Thomas Ostwald: Aufbruch ins Ungewisse
Old Shatterhand auf Helgoland? Die Kombination wirkt zunächst etwas eigenwillig. Doch Autor Thomas Ostwald, der den Reiseschriftsteller Karl May in dem Roman "Aufbruch ins Ungewisse" nicht zu seinen roten Freunden, sondern auf den roten Felsen führt, schildert bei Licht besehen gar kein so unmögliches Zusammentreffen ...
Old Shatterhand ist an Bord eines Auswandererschiffs und auf dem Weg nach Amerika. Aber der marode Kahn, der schon im Hafen keinen vertrauenerweckenden Eindruck macht, erleidet bereits kurz nach der Abfahrt aus Hamburg Schiffbruch. Die Ãœberlebenden retten sich nach Helgoland.
"Aufbruch ins Ungewisse" ist der Auftaktroman der Serie "Karl Mays Old Shatterhand" (später erweitert zu "Im wilden Westen Nordamerikas") im Blitz-Verlag, die neue Abenteuer der Helden Karl Mays erzählt. Das Buch ist zugleich der erste Teil einer Trilogie, die den Titel "Die schwarzen Teufel vom Missouri" trägt.
Karl May trifft Friedrich Gerstäcker
Ostwald als ausgewiesener Fachmann für den gleichfalls für seine Nordamerika-Schilderungen bekannten Schriftsteller Friedrich Gerstäcker hat es sich nicht nehmen lassen, seinen Autor in diesem Buch als Mays Reisegefährten auftreten zu lassen. Ein ganz eigenartiges Zusammentreffen, bei dem wir Old Shatterhand nicht in der Rolle des großartigen Westmanns und Anführers erleben, sondern als Junior-Partner des ungleich berühmteren und erfolgreicheren Kollegen.
May reist unter dem Namen Karl Winter, Gerstäcker ist als Fred Miller unterwegs, und doch erkennt der Ich Erzähler den Vorläufer, von dem er viel gelernt und übernommen hat, anhand eines Buchtitels. Beide Schriftsteller gehen ausgesprochen kollegial und freundschaftlich miteinander um, wobei Gerstäcker dem jungen Mitreisenden mehrfach aus der Patsche hilft. Auch das sozial-finanzielle Gefälle wird deutlich, da Old Shatterhand an Bord die billige Passage im Zwischendeck buchen muss, während der bereits erfolgreiche und vermögende Gerstäcker wesentlich komfortabler reist.
Beide fachsimpeln über den Westen und über ihre Schusswaffen und sind damit beschäftigt, das mitreisende und hinreißende Fräulein von Rauten zu beschützen, das in Old Shatterhand noch ein ganz anderes Feuer entfacht hat als jenes, das später für den Schiffbruch vor Helgoland verantwortlich ist.
Eigener Stil und eigene Schwerpunkte
Ostwald als Autor unterscheidet sich in Stil und Schwerpunktsetzung deutlich von Karl May. Wir haben es hier nicht mit einem Kopisten zu tun, der einfach nur einen weiteren May verfassen möchte. Der Verfasser bringt seine eigene Welt mit ein, in der sich sein Old Shatterhand nun zurechtfinden muss. Dinge, die May niemals als Teil der Old-Shatterhand-Figur zugelassen hätte, kommen hier zur Sprache, etwa seine kriminelle Karriere und die Gefängniszeit, die den Helden auf dieser Fahrt einholt. Auch die seitenlangen Personenbeschreibungen und Landschaftsschilderungen Mays hat Ostwald sich nicht zum Vorbild genommen. Das ist zwar für den Helgoland-Fan schmerzlich, trägt aber zur flüssigen Lektüre durchaus bei.
Schiffbruch, Diebstahl und Gewalt
Das Buch ist spannend geschrieben, lässt sich aufgrund seines geringen Umfangs (160 Seiten) zügig durchlesen und erzählt die Geschichte einer Überfahrt mit diversen Abenteuern wie Schiffbruch, Diebstahl und mehrere Akte körperlicher Gewalt.
Etwas unbefriedigend ist, dass es sich eher nicht um einen abgeschlossenen Roman handelt, wie der Untertitel "Teil 1 der Trilogie Die schwarzen Teufel von Missouri" suggeriert, vielmehr scheint es eine durchgehende Erzählung zu sein, die man aus druck- oder verkaufstechnischen Gründen in drei Lieferungen zerlegt hat. So steht man am Ende des Buchs ziemlich ratlos da und muss sich entscheiden, ob man nun Fräulein von Rauten und ihre Beschützer begleiten und dem nicht eben vertrauenswürdig herüberkommenden Typen mit Revolver ins Innere des Landes folgen möchte oder nicht. Die meisten Fragen, die in diesem ersten Teil aufgeworfen werden, bleiben nämlich offen.
Fazit: Spannender und sachkundig geschriebener Roman über eine Reise Old Shatterhands, verfasst nicht von einem Kopisten, sondern von einem Autor, der "was Eigenes" zu bieten hat. Lesenswert, aber auch mit vielen offenen Fragen.
Thomas Ostwald: Aufbruch ins Ungewisse. Teil 1 der Trilogie "Die schwarzen Teufel von Missouri". Blitz-Verlag, 2017. 159 S., Euro 12,95.
Weitere Karl-May-Fortsetzungen
Axel Halbach: Blutige Schluchten
Klaus-Peter Walter: Sherlock Holmes und Old Shatterhand
Thomas Ostwald: Auf der Spur
© Petra Hartmann