Jahresrückblick 2013, Teil III
Jahresrückblick
2013 war in jedem Fall ein Jahr, in dem ich viel unterwegs war und viel vorgelesen habe. Das Con- und Lesejahr begann für mich mit einer Winterreise nach Homburg im Saarland bei Eis und Schnee, wo ich auf der HomBuch zusammen mit Andrea Tillmanns einen Tisch und eine Lesung hatte und meinen Roman "Das Serum des Doctor Nikola" sowie die Anthologie "Drachen! Drachen!" vorstellte. Mit Doctor Nikola war ich auch zu Gast auf dem DortCon (Lesung zusammen mit Michael Böhnhardt). Ich war auf dem MarburgCon (ohne Lesung, nur mit Büchertisch) und auf dem BuCon (nur als Bücherfan im Kaufrausch) und las im Wiesbadener Literaturcafé aus "Die Schlagzeile" vor. Auf der Mainzer Minipressenmesse stellte ich in zwei Lesungen die Anthologien "Autorenträume" und "Mit Klinge und Feder" vor. Ich las zweimal im Bad Salzdetfurther Kulturbahnhof, zweimal in der Salze-Klinik und einmal im dortigen Kurpark, einmal im Hildesheimer Café Akku und einmal beim Kulturkreis Laatzen. Dreimal war ich beim Hildesheimer Lokalradio "Tonkuhle" zu Gast. Ebenfalls dreimal gab es Lesungen mit Rena Larf auf Radio 1000 Mikes, in denen sie meine Bücher und Geschichten vorstellte.
Beim Lesen in Büchern anderer Autoren war ich im dritten Quartal 2013 etwas fleißiger als in dem Halbjahr zuvor. In den Monaten Juli bis September gab es vor allem Begegnungen mit Lyrik, dazu ein paar Krimis und Thriller, außerdem einige Klassiker und erneut einiges an Phantastik aus kleineren Verlagen. Viel Vergnügen damit.
Juli
Wislawa Czymborska: 100 Freuden. Gedichte. Übersetzt von Karl Dedecius
Wenn ich in eine Buchhandlung komme, gehe ich gewöhnlich ans Lyrikregal, falls vorhanden, und suche ein Buch, das folgende drei Kriterien erfüllt: 1. Keine Anthologie. 2. Autor lebt noch. 3. Kein Nobelpreisträger. Und am liebsten hätte ich ja deutschsprachige Lyrik, keine aus fremden Sprachen übersetzte ... Letzteres ist allerdings optional. Gewöhnlich fallen dabei alle vorhandenen Bücher durchs Raster ...
Wislawa Czymborska ist tot und war Nobelpreisträgerin, und diese "Hundert Freuden" sind eine Zusammenstellung von Gedichten aus dem Gesamtwerk dieser als "Erste unter den Lyrikerinnen Polens" gefeierten Autorin. Aber ich habe das Buch dann doch mitgenommen, beim Blättern habe ich mich an der einen oder anderen Stelle festgelesen. Es sind einige beeindruckende Gedichte darin, allerdings ist es weniger das "Lyrische" in ihrem Werk, das mich ansprach, sondern gerade das "Erzählerische". Oft sind es kleine Geschichten oder beobachtete Situationen, die zum Nachdenken anregen. Das ganze sehr herb, oft nüchtern und emotionslos, und darunter spürt man die Verletzungen der Welt. Da ist das Gespräch mit einem Stein, der einen Menschen nicht hineinlassen will. Da sind die Gedanken eines Terroristen, der aus der Ferne die Bar beobachtet, in der er eine Bombe versteckt hat, die um 13.20 Uhr explodieren soll. Aber vor allem ging mir das Gedicht "Vietnam" unter die Haut. Eine Frau taucht auf, die niemand kennt. Man fragt sie nach ihrem Namen: "Ich weiß nicht", sagt sie. Nach ihrer Herkunft, ihrem Ziel, ihren Verletzungen: "Ich weiß nicht", sagt sie bei jeder Frage. Nur bei der letzten nicht. "Sind das deine Kinder? Ja."
Ich bin immer noch nicht sicher, ob ich das Lyrik nennen würde.
The Green Lantern Archives vol. 7
Weiß nicht, ob ich mich hier schon als Green-Lantern-Fan geoutet habe? Wenn nicht, tue ich es hiermit. Und füge hinzu, dass ich Hal Jordan sowieso für die beste, einzige und wahre Green Lantern des Raumsektors 28/14 halte. ;-) Das Buch bietet wie die sechs Bände zuvor die Abenteuer der alten Silver-Age-Hefte, diesmal vor allem Auseinandersetzungen mit dem Erzfeind Sinestro, der auch das Cover ziert. Für Fans ein absolutes Muss. Wenn ich auch zugeben muss, dass die 90er und 2000er Jahre die Comichelden um einen Qualitätsquantensprung vorwärtskatapultiert haben ... Aber ich bin halt ein Kind des Silver Age ...
Hilde Domin: Nur eine Rose als Stütze
Ein weiterer Gedichtband, in dem ich mich beim Buchhandlungsbesuch festgelesen habe. Herb und doch ausdrucksstark. Allein schon dieser Auftakt: "Man muß weggehen können / und doch sein wie ein Baum: / als bliebe die Wurzel im Boden, / als zöge die Landschaft und wir stünden fest." Naturschilderungen, Trauer und Verlust, immer wieder Gedichte vom Unterwegs-Sein. Sprache und Tonfall sind sehr schlicht und ohne Bombast, treffen aber gerade dadurch. Immer wieder fühlte ich mich zum Lautlesen und Nachsprechen gezwungen, und zu manchen Gedichten bin ich mehrfach zurückgekehrt. Und ich werde dieses Buch sicher noch häufiger wieder zur Hand nehmen.
