Jahresrückblick 2013, Teil II
Jahresrückblick
Der zweite Teil meines Rückblicks auf das Jahr 2013. Schreiberisch war ich nicht allzu fleißig in diesem Jahr. Ich habe zwei Romane angefangen, die ich nächstes Jahr beenden will. Zum einen den fünften Teil meiner Walkürenserie "Die Falkin", in der Valkrys sich erneut den Schrecken des Totenreichs stellen muss. Zum anderen einen historischen Roman unter dem Arbeitstitel "Freiheitsschwingen" über eine junge Frau in den 1830er und 1840er Jahren, die versucht, eine politische Zeitung zu gründen. Ansonsten erschienen Beiträge von mir in den vier Elfenschriften des Jahres, ich habe fünf Kurzgeschichten in Anthologien veröffentlicht, und schließlich erschien am 24. Dezember mein Weihnachtsmärchen "Die Weihnachtseisenbahn" in der Hildesheimer Allgemeinen. Soweit meine Schreib-Bilanz.
Doch nun zurück zum Lesejahr. Das zweite Quartal 2013 bietet ein Gemisch aus Literatur-Klassikern, Comicalben und Kleinverlags-Phantastik. Erneut sehr übersichtlich. Aber in der Zeit von April bis Juni habe ich wenigstens etwas mehr rezensiert. Bei gut der Hälfte der Bücher findet ihr also einen Link auf eine etwas ausführlichere Darstellung. Vielleicht ist etwas für euch dabei. Viel Spaß beim Lesen.
April
Die Welten von Thorgal: Kriss de Valnor III - Einer Königin würdig
D.W. Schmidt: Perlamith II - Das Geflecht
Die Welten von Thorgal: Lupine II - Die abgeschnittene Hand des Gottes Tyr
Die deutsche Literatur in Text und Darstellung: Aufklärung und Rokoko (Reclam)
Eigentlich bin ich ein Fan des Reclam-Verlags, und ich liebe auch die Reihe "Die deutsche Literatur in Text und Darstellung". Wenn man sich allerdings intensiver mit Moses Mendelssohn befasst und immer wieder lesen muss, wie der große jüdische Philosoph bereits in der Generation der Klassiker/Romantiker systematisch aus der Literaturgeschichtsschreibung hinausgeschwiegen wurde, dann dreht sich einem der Magen um angesichts dieser mendelssohnfreien Literaturgeschichte. Immer wieder wird aus dem Briefwechsel Lessing/Nikolai/Mendelssohn zitiert, aber immer wieder sind es nur Texte mit Literaturbetrachtungen der beiden ersteren. Genug zur Literaturtheorie und zur Ästhetik hat der Mann ja wohl geschrieben. Und eine ganze Menge davon ist zum Beispiel von Schiller ziemlich dreist geguttenbergt worden. Wenn die nationalistische Literaturtradition so dominant ist, dass sogar eine so seriöse Literaturgeschichte wie die Reclamreihe da nicht tiefer bohrt, ist das schon bedenklich.
Das Gilgamesch-Epos (neue RUB-Übersetzung von Wolfgang Rölling)
Ja, die neue Übersetzung war wirklich nötig. Der alte, liebgewonnene Text von Albert Schott war einfach nicht mehr zu retten. Nicht, nachdem so viele neue Bruchstücke entdeckt worden sind. Ich lernte das alte Epos Mitte der 80er Jahre kennen, das war in der Zeit, als ich das Reclam-Regal in einer Hildesheimer Buchhandlung entdeckte und mir nach und nach die großen alten Epen zu Gemüte führte. Das war damals schon eine überarbeitete Schott-Übersetzung, der noch die alte Einleitung von 1934 beigegeben war, etwas gekürzt und ergänzt vom Herausgeber Wolfram von Soden. Vor fünf Jahren las ich die neue Maul-Übersetzung, jetzt also eine neue Reclam-Fassung von Wolfgang Rölling.
Der neue Gilgamesch ist mehr als doppelt so dick wie der alte. Er hat eine umfangreiche Einleitung, bietet zusätzlich Auszüge aus altbabylonischen Gilgamesch-Texten, einen Anmerkungsteil und ein Glossar. Das ist sehr komfortabel, man kann also recht gut damit arbeiten und lernt eine Menge. So weit, so gut.
