Veronika Bicker: Flucht durch den Weltenriss
Veronika Bicker erzählt in ihrem Roman "Flucht durch den Weltenriss" von einer Verfolgungsjagd durch mehrere Welten und von Portalen, die diese verbinden. Weltenschiffe, die einen magischen "Weltenstein" an Bord haben und einen speziell ausgebildeten "Wanderer", der für den Übergang notwendig ist, sind die einzige Möglichkeit, die Portale zu durchqueren. Jedenfalls ist es das, was der Gardist Niano glaubt ...
Die Geschichte hat zwei Haupptfiguren. Gardist Niano - für ihn wählte die Autorin die Perspektive des personalen Erzählers - ist im Auftrag des Rates auf der Jagd nach der jungen Wanderer-Schülerin Madrey. Madrey wird beschuldigt, ihren Mentor, den Wanderer Leone, umgebracht zu haben. Doch in den aus der Ich-Perspektive geschriebenen Madrey-Kapiteln wird schnell deutlich, dass Leone nicht nur ein übergriffiges geiles Arschloch ist, sondern auch, dass er geheime, verbotene Studien betreibt und dabei selbst vor Menschenopfern nicht zurückschreckt. Tatsächlich stinkt einiges ganz gewaltig in den Welten, die durch die Weltenrisse verbunden sind. Und auch der Rat entpuppt sich im Verlauf der Geschichte als eine Institution, die alles andere als integer ist.
Schiffsunglücke und Drachenkampf
Die Niano-Handlung legt den Schwerpunkt eindeutig auf den Bereich des Abenteuers und der Action. Spektakuläre Schiffsunglücke bei den Passagen, Überlebens-Versuche im Sumpf, Detektivarbeit und versiffte Stationen am Arm der Welt gehören zum Hard-Boiled-Setting, in dem sich der Gardist herumschlagen muss. Am Ende muss er sich auch noch mit waschechten und keineswegs zahmen Drachen auseinandersetzen.
Madrey dagegen lässt den Leser teilhaben an ihrer Entdeckung der Magie, der Übergänge in andere Welten, an ihrer Beziehung zu ihrem Mentor. Dabei legt die junge Novizin eine ungeheure Naivität an den Tag. "Lauf weg, Madrey!", möchte man ihr zurufen, wann immer Leone sie schlägt oder missbraucht oder verlangt, dass sie besonders aufreizende Kleider trägt. Doch wie ein sexuell missbrauchtes Kind oder ein Opfer des Stockholm-Syndroms redet sie sich immer wieder ein, dass sie Leone liebt, dass es ihre Schuld ist, wenn er sie schlägt, und dass sie alles tun will, damit er keinen Grund hat, zornig auf sie zu sein.
Aber der ungewöhnliche Querriss, der sich in Leones Forschungszimmer aufgetan hat, ist ganz anders als die "normalen" Weltenrisse und erst recht kein hartmloses Forschungsobjekt. Dahinter lauert "Das Andere": Magie, Macht, aber auch eine tödliche Bedrohung.
Der Roman bezieht seine Spannung vor allem daraus, dass der Leser "mehr weiß" als die beiden Helden. Man weiß, dass der getötete Leone, nach dessen Mörderin der Gardist fahndet, kein Unschuldslamm ist, dass Madrey, wenn sie überhaupt schuldig ist, sehr gute Gründe gehabt hat, ihn zu erledigen, man weiß, dass ihr Mentor bösartig ist, während sich Madrey noch in Harmonieträumen wiegt und ihm alles recht machen will. Sehr interessant ist das Konzept der "Wanderer", einer Gruppe von Begabten, die offenbar größer ist, als zu Beginn angenommen.
Veronika Bicker erfindet in ihrem Roman das Rad vielleicht nicht unbedingt neu. Klassische Typen wie der raubeinige Ermittler, der sich in heruntergekommenen Stationen mit schlechtem Kaffee aufputscht, und die naive Schülerin mit der besonderen Begabung, die vollbringt, woran erfahrene und gut ausgebildete Experten scheitern, gehören zum Standard-Personal nicht nur fantastischer Literatur. Doch schafft die Autorin es, ihre Geschichte gut, flüssig und spannend zu erzählen, und hat einen überzeugenden Abenteuer-Roman vorgelegt.
Fazit: Spannendes, flüssig geschriebenes und leicht zu lesendes Abenteuer, Geschichte einer Reise durch mehrere Welten und Aufklärung eines Mordes. Gut geschrieben und lesenswert.
Veronika Bicker: Flucht durch den Weltenriss. Nittendorf: Wurdack-Verlag, 2021. 259 S., Euro 13,95.
© Petra Hartmann