Reiner Kunze: sensible wege und frühe Gedichte
Einiges von Reiner Kunze kennt man ja aus dem Deutschunterricht. Habt ihr damals auch "Die Bringer Beethovens" im Deutschbuch gelesen und interpretieren müssen? Ich hatte damals eine Klassenkameradin, die hatte uns einen besonderen Schatz mitgebracht: einen Brief von Reiner Kunzes Frau, die "Bringer Beethovens" betreffend. Sie hatte den Autor angeschrieben und gefragt, was er mit dem Gedicht gemeint hatte. Der Brief seiner Frau war jedenfalls recht diplomatisch und dennoch sehr warmherzig, viel war von Farben die Rede, man könne halt nicht bei allen Dingen sagen, das sei schwarz und das weiß, der Regenbogen habe viele Farben. Es endete mit dem Wunsch, meine Mitschülerin möge offen für die Farben des Regenbogens bleiben.
Die Gedichte in diesem Band gehören eigentlich noch heute in jedes Deutschbuch und in jedes Geschichtsbuch. Es sind hochpolitische, oft sehr mutige Bestandsaufnahmen, Kommentare zu Ereignissen, über die man besser nicht redete, wie der Biermann-Ausweisung, da ist von Folter und Verhören die Rede, von Erziehungsmethoden, von den eigenen Kindern, aber auch von Freundschaft über die Sprachgrenzen hinweg, von der alles verbindenden Kraft der Musik. Kleine Beobachtungen aus dem Alltag zeigen, wie Angst im Osten funktionierte, etwa der Siebenzeiler "Am Briefkasten", in dem jemand bemerkt, dass er eine Briefmarke verkehrt herum aufgeklebt hatte. "Der kopf steht kopf" - ob das noch als Versehen durchgeht? "Am besten / ein neuer Umschlag".
Unbedingt empfehlenswert.
Mark Staats: Aufstieg einer Heldin
Eine herrliche Fantasy-Parodie, die ich jedem empfehlen kann. Erzählt wird die Geschichte eines Helden, eines so heldenhaften Helden, dass man sein Bild sogar als Rausreiß-Puzzle in der Zeitschrift "Hurra!" findet. Eine Zeitschrift, in der sehr sensibel auf Leserbriefe geantwortet wird wie zum Beispiel auf den einer jungen Elfe, die schreibet: "Er will nur meine Ohren." Dazu eine Prinzessin, die es satt hat, auf den rettende Prinzen zu warten, und sich kurzerhand selbst rettet, wobei das gerade in ihr erwachte Helden-Gen tüchtig hilft. Es geht um Abenteuer in einer Baumstadt, um schwule Drachen, um Armeeköche mit heftigem Eigenwillen und Abneigung gegen das Kämpfen, um eine neue Form der Temperaturmessung, um Erfindungen und ein Liebespaar der besonderen Art. Ein Buch, das einfach nur Spaß macht. Daumen hoch.
Ursula Schmid-Spreer/Kerstin Lange (Hrsg.): Schreibaffären
Die Welten von Thorgal: Thorgals Jugend I - Die drei Schwestern
Sabrina Železný: Kondorkinder - Die Suche nach den verlorenen Geschichten
Sabrina Železný: Kondorkinder - Der Fluch des Spiegelbuchs
Titus Müller (Hrsg.): Gedichte schreiben und veröffentlichen
Ein Buch, das ich im Antiquariat fand und für einen Schnäppchenpreis bekam. Insgesamt steht nicht unbedingt viel Falsches drin. Aber ich fand es auch nicht allzu berauschend. 70-80 Prozent handeln allgemein vom Veröffentlichen, also Tipps, die man als Prosaschriftsteller auch schon tausendmal so oder so ähnlich gehört hat. Dass man für seine Veröffentlichungen nichts bezahlen soll und dass man sich bei der Verlagssuche und beim Anschreiben einer sorgfältigen Recherche befleißigen sollte, stimmt. Die Ratschläge für die Gestaltung einer Lesung oder das Verfassen und Versenden einer Pressemitteilung sind ebenfalls 1:1 aus dem Ratschlagsrepertoire für Prosa- und sonstige Autoren übernommen. Der Anteil des Buches, der wirklich dezidiert auf das Phänomen Lyrik eingeht, ist also sehr dünn. Und zumeist schwach und banal.
Im einleitenden Kapitel "Wie man gute Gedichte schreibt" listet Herausgeber Titus Müller Reimarten, Versmaße und Stilmittel auf. Das ist akribisch und sicher auch mit Fleiß gemacht, auch wenn sich das heutzutage jeder aus dem Internet zusammenkopieren kann. Jedoch sagt einem diese lexikalische Übersicht weder, wie man Gedichte macht, noch wie man gute Gedichte macht. Das Zeug wäre als Anhang zum Nachschlagen ja ganz nett, aber nicht als Einleitung und schon gar nicht als Ratschlag. Thema verfehlt. Außerdem gibt es als Anhang schon ein weiteres Nachschlagwerk, das die wichtigsten rhetorischen Figuren auflistet. Ebenfalls nicht lyrik-spezifisch.
