Manchmal verstehe ich unseren Staat nicht ...
Ich bin gerade dabei, mich etwas tiefer in das Bundes-Wahlstatistik-Gesetz einzuarbeiten, gegen das ich ja, wie vermutlich alle mitgekriegt haben, eine Petition gestartet habe. Ich möchte verhindern, dass künftig weiterhin Statistik-Markierungen auf Stimmzetteln angebracht werden, aus denen sich Alter und Geschlecht des Wählers ablesen lassen.
Nun gibt es ein Dorf in meiner Heimatgemeinde, in dem es bei der Europawahl eine solche Datenerhebung gegeben hat: Derneburg hat nur 456 Wahlberechtigte (laut Wahlstatistik-Gesetz müssen es mindestens 400 sein, der Ort ist also gerade so eben statistik-tauglich). Von den 456 Personen sind 221 wählen gegangen (Zahlen
Als Journalistin und Politikwissenschaftlerin, die eine umfangreichere Publikation über das Wahlstatistikgesetz plant, habe ich mich nun an die Gemeinde Holle gewandt. Meine Anfrage:
- Wie viele Wahlberechtigte im Alter unter 25 Jahren gab es bei der Europawahl?
- Wie viele von ihnen waren Männer und wieviele Frauen?
- Wie viele Erstwähler waren darunter?
Mein Erlebnis war geradezu kafkaesk.
Hier zunächst die Antwort der Gemeinde:
"Sehr geehrte Frau Hartmann!
Leider kann ich Ihnen die gewünschten Auskünfte nicht zur Verfügung stellen.
Gemäß Â§ 8 des Wahlstatistikgesetz (WStatG) dürfen "die Ergebnisse der Statistiken nur für die Bundes- und Landesebene [...] veröffentlicht werden. Ergebnisse für einzelne Wahlbezirke und einzelne Briefwahlbezirke dürfen nicht bekannt gegeben werden. Die Veröffentlichung von Ergebnissen [...] ist dem Statistischen Bundesamt und den statistischen Ämtern der Länder vorbehalten."
Meine Antwort erfolgt in Abstimmung mit der Kreiswahlleitung, da die Gemeinde bei der Europawahl im Auftrag des Landkreises handelt.
Ich empfehle Ihnen, sich bei weiteren Fragen an den Bundeswahlleiter zu wenden, die Gemeinde hat alle von ihr zu ermittelnden statistischen Daten bereits über das Land zur Weitergabe an den Bund weitergeleitet.
U.a.: http://www.bundeswah...lstatistik.html
Aus den Publikationen ist zu entnehmen, dass mit den Ergebnissen der Wahlstatistik im August gerechnet wird."
Nanu? Nach Ergebnissen aus der Wahlstatistik hatte ich doch gar nicht gefragt. Ich präzisierte also:
Sehr geehrter Herr [...]
vielen Dank für Ihre Antwort.
Vielleicht habe ich mich in meiner Anfrage missverständlich ausgedrückt. Es geht mir überhaupt nicht um die Ergebnisse der Wahl und auch nicht um die noch zu erstellende Statistik. Dass diese nur auf Bundes- bzw. Landesebene erstellt und veröffentlicht wird und noch nicht vorliegt, ist mir bekannt.
Ich möchte lediglich wissen, wieviel Wahlberechtigte es in der betreffenden Altersgruppe in Derneburg gibt. Diese Zahl müsste bei Ihnen doch bereits im Vorfeld der Wahl bekannt sein. Immerhin mussten hierfür auseichend Stimmzettel vorgehalten werden. Auch gehe ich davon aus, dass in Holle bekannt ist, wie viele Erstwähler es in einem Ort gibt. Auch dies hat nichts mit der noch zu erstellenden und zu veröffentlichenden Wahlstatistik zu tun.
Habe ich mein Anliegen damit ausreichend präzisiert? Oder ist dies tatsächlich eine Angelegenheit der Bundesbehörden?
Vielen Dank und freundliche Grüße
Petra Hartmann
Die Absage kam prompt:
Sehr geehrte Frau Hartmann,
ich habe Ihre Anfrage schon richtig verstanden.
Es handelt sich aber bei den von Ihnen erfragten Daten nicht um öffentlich zugängliche Zahlen, sondern um Daten die im Rahmen der besonderen Wahlstatistik durch die Gemeinde Holle im Auftrag der Bundeswahlleitung ermittelt wurden; selbstverständlich liegen die Daten der Gemeinde vor und wurden auch - wie von mir ausgeführt - an das zuständige Landesamt für Statistik (zur Weitergabe an den Bund) weitergeleitet.
