Jahresrückblick 2013, Teil IV
Jahresrückblick
Willkommen zum vierten und letzten Teil meines Rückblicks auf das Lesejahr 2013. In den ersten beiden Monaten des vierten Quartals werdet ihr nichts Auffälliges finden - aber dann, im Dezember, gab es eine wahre Explosion. Was war da los? Nun, seit dem Nikolaustag bin ich "elektronisch". Eine gute Freundin konnte das Elend wohl nicht mehr ertragen und hat mir kurzerhand einen Kindle geschenkt. Drei Jahre oder mehr habe ich mich gegen dieses Elektrozeugs gewehrt und habe das hohe Lied des Papierbuchs gesungen ... 30 Sekunden hielt ich das Teil in der Hand und verfiel prompt in einen wahren Leserausch. So kann es gehen. Dass ich das Gerät zunächst dazu nutzte, um uralte Klassiker zu laden, die ich ohnehin beinahe auswendig kenne, muss euch nicht verwundern. Es ging mir einfach darum, bestimmte "besondere" Bücher immer bei mir zu haben. Oder so. Und außerdem gab es die meisten kostenlos. Also dann, auf in die elektronische Zukunft. (Wobei ich in der Badewanne weiterhin Papierbuchleser bleibe.)
Oktober
Gustav Adolf Seek: Homer (Reclam)
Eine sehr detaillierte Darstellung der beiden großen Epen "Ilias" und "Odyssee". Leider furchtbar redundant, bestimmte Sachen werden immer wieder und wieder in neuen Variationen vorgetragen und breitgetreten. Man möchte beim Lesen immer wieder sagen: "Danke, ich hab's kapiert, schon beim ersten Mal." Auch die sehr kurzen Kapitel machen das Buch schwer zu lesen. Man kommt nicht in einen "Lesefluss" hinein und hat ständig "Aussteiger" vor sich, um das Buch erstmal wieder zuzuklappen. So habe ich sehr lange gebrauch, damit durchzukommen. Was drinsteht, ist eigentlich gar nicht schlecht. Aber sehr zäh.
Erik Schreiber (Hrsg.): Wolfsmärchen
Eine sehr schöne und umfangreiche Zusammenstellung von Wolfgeschichten aus aller Welt. Das Buch hat mir sehr gefallen und ist eine wahre Fundgrube für Wolfsfans. Eine etwas andere Gliederung hätte ich mir gleichwohl gewünscht. Zum Beispiel hätte man Texte mit ähnlichen Motiven zusammenstellen können. Etwa die zig Varianten der Geschichte, dass der Fuchs oder Wolf heimlich auf einen fahrenden Wagen springt und die nahrhafte Ladung herunterschubst. Wenn man sie hintereinander angeordnet hätte, wäre der gelangweilte "Kenneichschon"-Effekt ausgeblieben, der solchen Wiederholungen etwas Zähes verleiht. Und wenn man die Geschichten eines Kulturkreises zusammengestellt hätte, wäre sicher auch aufgefallen, dass Lessings Fabel vom alten Wolf zweimal im Buch vorkam. Vermutlich hätte an der Stelle des zweiten alten Wolfs die Geschichte vom Hirten stehen sollen, der aus Mutwillen rief: "Der Wolf ist da!", die leider fehlt.
Sehr gefallen haben mir die indianischen Märchen. Vor allem das, in dem mit den Klischees über die einzelnen Nationen gespielt wird: Der Engländer macht sich auf, den Wolf zu erschießen, will jedoch vorher noch seinen Tee trinken und wird dabei vom Wolf gefressen. Der Deutsche setzt sich erst hin und liest Bücher über Wölfe und wird während des Lesens überfallen usw. Eine schöne, dicke, materialreiche Sammlung voller überraschender Fundstücke. Lesenswert.
Petra Gabriel: Hanna Himmelwärts
Ein Jugendbuch über eine Schülerin, die gerne segelfliegen würde. Hanna ist 14, leidet darunter, dass sie ziemlich groß ist, fühlt sich linkisch und ungeschickt und hat überhaupt ziemlich viel von einem typischen Teenager, der noch nicht recht hineinpasst in die Welt. Und wann immer sie in ihrer Tollpatschigkeit etwas verbockt, stöhnt die Familie unisono: "Oh Hanna!"