Sehr interessant fand ich das von Kai Lüftner geschriebene Kapitel "Lyrik als Dienstleistung: Geld verdienen mit Gedichten". Auch und gerade weil es so kurz ist und ziemlich ernüchternd herüberkommt. Mehr als Werbetexter und Verfasser von bezahlten Geburtstags- oder Silberhochzeitsgedichten, eventuell noch das professionelle Slammen fällt dem Verfasser nämlich auch nicht ein ... Ebenfalls interessant ist der Beitrag von Nico Bleutge und Anton G. Leitner, die sich um eine Standortbestimmung der deutschen Lyrik bemühen und einen Ausblick ins neue Jahrtausend wagen (das Buch erschien 2001). Ob die Betrachtungen einem jungen Nachwuchs-Lyriker beim Abfassen des eigenen Werkes helfen, wage ich allerdings zu bezweifeln.
Absoluter Höhepunkt war für mich das "Lyriksplitter-ABC von Theo Breuer, der zu jedem Buchstaben des Alphabets einen lyrikspezifischen Eintrag verfasste - von A wie Avantgarde bis Z wie "Zwischen den Zeilen". Das ist amüsant zu lesen, oft sehr hilfreich und immer literarisch ansprechend formuliert. Tilman Rau mit seinem Kapitel über Slam Poetry zieht ein ernüchterndes Fazit: "Die Lyrik hat's schwer auf der Slambühne, weil sie eigentlich nicht für den Slam gemacht ist. Man muss nur die Reaktionen auf ein Gedicht mit denen auf eine unterhaltsame Kurzgeschichte vergleichen." Ja, die Lyrik, die ich meine, ist auch nicht unbedingt slamtauglich. Auch wenn es da natürlich ganz andere gibt.
Es ist unfair, ein zwölf Jahre altes Buch nach den Selbstverständlichkeiten von heute zu beurteilen. Insofern bitte ich, meine Schelte über Autorengemeinplätze wie Verlagssuche nicht auf die Goldwage zu legen. Vielleicht musste man es damals den Lyrikern noch einmal gesondert sagen, wie sie Lesungen gestalten, Pressemitteilungen schreiben und Verlagsnamen recherchieren sollten. Aber dass man nicht dichten lernt, indem man ein Lexikon der Stilmittel liest, dürfte auch damals schon gestimmt haben.
Rena Larf: Mord zwischen Bille und Serrahn
D.W. Schmitt: Perlamith 3 - Lichtstrand
August
Hellmut Flashar: Aristoteles, Lehrer des Abendlandes
Hellmut Flashar ist einer der ganz großen in der Aristoteles-Forschung. Ein Autor, der mich im Philosophie sehr gut durch das Werk des Stagiriten geleitet hat. Auch dieses Buch mit dem Titel "Lehrer des Abendlandes" hat mir sehr gut gefallen. In unprätentiöser Sprache und mit einem großen Überblickswissen breitet Flashar die Welt des Aristoteles vor dem Leser aus. Hier geht es nicht um einige Spezialaspekte seines Werkes, sondern um eine Gesamtübersicht, sodass nahezu alle Wissensgebiete der damaligen Zeit durchstreift werden. Man erfährt also Biographisches und Hintergründe zur Athener und Makedonischen Politik genauso wie Flashar sich mit philosophischen Traditionen beschäftigt, in denen Aristoteles stand oder an denen er sich abarbeitete. Es geht um die Naturwissenschaften jener Zeit und die empirische Forschung, aber auch um Aristoteles als Verfasser grundlegender Schriften der Geistes- und Sozialwissenschaften. Das alles in gut zu handhabenden Portionen und gut strukturiert. Für den Anfänger eine gute Einstiegslektüre. Und für jemanden, der sich schon länger mit dem Philosophen befasst, ein Buch, das vieles neu ins Gedächtnis ruft, anders beleuchtet und immer mal wieder für Aha-Erlebnisse sorgt. Empfehlenswert.
Mark Brandis: Geheimsache Wetterhahn
Der letzte Band der 31-teiligen Mark-Brandis-Serie. Noch immer hat die Erde an den Folgen der Ikarus-Katastrophe zu leiden. Nun manipulieren skrupellose Kriminelle auch noch das Wetter - in einer Zeit, in der jede Missernte dem Planeten den Todesstoß geben kann. Hauptziel des selbsternannten Wettergottes scheint die Vernichtung der Vereinigten orientalischen Republiken zu sein, über die er eine tödliche Dürreperiode verhängte, während er es auf die Felder der Europäisch-Afrikanisch-Amerikanischen Union erntefördernd regnen lässt. Den Republiken scheint nur ein einziger Ausweg zu bleiben: Krieg, um Nahrungsmittel zu erobern. Da gerät Mark Brandis auf die Spur eines geheimnisvollen Phantomsatelliten.
Die Geschichte ist spannend und routiniert erzählt. Etwas unglaubwürdig erscheint allerdings die Art, wie Brandis aus zwei halben Wörtern in zwei zufällig mitgeschnittenen Funkspruchfragmenten das über Leben und Tod entscheidende Codewort zusammenbastelt und auf diese winzig kleine Chance auch noch sein Leben setzt. Große Abzüge gibt es für den Anfang, der ähnlich wie bei "Kurier zum Mars" ein zielloses Herumstochern zu sein scheint und etwas vorbereitet, das später überhaupt nicht zum Tragen kommt. John Harris, Brandis' Mentor und Vorgesetzter, wird nämlich entführt und durch eine perfekte Kopie ersetzt. Und dies geschieht, ohne dass es irgend eine Folge für den Verlauf der Geschichte hat. Wie kann das sein, dass man eine Person von solcher Machtfülle, einen Menschen, dem von allen Seiten uneingeschränktes Vertrauen entgegengebracht wird, einfach vom Spielfeld nimmt und dann vergisst, dass man es getan hat? Der Autor schrieb doch seinen Roman nicht als Zeitschriftenfortsetzungsgeschichte ...