Aber was haben die Macher dieses Buches eigentlich geraucht, als sie auf die Idee kamen, die zwölfte Tafel wegzulassen? Hallo? Wenn ich den Faust II kaufe, will ich auch kein Buch haben, in dem die abstruse Schlussszene weggelassen wurde, weil den Herausgebern ein Ende mit dem Tod Fausts stimmiger erschien. Natürlich ist das siebte Kapitel des vierten Buches Mose strunzlangweilig und aus erzählerischer Sicht katastrophal - aber das ist doch kein Grund, es aus der Bibel rauszuschmeißen.
Ja, natürlich, zugegeben, die zwölfte Tafel passt inhaltlich überhaupt nicht zu den vorhergegangenen elf Tafeln. Aber sie gehört dazu. In der Einleitung erzählt Herr Rölling permanent etwas vom "Zwölftafelepos". Warum wohl? Weil es nur elf Tafeln sein sollen?
Ein Übersetzer und Herausgeber hat nicht die Aufgabe, erzähltechnische "Fehler" oder Ungeschicklichkeiten seiner Quellen auszumerzen. Er hat treu und redlich den Text wiederzugeben, wie er vorliegt und wie er überliefert wurde. Wenn er dazu nicht bereit ist und lieber klüger als der Autor/die Autoren sein will, soll er doch lieber einen eigenen Gilgamesch-Roman schreiben. Es ist unfassbar.
Mai
Rousseau: Emile (Reclam)
Ein etwas über tausend Seiten starker Wälzer, der mich fast den ganzen Monat beschäftigt hat. Als Erziehungskonzept faszinierend. An einigen Stellen hat Rousseau sicher Recht, und ich denke auch, dass gerade das Leben in und mit der Natur dem Charakter eines jungen Menschen ausgesprochen förderlich ist. Vollkommen ausgeblendet wird jedoch, dass bei aller Verachtung des Adels und Reichtums eine solche aufwändige Erziehung und Ausbildung nur möglich ist, wenn die nötigen materiellen Hintergründe vorhanden sind. Anders ist es kaum möglich, einem Kind einen Erzieher an die Seite zu stellen, der es von der Geburt bis zur Heirat durchs Leben geleitet. Das ist sehr aufwändig und sehr beeindruckend. Aber auf einen Emile kommen ein paar hundert Bauern- und Handwerkersöhne, die ganz nebenhin aufwachsen. Und dass Emile sich gerade im Kontakt mit ihnen bilden soll, ist der hintenrum doch hineingeschmuggelte elitäre Kern dieser Lehre vom einfachen, unverkünstelten Leben fernab der großen Höfe und sündigen Städte. Dass die Dinge, die Rousseau über die Bildung von Frauen sagt, heutzutage einem weiblichen Homo sapiens unangemessen sind - geschenkt. Da war er ein Kind seiner Zeit. Und wir dürfen ihm schließlich auch nicht vorwerfen, dass er noch kein Internet und Handy in sein Konzept mit einbezog. Insgesamt: ein sehr interessantes Buch, das zum Nachdenken anregt. Und, das ist auch in der Erziehung das Wichtigste, Einzelheiten sollte man der Praxis anheimstellen.
Charlotte Engmann: Spiel mir das Lied vom Untod
Andrea Tillmanns: Der Tote am Zülpicher See
Juni
Stephan R. Bellem: Die Ballade von Tarlin
Storm 5: Der Kampf um die Erde
Comic-Klassiker, erneut in großartiger Aufmachung, Hardcover, hinten eingelegt ein separates, festeres Blatt mit einer Einzelszene, dazu gibt es einen ausführlicher Informationsteil. Die Geschichte selbst ganz okay, nicht herausragend, aber akzeptabel.
Siegfried Harmel (Hrsg.): Sagen vom Klabautermann.
