Büchlein enthält fünf Geschichten, deren verbindendes Element das Schicksal des Titelhelden ist.
Lucian Caligo erzählt im Vorwort etwas zum Hintergrund und zur Entstehung dieser Geschichtensammlung. Er hatte vor einiger Zeit eine Kurzgeschichte über den Ritter geschrieben. Die Story, die im vorliegenden Buch als erste abgedruckt ist, schildert, wie Anastasius im Zweikampf seinen Gegner besiegt. jedoch von diesem verflucht wird. In der Folge verliert er alles: Besitz, Freunde, Familie, Geliebte und sein gutes Aussehen. Als Untoter in einem immer weiter zerfallenden Leib zieht er ruhelos durch die Lande, von Menschen gehasst und verfolgt, immer auf dem Rückzug und im Verborgenen lebend. Schließlich bietet sich ihm die Möglichkeit zur Erlösung ...
Der Autor hatte in der Geschichte angemerkt, Anastasius hätte in dieser Zeit zahlreiche Abenteuer erlebt. Zwischenzeitlich spielte Caligo mit dem Gedanken, die Handlung zu einem Roman auszubauen. Doch die Idee wurde dann doch nicht verwirklicht. Stattdessen bat er einige befreundete Autorinnen, Erzählungen über den Ritter Anastasius während seines (Un-)Lebens unter dem Fluch zu schreiben. Vier Autorinnen steuerten nun ihre Sicht auf Anastasius bei. Herausgekommen ist ein schmales, aber gehaltvolles Büchlein mit fünf sehr unterschiedlichen, doch gleichwohl ausnahmslos lesenswerten Geschichten.
Familienbande
Die erste Autorin, Tanja Kummer, nennt ihre Geschichte: "Familienbande über den Tod hinaus". Sie lässt das Abenteuer in einer Zeit spielen, die erst kurz nach Anastasius' Verwandlung und dem Blutbad auf der Hochzeitsfeier liegt. Anastasius hat noch sehr viele Angewohnheiten aus der Zeit, als er noch lebte. So trinkt er gewohnheitsmäßig frisches Wasser, das ihm jedoch durch die zerfetzte Kehle wieder entrinnt. Auch erinnert sich ein Gespenst, dem er begegnet, sehr genau an die Nachricht von dem Gemetzel, das Anastasius angerichtet hat. Die Geisterfrau bittet den Ritter um einen Gefallen: Ihr Sohn habe Haus und Hof verspielt. Auf seine Mutter höre er nicht. Ob nicht der untote und grauslich aussehende Ritter ihm einmal ins Gewissen reden könne.? Anastasius lässt sich breitschlagen und ist bereit zu helfen. Allerdings stellt er fest, dass nicht alles ganz genau so ist, wie die Geisterfrau ihm erzählt hat ... Gut getroffen und mit viel Sinn für Details erzählt.
Ergreifende Begegnung im eisigen Wald
Mit "Der Ritter und die Dame" hat Heike Schrapper dem Büchlein die ergreifendste Geschichte der Sammlung geschenkt. Die äußere Handlung ist recht schlicht: Der Ritter trifft eine einsame, hilfsbedürftige junge Frau, die allein und bei eisigen Temperaturen im dunklen Wald unterwegs ist. Natürlich bietet er ihr, als echter Ritter, seine Hilfe an. Er stellt nur die Bedingung, dass sie ihn nicht ansieht. Ein Fluch liege auf ihm, sagt er. Eine Frau, die ihn ansieht, müsse zu Stein werden. So geleitet er die junge Frau bis kurz vor die Stadt, die ihre neu Heimat werden soll. Eine banale Handlung? Nein, die Gespräche zwischen beiden sind äußerst intensiv. Und dann, am Ende ... Gänsehaut. Lest selbst.
Ein Bronzeschild für die Hexe
Eva von Kalm steuerte die Geschichte "Zwischen Feuer und Vollmond" bei, ein klassisches Fantasy-Abenteuer. Ritter Anastasius verdingt sich bei einer Hexe, die ihm etwas wahrhaft Kostbares gewähren kann: einmal wieder als gutaussehender, unentstellter Edelmann an einem Ball teilnehmen zu dürfen. Der Preis: Anastasius muss ihr die Zutaten für ein magisches Artefakt verschaffen, einen Schild, der von Vollmondlicht und Feuerschein bestrahlt werden muss, um seine Besitzerin zur mächtigsten Hexe der Welt zu machen. Die Autorin schuf ein magisches Abenteuer mit märchenhaften Zutaten und einem gelungenen Showdown. Etwas schade allerdings, dass ein gewisses Schmuckstück, das der Ritter bei sich führt, dann doch keine Funktion erhält. Nur als eine Erinnerung in den grünen Augen seiner Tanzpartnerin blinkt der Edelstein in Anastasius' Gedanken auf. Aber vermutlich war das genau so gewollt von der Autorin.
Ein Geschenk von einem Blinden
Die letzte Geschichte trägt den Titel: "Die Gnade des blinden Sehers". Sie ist der kürzeste Beitrag zu diesem Buch. Sabine M. Schmid führt Anastasius in den Süden, es könnte sich um Griechenland handeln. Der Ritter tötet beim Besuch eines verfallenen Tempels beinahe zwei Schlangen, besinnt sich dann aber anders. Als er kurz darauf einen blinden Bettler trifft, schenkt er diesem einen Beutel Gold, den er kurz zuvor gefunden hat. Der Dank des Bettlers ist überraschend und für Anastasius sehr angenehme Erfahrung. Eine interessante Wendung und sehr schön zu lesen.
Die fünf Geschichten ergeben zusammen eine sehr interessante und gut komponierte Sammlung. Jeder der Beiträge spielt das Thema Fluch und Ausgestoßen-Sein auf seine eigene Weise dar und zeigt dabei immer wieder, dass Anastasius im Grunde seines Herzen doch "Mensch" geblieben ist. Ein spannendes Experiment und ein Kosmos, aus dem man auch gern mehr Geschichten gelesen hätte.
Fazit: Gelungenes Gemeinschaftsprojekt um einen sympathischen, wenn auch zerbröselnden Helden. Schön komponiert und mit sehr viel Herzblut geschrieben. Lesenswert.
Lucian Caligo präsentiert: Der Fluch des Ritters Anastasius. Mit Geschichten von Tanja Kummer, Eva von Kalm, Heike Schrapper und Sabine M. Schmid. Selbstverlag, o.J. 99 S., Euro 8.
© Petra Hartmann