Mark Brandis: Aufbruch zu den Sternen
Ein kleiner Leckerbissen für Brandis-Fans: Nach Abschluss der offiziellen 31-bändigen Mark-Brandis-Serie veröffentlichte der Wurdack-Verlag als 32. Band eine Sammlung von Kurzgeschichten aus dem Brandis-Universum. Man findet darin zum Beispiel die Geschichte "Aufbruch zu den Sternen", in der sich der jugendliche Brands als blinder Passagier auf ein Raumschiff schleicht, um sich auf der Venus zum Astronauten ausbilden zu lassen. Oder die Geschichte von Iwan Stroganow und seiner Geliebten Masha, in der eine pünktliche Heimkehr darüber entscheiden soll, ob die beiden heiraten. Meine Lieblingsgeschichte ist "Floby Dick", eine Erinnerung an die Zeit nach der afrikanischen Katastrophe, als menschliche Bewusstseine als Bauteile für Maschinen verwandt wurden. "Floby Dick" ist so ein versprengtes, einsam durchs All irrendes Raumschiff mit menschlichem Bewusstsein, das eines Tages ins Visier eine FLOB-Jägers gerät.
Eine neue Variation des Gehirnwäsche- und Kunstmenschen-Themas, das sich durch die Serie wie ein roter Faden hindurchzieht, bietet "Der Egomat", eine Geschichte über William Xuma und dessen Bruder Tom, der von den Vereinigten Orientalischen Republiken gefangen und mit einem neuen Gehirn versehen wurde - Pech für Egomaten ist allerdings, dass Xuma schwarz ist und sein neues Bewusstsein das eines extremen Rassisten. "Der "Wyatt-Earp-Faktor" beschwört die gute alte Westernromantik wieder hervor. Es geht um einen absolut zielsicheren Roboter, der jedes Duell gewinnt. Besiegt wird er durch einen robotpsychologischen Trick in guter alter Mark-Brandis-Tradition.
Etwas verwirrend fand ich die letzte Geschichte, "Heimkehr eines Astronauten", in der ein verirrter Raumfahrer nach schier endlosem Aufenthalt im All - 99 Jahre - zur Ede zurückkehrt. Seine gesamte Besatzung ist umgekommen, nur seine unterwegs geborene Tochter Ruth kann er zur Erde zurückbringen. Irgendwie bringe ich dieses Unter-den-Sternen-geboren-und-Aufgewachsen-Sein nicht mit der Ruth O'Hara unter einen Hut, die ich in den 31 Bänden zuvor kennen gelernt habe.
Ernst A. Schmidt / Manfred Ullmann: Aristoteles in Fes
Ein recht dünnes Büchlein, das sich mit der arabischen Überlieferung des Werkes von Aristoteles, genauer gesagt seiner Nikomachischen Ethik, befasst. Im einleitenden Text wird kurz auf die Fundorte und den Erhaltungszustand der gefundenen Schriften eingegangen, am Schluss gibt es eine textkritische Diskussion und einen Versuch, die richtigen Lesarten zu finden. Den Löwenanteil machte der Mittelteil aus, in dem die arabischen Textfragmente in lateinischer Umschrift dargeboten werden, es folgt jeweils eine kurze Übersetzung und der entsprechende griechische Text beziehungsweise die griechischen Varianten. Ohne Arabisch lesen zu können, hat mir doch ein wenig die arabische Schrift gefehlt. Kam mir irgendwie komisch vor, nur die kursive Umschrift zu sehen. Der Einblick in die Überlieferung war sehr interessant, vor allem, da die orientalischen Gelehrten offenbar an vielen Stellen sorgfältiger und wortgetreuer bei der Abschrift vorgegangen sind. Trotzdem ein Buch, das ich nicht jedem empfehlen würde, sondern wirklich nur Philologen, die sehr tief in den griechischen Text eintauchen und in Zweifelsfragen ein einzelnes Wort genauer beleuchten wollen.
Charles Baudelaire: Die Blumen des Bösen (Reclam)
Sehr destruktive und schwarze Inhalte in traditioneller, beinahe zierlicher Form, klassische Versmaße und Reime inklusive. Nicht ohne Grund ein Klassiker. Die Übersetzung scheint recht gut gelungen, vor allem weil die Übersetzerin sich auf die strenge Form einlässt und sich nicht auf eine Sinnwiedergabe in freien Versen beschränkt. Das Nachwort hätte umfangreicher ausfallen können, ein Kommentarteil fehlt, der Informationsgehalt ist also recht gering. Schade, da hätte ich mir mehr gewünscht.
Terenz: Der Eunuch (Reclam)
Nette antike Verwechslungskomödie. Es geht um einen jungen Mann, der sich bei seiner Geliebten einschleichen möchte. Am günstigsten erscheint ihm das in der Rolle eines Eunuchen, denn einen solchen hatte er ihr ja schon lange versprochen. Ein Geschenk, mit dem er auch den reichen Nebenbuhler glorreich auszustechen gedenkt. Das Ganze ist recht lustig und hat schließlich ein Happy End, bei dem auch der reiche Trottel eine freundliche Behandlung findet. Und der Schmarotzer, der sich mit Schleimereien ganz gut über Wasser hält, ist ebenfalls eine sehr einprägsame Figur mit tiefen Einsichten in die menschliche Psyche.