Gerne können Sie sich mit Ihrer Frage auch dorthin wenden:
http://www.statistik.niedersachsen.de
Mit freundlichen Grüßen
Was nun? Zum Amtsgericht laufen und auf dem Klageweg Akteneinsicht verlangen?
Nun gut, versuchen wir es also zunächst vor den anderen Türen. Ich schrieb also zwei sehr höfliche Mails an das Bundes- und das niedersächsische Landesamt für Statistik.
Wenig später erhielt ich aus dem Büro des Bundeswahlleiters (wir erinnern und: Er ist in Personalunion Leiter des BUndesamtes für Statistik) das folgende Schreiben:
Sehr geehrte Frau Dr. Hartmann,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 19. Juni 2014.
Leider können wir Ihnen die gewünschten Ergebnisse nicht zur Verfügung stellen. § 8 Wahlstatistikgesetz (WStatG) verbietet die Veröffentlichung von Ergebnissen für einzelne Wahlbezirke - dies schließt auch die Zahl der Wahlberechtigten, Wahlscheinvermerkt und die Beteiligung an der Wahl nach Geschlecht und Geburtsjahresgruppen ein. Sofern die Gemeinde Holle selbst wahlstatistische Auszählungen nach § 6 WStatG vornimmt, darf diese zumindest Gemeindeergebnisse veröffentlichen. Ob sie dieses tut, entzieht sich wiederum unserer Kenntnis.
Wir hoffen, dass wir Ihnen weiterhelfen konnten.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Kevin Kobold
Ja, kann denn auch der Herr Kevin Kobold nicht lesen? Ich habe doch gar nicht nach Ergebnissen gefragt. Ich wollte lediglich die Anzahl der Wahlberechtigten wissen. Und davon steht im Paragraf 8 des Wahlstatistikgesetzes überhaupt nichts.
Ich war gerade am Verzweifeln und inzwischen schon nahe dran, tatsächlich den Gerichtsweg einzuschlagen, als mich folgende Mail des niedersächsischen Landesamtes für Statistik überraschte:
Sehr geehrte Frau Hartmann,
gerne kann ich Ihnen folgende Auskünfte geben:
- Im Ortsteil Derneburg der Gemeinde Holle im Landkreis Hildesheim gab es zur Europawahl 2014 insgesamt 456 Wahlberechtigte. Davon waren in der Altersgruppe der 18 - 25-jährigen 36 Personen wahlberechtigt, davon 15 Männer und 21 Frauen.
- Leider kann ich Ihnen zu den Erstwählern keine Auskunft geben, da die Altersgruppen nicht monatsgenau erfasst werden. Im Grunde sind Erstwähler nur diejenigen, die seit der Bundestagswahl am 22.09.2013 volljährig geworden sind. Diese Anzahl der Wahlberechtigten könnten Sie nur bei der Gemeindeverwaltung erfragen. Wer von diesen tatsächlich gewählt hat, weiß nur die Gemeinde selbst. Sollte die Ihnen das Wählerverzeichnis zur Verfügung stellen, könnten Sie anhand der Vermerke feststellen, wer am Wahltag seine Stimme abgegeben hat. Nicht feststellen können Sie allerdings, wer von den Wahlberechtigten, die einen Wahlschein beantragt haben, tatsächlich auch gewählt hat. Wir gehen allerdings von einer ca. 90%igen Wahlbeteiligung bei den Briefwählern aus.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Ralf Martins
Ich bin vollkommen geplättet. Herzlichen Dank an meine Niedersachsen. Wo Bund und Gemeinde nichts rausrücken, beweist das Land mal Augenmaß.
Also, dann schaun wir uns das mal an:
15 Männer in der Altersgruppe "Unter 25" waren wahlberechtigt. Bei einer durchschnittlichen Wahlbeteiligung dieser Gruppe von rund einem Drittel (laut Zahlen des Bundeswahlleiters aus der vorigen Europawahl-Statistik) bedeutet das, dass ungefähr 5 Männer im fraglichen Alter gewählt haben. Und jetzt überlegt mal, was passiert, wenn auch nur zwei oder drei Briefwahl gemacht haben. Nein, Herr Bundeswahlleiter, und nein, lieber Gesetzgeber, die Anonymität einer Wahl ist nicht gewährleistet. Mit Ihren Statistik-Zinken auf Stimmzetteln verletzen Sie das Prinzip einer geheimen Wahl. Und in Derneburg waren es immerhin noch 456 Wahlberechtigte. Erlaubt ist eine solche statistische Auswertung ab 400 Wahlberechtigten.