Mit Illustrationen von Cornelia Harmel
Nettes kleines Buch, sehr schmal, halt etwas für unterwegs. Ich habs kostenlos aus dem Libri-Prämienshop bekommen. Liest sich recht schnell weg. Die Hälfte des Büchleins ist gefüllt mit Geschichten, es handelt sich um traditionelle, rechtefreie Texte, aus Sagensammlungen zusammengetragen, vieles kennt man schon, aber die Zusammenstellung ist recht nett. Die Bilder dazu sind sehr liebenswert und frech, haben mir Spaß gemacht. Die zweite Hälfte des Büchleins besteht aus einem Aufsatz über das Wesen des Klabautermanns, seine Herkunft und darüber, was man von ihm weiß bzw. erzählt. Das ist ganz brauchbar, allerdings auch an einigen Stellen ziemlich redundant. Hätte gut auch auf die halbe Seitenzahl gepasst.
Felix Woitkowski: Kollaboratives und literarisches Schreiben im Internet
Karsten Kruschel: Vilm - Das Dickicht
Die Geschichten über den Regenplaneten gehen weiter. Und fast noch besser als in den ersten beiden Büchern. Man erfährt viel Neues über die eigenartige Symbiose der Vilm-Kinder, die ja merkwürdige Doppelwesen sind, zusammengesetzt aus einem Zweibeiner menschlicher Herkunft und einem vierbeinigen vilmischen "Eingesicht". Der Leser erlebt, was passiert, wenn eine der beiden Komponenten stirbt. Man begegnet "Nachträglich Zusammengesetzten", traurigen Wesen, die irgendwie weiterleben, aber doch nicht recht zu Hause sind in ihrer Doppelhaut. Besonders beeindruckend fand ich die Geschichte eines Menschen, der eine besondere Beziehung zu den "Regentauchern" einging, eine Begegnung, die nicht einmal die Vilmkinder glauben. Es geht um die Erforschung der sagenhaften "Supergestrolchs", das eine Hälfte des Planeten vollständig abriegelt. Auch die verschiedenen Machthaber - weltliche und geistliche - des Universums interessieren sich für diese Barriere. Und es gibt sehr unterschiedliche Versuche, sie zu überwinden. Bestürzende Entdeckungen und gefährliche Begegnungen warten auf die Eindringlinge.
Erneut ein Band voller nachdenklicher und poetischer Gedanken über die Regenwelt. Wenn irgendwann Tourismus ins All möglich und erschwinglich ist, will ich Vilm sehen.
Valerian und Veronique 13: Die große Grenze
Valerian und Veronique 14: Lebende Waffen
Valerian und Veronique 15: Die Kreise der Macht
Auch der fünfte Sammelband über die beiden Raum-Zeit-Agenten ist wieder großartig geworden. Die herrlichen Zeichnungen konnten mich schon vor Jahrzehnten begeistern. Und die neue Hardcover-Ausgabe mit den ausführlichen Einleitungen und Hintergrund-Informationen setzt Maßstäbe. Einfach schön.
Fabienne Siegmund (Hrsg.): Das Tarot
Eine sehr interessante Anthologie, für die jeder der teilnehmenden Autoren eine Tarotkarte zugeschickt bekam und darüber erzählen sollte. Dazu gibt es zauberhafte Illustrationen von Elke Brandt, Tatjana Kirsten und Chris Schlicht, die zu jeder Geschichte eine Tarotkarte gestalteten. Insgesamt eine sehr schöne Anthologie, die in Text und Bild eine Einheit bildet, so unterschiedlich die Autoren auch sein mögen. Mein Favorit ist die Geschichte "Samen" von Annika Sylvia Weber, die sich angesichts der Karte "Die Kraft" mit dem Unterschied zwischen Kraft und Stärke auseinandersetzt. Es geht um ein Zugunglück und um eine besondere Liebe. Sehr gefallen hat mir auch die Geschichte "Flaschendrehen", in der Ann-Kathrin Karschnick dem Rad des Schicksals eine moderne Gestalt gibt und ein Partyspiel in blanken Horror verwandelt. Auch die anderen Geschichten sind lesenswert. Eine Anthologie der besonderen Art.
Jahresrückblick 2013, Teil I: Januar bis März
Jahresrückblick 2013, Teil III: Juli bis September
Jahresrückblick 2013, Teil IV: Oktober bis Dezember
© Petra Hartmann