Nikolai von Michalewsky: Wintersturm ... in Böen dreizehn
Entdeckung im Antiquariat, die ich nicht liegen lassen konnte. Ein spannender Jugendroman über einen Bergungsschlepper und seine Besatzung. Sehr authentische Schilderungen des Bordlebens. Und ganz schön fies, wie die Mannschaft ihre Konkurrenz austrickst, um als erste beim Wrack zu sein. Da wird mit harten Bandagen gekämpft.
Nikolai von Michalewsky: In gefährlichen Tiefen. Grüner Auftrag für "Fortuna"
Noch ein Antiquariatsschnäppchen und Jugend-Abenteuer. Geschichte über einen deutschen Taucher, der einfach nur im Mittelmeer seine Ruhe haben möchte und ab und zu einen gut bezahlten Auftrag erledigen will. Eines Tages will ihn eine Umweltschutzorganisation engagieren, um versunkene Giftfässer zu finden und zu bergen. Doch das gefällt einigen Leuten gar nicht, und es wird lebensgefährlich. Sehr fesselnd geschrieben.
Ludwig Bauer: Orplid
- Der heimliche Maluff
- Orplids letzte Tage
Orplid ist vielleicht dem einen oder anderen von euch durch Eduard Möricke bekannt. Im "Maler Nolten" kommt ein Theaterspiel vor, das "Der letzte König von Orplid" heißt. Und vielleicht kennt ihr auch Mörickes Gedicht "Gesang Weylas": "Du bist Orplid, mein Land, / das ferne leuchtet ..." Orplid war eine Art frühes Fantasy-Königreich, das Möricke und sein Freund Ludwig Bauer in ihrer Jugend gegründet haben. Es gab auch einmal ein Taschenbuch, das Peter Härtling herausgegeben hatte und in dem die Orplid-Texte beider Autoren versammelt waren: Briefe, Gedichte und eben auch drei Dramen, von denen Mörickes "Letzter König" vollständig, die beiden von Bauer jedoch nur in Auszügen abgedruckt waren. Damals, vor rund 25 Jahren, hat mich das ziemlich gewurmt. Und als ich nun im Internet den Band mit den beiden Bauer-Dramen entdeckte, habe ich gleich zugegriffen. Das Buch ist schon ziemlich betagt, es erschien zum 100. Geburtstag Mörickes und enthält außer den beiden Dramen auch noch ein paar Anmerkungen Bauers zu Orplid.
Im "Heimlichen Maluff" geht es darum, dass ein Nachbarkönig Orplid angreifen will, was aber durch ein Wunder verhindert wird. In "Orplids letzte Tage" bricht die Bevölkerung der Insel ein Tabu, nämlich indem sie beginnt sich für Schifffahrt zu interessieren. Die Götter erfüllen daraufhin die alte Prophezeiung und lassen Orplid untergehen. Am Leben bleibt lediglich der König, dem es bestimmt ist, noch lange einsam auf der Insel zu leben. Das Stück erzählt also gleichsam die Vorgeschichte zu Mörickes Drama "Der letzte König von Orplid". .
Sehr interessant, wenn auch nicht gerade ein Pageturner. Das Buch hat durchaus seine Längen. Als Lektüre also eher denen zu empfehlen, die sich näher mit Orplid oder Mörickes Welt befassen möchten. Wer es nur zum Vergnügen in die Hand nehmen möchte, dem sei abgeraten.
Selma Meerbaum-Eisinger: Blütenlese (Reclam)
Ein beeindruckendes Büchlein. Zarte Verse, traurige Gedanken, Naturbeobachtungen. Einziges Werk, Frühwerk, Hauptwerk, zugleich Fragment und vollendet ... Ganz erstaunlich reif, was diese junge jüdische Frau dort schrieb, bevor sie, nur achtzehnjährig, im Jahr 1942 am Fleckentyphus starb, im Arbeitslager, wohin sie und ihre Familie deportiert worden waren. Ein besonderes Buch, werde es nicht vergessen.
Julie Zeh: Treideln
Wow! Klug, frisch, rotzfrech - so müssen Frankfurter Poetikvorlesungen gehalten werden. Lesebefehl an alle!
Hans Kruppa: Schenk dem Tag ein Lächeln
Es ist unfair, Hans Kruppa direkt nach Selma Meerbaum-Eisinger zu lesen. Er kann dadurch nur verlieren. Seine Gedichte sind nicht schlecht, meist mehr Aphorismen, meist darüber, wie es denn wäre, wenn wir Menschen uns einfach mal anständig benehmen würden, wenn wir unseren Mitmenschen freundlich, unseren Gefühlen ehrlich und unseren Gedanken mutig begegnen würden. Ja, wäre schön. Und schön ist das Buch auf jeden Fall geworden, die herrlichen Illustrationen, der tolle Einband. Ein schönes Geschenkbuch eben. Ein Lächeln für den Tag.
Alexis Kivi: Die sieben Brüder
Wie das "Kalevala" das finnische Nationalepos ist, so sind diese "Sieben Brüder" der finnische Nationalroman. Erzählt wird die Geschichte von sieben Brüdern, die nicht zur Schule gehen und nicht Lesen lernen wollen. Bärenstarke Kerle sind sie fast alle, gutherzig aber manchmal entsetzlich tollpatschig, leicht zu provozieren, manchmal auch einfach vom Pech verfolgt. So verpachten sie den elterlichen Hof und ziehen hinaus in die Wildnis, um hier ein neues Gehöft zu gründen. Eine Familiengeschichte der etwas anderen Art. Und ein Ausflug in die Welt der finnischen Sagen und Geschichten. Humorvoll, oft tragikomisch, aber doch eine ernste Geschichte. War gut.
