
Heimkehr. Thüringen - morgen und übermorgen

"Heimkehr" ist eine solche literarische Begegnung. Die Anthologie präsentiert Science-Fiction-Geschichten aus Thüringen und ist beides: Eine Liebeserklärung an das Bundesland und an das Erzählen. Achtmal entführen die Autoren ihre Leser in Zukunftswelten und wissenschaftliche Rätselhaftigkeiten, und bleiben doch mit den Füßen fest auf dem Boden der thüringischen Heimat.
Das Auffallende an dem Buch ist nicht nur seine Vielfalt an Themen, sondern auch die sehr großen Unterschiede in den Längen der Beiträge. Und allem Lob für kurze, pointierte Geschichten zum Trotz: In diesem Buch sind es gerade die beiden längsten Geschichten, die mir am besten gefallen haben. Die erste, "Chrull" von Jürgen Walter, beschreibt die Begegnung eines Menschen und eines Außerirdischen, die von ihren Völkern dazu bestimmt sind, einander kennen zu lernen und die Aufnahme interplanetarischer Beziehungen vorzubereiten. Allerdings ist Erdenmensch und Militärangehöriger George Tawler bei seinem ersten Zusammentreffen mit "seinem" Alien etwas schockiert. Die Wesen sind Formwandler, und der angebliche Flottenkollege, dem Tawler gerade noch geraten hat: "Nehmen Sie die Dunstkiepe ab und lassen Sie ein wenig Luft an Ihre Stenkerdirne", entpuppt sich als sein außerirdischer Gesprächspartner Chrrl von 51 Pegasi. Eine Reise durch Thüringen, diplomatische Verwirrungen und eine langsame Annäherung zweier sehr unterschiedlicher Wesen folgen, eine sonderbare Freundschaft beginnt, aus der mehr werden kann.
Am beeindruckendsten allerdings ist die Geschichte "Finklbergs Plan" von Gerd Bedszent. Wobei man den 110 Seiten umfassenden Beitrag schon eher als kleinen Roman bezeichnen kann. Der Held und Ich-Erzähler der Geschichte ist der Journalist Manfred Bauer, einigen Lesern bereits bekannt durch Bedszents Roman "Im Auge des Chaac". Diesmal wird Bauer von seinem tyrannischen Zeitungsredakteur auf eine Geschichte angesetzt, die er eigentlich als kompletten Blödsinn abtun würde. Aber wenn ein Journalist knapp bei Kasse ist, dann recherchiert er eben auch über angebliche Zeichnungen der "Reichsflugscheibe", Nazi-Wundermaschinen und rechte Esoterik. Dokumente, die aus dem Konzentrationslager Mittelbau Dora stammen, deuten auf eine sensationelle Erfindung hin. Hat das jüdische Physik-Genie Professor Otto Finklberg in dem Lager tatsächlich seine Faltenwelttheorie weiter entwickelt, in die Praxis umgesetzt und im Dienste des SS-Obergruppenführers Kammler eine Zeitmaschine gebaut, damit der kurz vor Kriegsende fliehen kann? Eine faszinierende Geschichte mit überraschendem, stimmigem Ende. Top.
Die Bandbreite reicht von der außerordentlich "gegenwärtig" anmutenden Titelgeschichte "Heimkehr" von Hannah Rose, in der der SF-Aspekt erst in den letzten Absätzen zutage tritt, bis hin zur dystopischen, postapokalyptischen Story "Such' den Atomschatz" von Axel Wolf. Detlef Köhler erzählt in "Jarons Schmicat" von einem Astronomie-Professor, der am Teleskop eine sonderbare Entdeckung macht, die sich drei Generationen später auf eine von seiner Urenkelin geleitete Raumschiffexpedition auswirken wird. Gerd-Michael Rose beschwört mit "Die Ungebetene" den arachnophoben Horror klassischer Monsterfilme herauf - mit einer Reminiszenz an die Novellenkunst Jeremias Gotthelfs. Mit "Donnerstein" von Rolf Krohn und "Miles de Tanhusen" von Nils Wiesner schließlich gibt es zwei sehr unterschiedliche Begegnungen mit dem Mittelalter und der thüringischen Geschichte.
Fazit: Insgesamt eine sehr reiche, vielseitige und gut komponierte Sammlung, die acht gute bis sehr gute Texte in sich vereinigt. Ein Buch, das auch jedem Nicht-Thüringer Spaß machen wird, der bereit ist, sich auf die Begegnung von Science Fiction und Lokalkolorit einzulassen. Lesenswert.
Heimkehr. Thüringen - morgen und übermorgen. Science-Fiction-Erzählungen. Erfurt: TES und Ringelberg-Verlag, 2015. 304 S., Euro 14,95.
© Petra Hartmann