Phillis Wheatley: Nie mehr, Amerika
Die Gedichte von Phillis Wheatley sind etwas ganz Besonderes: Die Verfasserin ist die erste schwarze Frau, beziehungsweise sogar die erste schwarze Person, die jemals ein Buch veröffentlichte. Als Sieben- oder Achtjährige war sie in Westafrika entführt und als Sklavin in die USA verkauft worden. Im Jahr 1773, als 20-Jährige, legte sie ihren ersten Gedichtband vor, "Poems on Various Subjects". 250 Jahre später erschien nun im Verlag Friedenauer Presse ein Band mit Gedichten und Briefen dieser bemerkenswerten Frau.
Das Buch "Nie mehr, Amerika" ist ein sehr gehaltvoller Band, der außer einer Auswahl an Gedichten und Briefen der Autorin auch eine sehr informative und spannende Einleitung, einen Kommentar und Literaturhinweise enthält. So erfährt der Leser mehr über die Biografie der Dichterin und ihren Weg zur Dichtkunst.
Den Vornamen Phillis erhielt sie, da dies der Namen des Sklavenschiffs war, das sie in die USA brachte, den Nachnamen bekam sie wie üblich von der Familie, die sie gekauft hatte. Das Mädchen, über dessen Kindheit in Afrika und über dessen genaue Herkunft nichts bekannt ist, wurde von der Familie Wheatley als Haushaltshilfe erworben, scheint aber fast wie ein eigenes Kind behandelt worden zu sein. So lernte sie Englisch, Latein und Griechisch, lernte schreiben und lesen.
Deutliches Bekenntnis zum christlichen Glauben
Vor allem aber lernte sie den christlichen Glauben kennen, dem sie mit großer Begeisterung anhing. In ihren Gedichten erklärte sie es geradezu als großen Glücksfall, aus Afrika entführt worden zu sein, da sie so dem heidnischen Glauben ihrer Vorfahren entkommen sei und die Gnade Christi erlangt habe. So schreibt sie in ihrem Gedicht "Über die Verschleppung von Afrika nach Amerika" sehr deutlich:
Gnade entriss mich meinem Heidenland
Und lehrte meine tumbe Seel Verstand:
Es ist ein Gott, es ist ein Retter gar.
Ich wusst zuvor nicht, was Erlösung war.
Und den weißen Christen hält sie, als eine Frau, deren Haut in "Teufelsfarbe" getönt ist, sehr selbstbewusst entgegen:
"Vergesst nicht, Christen, Schwarze, schwarz wie Kain,
Können sich läutern, können Engel sein."
Todesfälle als Schreibanlässe
Die Autorin verfertigte zunächst Gedichte anlässlich von Todesfällen, zum Teil innerhalb der eigenen Gemeinde, dann spendet sie den Angehörigen Trost und erinnert daran, dass der Verstobene ja nun in die ewige Seligkeit einging und somit das bessere Los hat als die Hinterbliebenen. Sie schreibt aber auch Gedichte zu Themen wie Freiheit und Frieden, über die Tugend oder eine Hymne an die Menschheit, an den Abend, an den Morgen. Sie verarbeitet Reiseeindrücke ihrer Fahrt nach England, als sie von ihren Förderern zum Besuch der Insel eingeladen wird. Und sie kann herrlich staunen über die Kunstfertigkeit eines schwarzen Malers, der ihr Porträt herstellt - für den Druck ihres ersten Gedichtbands.
Humanistische Bildung und ein antikes afrikanisches Vorbild
Phillis Wheatley stellt in ihren Gedichten auch ihre klassische, humanistische Bildung heraus. Mythologische Themen und die antike Götterwelt sind ihr nicht fremd. Als sie über ihre Reise nach England berichtet, sind es selbstverständlich Neptun und Äolos, die sie herbeizitiert. Namen wie Homer und Vergil gehen ihr leicht über die Lippen, sie ruft die neun Musen an und Apollon, erinnert an Achills Zorn, und in ihrem Widmungsgedicht "An Maecenas" gibt sie ihrem Gönner, beziehungsweise ihrer Gönnerin, der englischen Gräfin von Huntington einen beziehungsreichen Titel, nämlich den des römischen Kunstfreunds. Die junge Schwarze selbst hat für sich tatsächlich ein antikes Vorbild, einen afrikanischen Schriftsteller gefunden, den sie als ihren literarischen Ahnherren zitieren kann:
Terenz war froher, hat den Chor verzückt,
Mit voller Seel und glühndem Herz beglückt;
Warum, ihr Musen, ist die Gunst nur sein,
Vom ganzen schwarzen Afrika allein:
Der seinen Namen überliefert hat
Auf der Geschichte erstem Ruhmesblatt?
Keine Angst vor großen Tieren
Die Dichterin hat wahrlich keine Angst vor großen Tieren, und trotz ihrer Herkunft als Sklavin tritt sie sehr selbstbewusst auf und scheut nicht davor zurück, ihre Verse an den britischen König zu richten. Es ist die Zeit, in der die Amerikaner um ihre Unabhängigkeit kämpfen. 1768, acht Jahre vor der Unabhängigkeitserklärung, wendet sie sich an den König, bittet für ihn um Gottes Segen und darum, dass Gott von seinem Haupt alles Böse entferne, und schreibt schließlich: "Des Königs Lächeln kann sein Volk befrein!"
Es gibt auch ein Gedicht an George Washington, das aus dem Jahr 1775 stammt und ihn als Heerführer würdigt. Washington fühlte sich sehr geschmeichelt und bedankte sich sehr freundlich. Das Gedicht wurde auf seine Veranlassung hin in der "Virginia Gazette" gedruckt mit dem Hinweis: "Die folgenden Verse (...) wurden von der berühmten Phillis Wheatley, der afrikanischen Dichterin, geschrieben".
Patriotische Amerikanerin
Etwas unpassend erscheint der Titel, unter dem die Sammlung erschien. Denn das "Nie mehr, Amerika" ist keine Absage der ehemaligen Sklavin, die erst nach Erscheinen ihres ersten Gedichtbands frei gelassen wurde. Nein, es ist ein Zitat aus einem Gedicht, in dem sie sich ausgesprochen patriotisch mit ihrem amerikanischen Heimatland identifiziert und für dessen Freiheit und Unabhängigkeit eintritt. Phillis Wheatley war Amerikanerin durch und durch.
Ein großes Lob verdient der Übersetzer Florian Bissig, der sich nicht darauf beschränkte, den Inhalt der Gedichte wiederzugeben, sondern die Verse auch in Metrum und Reimen dem Original anpasste. Der Leser erhält so einen Eindruck vom Tonfall Wheatleys, von ihren teilweise schlichten, manchmal etwas naiven, dabei aber sehr bestimmten und immer sehr deutlichen, direkten Worten.
Etwas schade ist, dass der Band keine Komplettausgabe ist. So erfährt man aus der Einleitung, es hätte auch noch Kurz-Epen Wheatleys gegeben. Das wäre ein Desiderat für einen Folgeband ...
Fazit: Sehr schöne, optisch und inhaltlich gelungenen Ausgabe der Gedichte der ersten schwarzen Buch-Autorin. Lesenswert, spannend und eine wahre Fundgrube.
Phillis Wheatley: Nie mehr, Amerika. Gedichte und Briefe. Hrsg., aus dem Englischen übersetzt und mit einer Einleitung versehen von Florian Bissig. Mit einem Vorwort von Honorée Fanonne Jeffers. Berlin: Friedenauer Presse, 2023. 185 S., Euro 22.
© Petra Hartmann