Michael Buttler: Die Bestie von Weimar
Sabine Hartmann (Hrsg.): Gesalzene Morde
Wilhelm Herzberg: Das Hambacher Fest
Uraltes Buch, stammt aus dem Jahr 1908. Ich habe es 1995 zum ersten Mal gelesen, als ich mich auf meine mündliche Magisterprüfung vorbereitete, eines meiner Themen lautete nämlich "Das Hambacher Fest". Natürlich habe ich damals auch modernere Literatur herangezogen, aber dieser alte Schinken war für mich doch der beste Begleiter durchs Studium. Einfach, weil der Verfasser eine ungeheure Materialfülle zusammengetragen hatte. Originaldokumente, literarische und publizistische Texte, Gerichtsakten, Flugblätter und dergleichen, dazu wurde sehr anschaulich die Vorgeschichte herausgearbeitet, die Bedingungen damaliger Politik, die Herkunft und Ziele der Protagonisten. Kleine Ereignisse am Rande, Details, Anekdoten, Liedtexte und Auszüge aus den Reden, der Werdegang der Hambacher nach dem Fest ... Das war nicht nur übersichtlich, detailreich und im großen Zusammenhang dargestellt, sondern dabei auch sehr anschaulich. Kein Wunder, dass für mich jetzt, als ich mich für meinen historischen Roman "Freiheitsschwingen" erneut in das Hambach-Gefühl hineinlesen wollte, kein anderer als der alte Herzberg-Text infrage kam. Also, falls ihr ihn irgendwo im Antiquariat herumliegen seht: Nehmt ihn mit, es lohnt sich.
September
Erik Schreiber (Hrsg.): Geheimnisvolle Geschichten: Steampunk
Nicolo Macchiavelli: Lorenzo il Magnifico / Lorenzo der Prächtige
Zweisprachige dtv-Ausgabe, ein Auszug aus Macchiavellis "Geschichte von Florenz". Antiquarischer Zufallsfund. Die Geschichte ist nicht uninteressant, eine sehr beeindruckende Persönlichkeit zweifellos. Nur eine 2/3-Seite Anmerkungen und ein dreieinhalbseitige Nachwort sind allerdings ziemlich wenig. Dafür gibt es noch eine knapp zweiseitige Bibliographie.
Peter Hereld: Das Geheimnis des Goldmachers
Ein historischer Roman, der in meiner Heimatstadt Hildesheim spielt. Robert "der Schmale" ist einer der wenigen Überlebenden des "Kinderkreuzzugs". Er geriet in Gefangenschaft, wurde einem reichen Orientalen verkauft, hat dort Jahre zugebracht und konnte nun flüchten. Zusammen mit seinem arabischen Freund Osman kehrt er nach Deutschland zurück. Eigentlich wollen die beiden nach Köln, doch nach ihrer Ankunft in Bremen müssen sie nun in Hildesheim einen Zwischenstopp machen. Dabei begegnen sie Albertus Magnus, der hier im Auftrag des Papstes alchimistische Studien betreibt und nach einem Weg suchen soll, Gold herzustellen. Als wenig später der Goldmacher entführt wird, sind die Fremden natürlich die ersten Verdächtigen. Zumal die Inquisition bereits ein Auge auf die seltsamen Morgenländer geworfen hat. Robert und Osman haben nur eine Chance: Sie müssen Albertus finden und seine Entführer zur Strecke bringen, bevor sie selbst gefasst werden.
Der Roman zeugt von großer Sachkenntnis und akribischer Recherche. Peter Hereld kennt vermutlich jeden Stein im mittelalterlichen Hildesheim. Und auch die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse in der Stadt wirken gut recherchiert und mit Liebe zum Detail ausgeführt. Etwas anstrengend sind die vielen Tempusfehler, da der Autor konsequent den Gebrauch des Plusquamperfekts vermeidet. Gibt es denn bei Gmeiner keine deutschsprachigen Lektoren? Unangenehm ist auch, dass der Name Jesus Christus ständig falsch dekliniert wird ("Gelobt sei Jesu Christi!"). Ansonsten ein schöner Ausflug ins mittelalterliche Hildesheim, der mir viel Spaß gemacht hat.
Die großen Reden der Indianer. Hrsg. v. Renate Kiefer und Lenelotte Möller
Sehr umfangreiche Sammlung indianischer Rhetorik. Fast alles freilich überliefert von Weißen, das meiste später aus dem Gedächtnis aufgeschrieben. Und wenn überhaupt zuverlässig überliefert, dann auch nur in der Version, die die Dolmetscher weitergaben. Insofern alles Texte, die mit einem leichten Fragezeichen versehen sind. Davon abgesehen aber: Ein Lesebuch starker rhetorischer Literatur, die sich vor keinem antiken Redner zu verstecken braucht. Ein bisschen hat sich das Gleichgewicht anscheinend in Richtung der östlichen Stämme verschoben. Seneca, Shawnee, Irokesen und verwandte Nationen sind recht gut dokumentiert, vor allem durch bekannte Redner wie Sagoyewatha (Red Jacket) oder Tecumseh. Wohingegen mir die Plainsstämme recht dürftig vertreten vorkommen. Vermisst habe ich Joseph II. Vermisst habe ich Äußerungen der großen Lakotahäuptlinge. Aber was drin ist, ist gut.
Michael Krüger: Umstellung der Zeit
Ein sehr ruhiger, beinahe kontemplativer Gedichtband. An Haikus gemahnende Momentaufnahmen, unter denen ein Stück Ewigkeit hervorschimmert. Vieles kommt leicht daher und erst am Schluss findet man den kleinen desillusionierenden Haken, der aber doch wieder nur ein Teil des Ganzen ist und mit dazu gehört wie Amselgesang und Blätterrauschen. Es ist eine recht abgeklärte Sammlung, der Autor scheint viel erlebt und erfahren zu haben, und so schreibt er auch. Jemand, der weiß wovon er spricht. Leise, ohne die Stimme zu heben. Einer, der nichts mehr beweisen muss.
Jocho Yamamoto: Die Lebensweise eines Samurai. Aus dem "Hagakure" (Reclam)
Ein Einblick in das Leben und die Ideale der Samurai. Es ist ein Auswahlbändchen aus den ersten beiden Büchern des "Hagakure", der "Bibel der Samurai", das ich aus dem Libri-Prämienshop habe. Es geht um Gefolgschaftstreue, um korrektes Verhalten gegenüber seinem Herrn, um das Üben von Barmherzigkeit und Gnade, aber auch darum, wie man seinen Herrn am geschicktesten ermahnt. Hilfreiche Fußnoten. Ein vollkommen unzureichendes Nachwort - zwei Seiten für einen Text aus so einer fremden, fernen Welt und Zeit, das reicht einfach nicht. Insgesamt hochinteressant, wenn auch absolut nicht meine Welt.
Christian Lehnert: Auf Moränen
Ein Gedichtband, mit dem ich nicht ganz warmgeworden bin. Der Autor ist versteht sein Handwerk, er ist klug und hat viel gedacht, das merkt man. Und die in 23 Abschnitte gegliederte Dichtung "Nicht fester als Atemluft", die Zitate von Erich Mielke und aus Texten von und über ihn verwendet, ist sicher hochinteressant, ebenso wie die Virgilien, die auf Pauluszitaten aufbauen. Schlecht ist es nicht. Nur meins ist es auch nicht.
Ruggero Leo (Hrsg.): Große Geschichten vom kleinen Volk
So ein dicker fetter Ziegelstein - über so kleine Leute. Es geht um Hobbits, auch wenn das im Buch sicherheitshalber nicht gesagt wird. "Hobbits" sind als geistiges Eigentum Tolkiens noch nicht frei verwendbar, also wird hier im Buch konsequent von "Halblingen" geschrieben. Dass das Buch passend zum Kinostart des ersten Hobbitfilms erschien, wurde bei Basei-Lübbe aber wohl mehr als billigend in Kauf genommen.
Es ist ein edles Buch. Vornehmer Klappenbroschur-Umschlag mit erhaben geprägtem Titel in Gold, wunderschön illustriert und geschrieben von der Elite der deutschen Fantasy. Das Buch enthält 15 Geschichten, die zum Teil schon den Namen Kurzromane verdienen. Da ist Thomas Finns Geschichte von Fido Pfeifbock, der als "Held wider Willen" auf die Drachenjagd geht. Da ist der scharfsinnige Halblingsdetektiv Shloko Holmser, den Bernd Perplies gegen einen unsichtbaren Armbrustschützen ermitteln lässt. Alexander Lohmann lässt seinen Halbling das "Herz der Finsternis" suchen (Anmerkung: Der Name "Leuchmadan" für den Bösesten aller Bösen verdarb mir etwas den Lesegenuss. Ich las immer wieder versehentlich "Leuchtmade" und musste unwillkürlich an einen phoshoreszierenden Engerling denken ...). Linda Budinger erzählt die Geschichte einer Fehde zwischen zwei Halblingsdörfern und schickt zwei Vertreter dieser Dörfer in eine Gefahr, die sie jede Dorffehde vergessen lässt. Interessante Wesen, diese Gogler, von solchen magischen Gestalten mit Innenschale würde ich gern mehr erfahren. Wolfgang Hohlbein versetzt seine Halblinge sogar ins Milieu der Filmstudios, wo sich herausstellt, dass Orks auch ihre guten Seiten haben.
Ein rundum gelungener Band mit tollen Geschichten. Einziges Manko: Für einen notorischen Badewannenleser wie mich ist das Ziegelsteingewicht in der Hand ziemlich unbequem. Wer zu viel liest, den bestraft das Handgelenk.
Die Welten von Thorgal. Lupine 3: Das Reich des Chaos
Monica Davis: Nick aus der Flasche
Franz Grillparzer: Des Meeres und der Liebe Wellen (Reclam)
Tragödie um den Sagenstoff von Hero und Leander. Habs mir vor allem angeschafft, weil mich schon lange der Gedanke an Heinrich Laube beschäftigt hat, der ja seinerzeit als Chef des Burgtheaters - wider alle Erkenntnisse über griechische Architektur - im Tempel eine Treppe errichten lassen hat, um anhand des physischen Aufstiegs zu illustrieren, wie sich die Seele der schönen Hero erhebt. Da wollte ich doch mal die Tempelszene anschaun.
Wer von den alten griechischen Tragödien herkommt, wird das hier manchmal als zu überschwänglich und zu viel Gewimmer empfinden. Grillparzer ist einfach etwas zierlicher und märchenhafter. Wüsste zu gern, was Friedrich Hebbel aus dem Stoff oder aus der Libussa oder Sappho gemacht hätte.
Cyprian Norwid: Das Geheimnis des Lord Singelworth. Novellen
Kleines Hardcoverbändchen aus der Insel-Bücherei, illustriert von Barbara Müller-Wolf. Ich hab es mal in einer Bücher-Mitnahmestelle entdeckt, und da mich der Untertitel "Novellen" lockte, nahm ich es mit.
Vieles davon würde ich nicht als Novellen bezeichnen. Die "Schwarzen Blumen" zum Beispiel sind eher eine aneinandergereihte Sammlung von Anekdoten und Gedanken über den Tod. "Menego" handelt von einem Mann, der den Namen eines Jungen falsch ausspricht ("Menego" = Koseform von Domenicus; "me nego" = italienisch für: "Ich ertrinke") und damit unwissentlich eine Prophezeiung für sein eigenes Ende ausspricht.
Am besten haben mir die beiden letzten Geschichten gefallen. "Ad Leones" handelt von einem Bildhauer, der ein Christenpaar in der Arena bei ihrer Hinrichtung durch Löwen darstellen will. Das Steinbild ist halb fertig, als ein reicher Kunstkäufer in die Stadt kommt. Als sich das Gerücht verbreitet, der Mann sei Jude, lässt der Bildhauer das Kreuz aus den Händen der Frau lieber verschwinden und ersetzte es durch einen symbolträchtigen Schlüssel. Wenig später wirft der Bildhauer seine ganzen Pläne über Bord und passt sich immer mehr den Vorstellungen seines Kunden an. Zum Schluss wird aus dem Löwen zu Füßen der Christen auch noch ein Geldkoffer, dessen Schlüssel die tüchtige Hausfrau wohl verwahrt.
Schön auch die Titelgeschichte. Lord Singelworth ist ein wohlhabender und wohlgeachteter Mann mit einer kleinen sonderbaren Angewohnheit: Jeden Tag steigt er zur Mittagsstunde in einem Heißluftballon auf und bleibt ziemlich lange dort oben. Niemand weiß, was er dort treibt. Wissenschaftliche Forschung? Körperhygiene? Es werden Wetten abgeschlossen. Schließlich kommt eine Gesandtschaft aus Mitgliedern der verschiedenen Fraktionen zum Lord und verlangt vehement Auskunft ...
Hörbücher
Edith Nesbit: Die Macht der Dunkelheit
Edith Nesbit ist die Verfasserin einiger meiner liebsten Kinderbücher. Dass sie auch gruselige Sachen schreiben konnte, habe ich letztes Jahr aus dem Titania-Hörspiel "Das violette Automobil" gelernt. Auch "Die Macht der Dunkelheit" ist eine Horrorgeschichte, die ziemlich gruselig wirkt, vor allem wenn man sie wie ich nachts im Auto auf der Fahrt durch dunkle, einsame Waldgebiete hört. Dabei ist die Geschichte - oder besser: die beiden Geschichten, denn innerhalb der Story wird eine zweite erzählt - eigentlich recht simpel. Doch durch die Atmosphäre, die die Hörspielmacher erzeugen, entsteht eine enorme Schauerwirkung.
Worum geht es: Ein Künstler-Ehepaar entdeckt ein traumhaftes Haus am Meer. Die Frau verliebt sich sofort in das Haus, und es ist erstaunlicherweise für einen so geringen Preis zu haben, dass sich selbst die beiden recht armen Helden es leisten können. Sie sind glücklich. Allerdings gibt es einen furchtbaren Moment, als sie beim Erkunden ihrer neuen Heimat in einer Kapelle zwei Sarkophage entdecken, in denen zwei riesenhafte, böse Ritter liegen. Panische Angst ergreift die Frau. Der Mann empfindet nichts. Wenig später sind die Ritter vergessen. Die Frau verfasst eine Horrorgeschichte und kann sie sehr vorteilhaft an einen Verlag verkaufen. Am prasselnden Kaminfeuer liest sie ihrem Mann vor, was sie geschrieben hat. Es ist eine wahrhaft furchtbare Geschichte über einen Mann, der sich wegen einer Mutprobe nachts in einem Wachsfigurenkabinett einsperren lässt und dabei wahnsinnig wird.
Wenig später bricht die Nacht an, in der die Ritter, einem alten Aberglauben zufolge, lebendig werden und mordend durch ihren alten Besitz ziehen ...
Wie gesagt, beide Geschichten sind eher schlicht und geradlinig. Aber das, was die Hörspielmacher daraus geschaffen haben, ist einfach brrr.....
Hans Scheibner: Bevor ich abkratz, lach ich mich tot
Liebenswert und bösartig, lästerlich, humorvoll und mit einem scharfen Blick für allgemeinmenschliche Verschrobenheiten - Hans Scheibner ist ein kabarettistisches Urgestein, das ich in den letzten Jahren etwas aus den Augen verloren habe. Da musste ich zugreifen, als mir dieses CD in die Hände fiel. Und er kann's noch immer. Ob er von seinen eigenwilligen Reparaturarbeiten erzählt, bei denen immer "was über" bleibt, oder von dem kleinkarierten Nachbarn, der vor seinem Grundstück immer so sorgfältig harkt und bei dem es so herrlich viel Spaß macht, durch das "Geharkte" zu trampeln, oder ob er von seinem Freund den Tipp bekommt, doch einfach mal die Haustür zufallen zu lassen, um mit seinen Nachbarn ins Gespräch zu kommen - das alles ist gut beobachtet, weitergedacht und schließlich mit diesem kleinen absurden Schuss zu viel auf die Spitze getrieben, der einfach schön ist. Hat mir Spaß gemacht.
Jahresrückblick 2013, Teil I: Januar bis März
Jahresrückblick 2013, Teil II: April bis Juni
Jahresrückblick 2013, Teil IV: Oktober bis Dezember
© Petra Hartmann