Da entdeckt sie auf einer Klassenfahrt ihre große Liebe: das Segelfliegen. Fortan hat sie nur noch ein Ziel: den Segelflugplatz im benachbarten Ort Hütten, wo sie unbedingt Flugstunden nehmen und ihren Segelflugschein machen will. Leider sind die Eltern strikt dagegen. Es folgen eine gefälschte Unterschrift, ständige Ausreden und geplatzte Alibis für ihre Arbeitsstunden auf dem Flugplatz - Hanna verstrickt sich immer mehr in ihr Netz aus Lügen. Aber dann stellt sich heraus, dass es noch eine weitere Lüge in ihrer Familie gibt. Eine, die Hannas große Schwester vollkommen verzweifeln und von zu Hause weglaufen lässt. Hanna versucht, ihre Familie zu retten und die Verschwundene zu finden.
Das Buch ist sehr lebendig und fesselnd geschrieben. Durch die Ich-Perspektive und die Erzählweise im Präsens hat der Leser tatsächlich das Gefühl, hautnah dabei zu sein und die Dramatik von Hannas großen und kleinen Katastrophen am eigenen Leibe mitzuerleben. Die Geschichte ist äußerst spannend, und man fiebert regelrecht mit, ob und wie Hanna die Situation meistern wird.
Etwas schade fand ich, dass das Segelfliegen nicht einen wesentlich größeren Raum einnimmt. Da hätte ich gern mehr gehört. Ich wäre gern bei Hannas Arbeitsstunden auf dem Flugplatz stundenlang an ihrer Seite gewesen, hätte gern mehr technische Einzelheiten erfahren, mehr über ihre Erlebnisse bei den Flugstunden, über all die Sachen, die schief gehen können oder mit denen ein junger Flugschüler Probleme hat. Ich hätte ihr gern beim Büffeln für die theoretische Prüfung über die Schulter geschaut und die eine oder andere unvorhergesehene Windbö gespürt. Familiengeschichten gibt es viele, und Liebeskram kommt in jedem Teenagerbuch vor. Da hätte ich mir gewünscht, dass die Autorin ihr bzw. Hannas segelfliegerisches Alleinstellungsmerkmal etwas weiter ausreizt.
Herausgekommen ist immer noch ein spannendes, mitreißendes Jugendbuch, das ich unbedingt empfehlen kann. Oh Hanna!
Christa Lippich: Psst! Geheimnis!
Kinder-Bilderbuch mit sehr liebenswerten Illustrationen. Erzählt wird die Geschichte eines Bären und eines Hasen, die eigentlich die besten Freunde sind. Aber eines Tages hat der Hase ein Geheimnis vor dem Bären und will ihm nicht sagen, was es ist. Die Geschichte ist nett und liebenswert. Auf den erwachsenen Leser wirken die ständigen Wiederholungen zwar geradezu nervtötend. Der Bär ist niemals einfach nur der Bär, sondern immer "der große braune Bär", der Hase ist stets "der kleine weiße Hase", und zu jedem Waldbewohner, den er trifft, sagte der große braune Bär: "Der kleine weiße Hase weiß etwas, das ich nicht weiß, und will mir nicht sagen, was es ist. Weißt du es?" Aber das ist es gerade, was Kinder so lieben an ihren Büchern, diese ständigen Wiederholungen. Und sie werden demnach begeistert mitquietschen, wenn der Bär zum gefühlt tausendsten Mal fragt. Ach ja: Das Geheimnis wird am Ende gelüftet, und der Hase entpuppt sich tatsächlich als weiterhin bester Freund des Bären, dem er eine wundervolle Geburtstagsüberraschungsparty organisiert hat.
Sina Schneider & Teresa Ginsberg (Hrsg.): PragMagisch
Mein Lieblingssatz aus dem Buch "PragMagisch"? Ganz klar: „UkonÄete prosÃm výstup a nástup, dveÅ™e se zavÃrajÃ.“ Wer jemals in Prag gewesen ist, wird mich verstehen und sich an die alte Zauberformel erinnern. ;-)
Das Buch bietet phantastische, zumeist düstere und melancholische Erzählungen aus der goldenen Stadt. Meine Favoriten sind "Die Kinderstehlerin" (Sabrina Železný), in der es um die "Polednice" geht, einer Kindervertauscherin in der Verwandtschaft der Wechselbalg-Sagen, und "Seelenzettel" (Fabienne Siegmund), in der die Schwäne auf der Moldau eine Rolle spielen - und eine junge Frau, de sich in einen von ihnen verwandelt hat. Als drittes möchte ich noch "Die Herren Lehmann" (Siri Kusch) hervorheben. Es ist eine der wenigen humorvollen Geschichten in diesem Buch und setzt einen sehr schönen Lichttupfer in die sonst recht düstere, schwerblütige Anthologie. Es geht um einen jungen Musikstudenten, der ein Auslandssemester in Prag verbringt und eine recht günstige alte Kommode erwirbt, um sich im Studentenwohnheim einzurichten. Beim Saubermachen läuft er um die Komode herum, was, da zeitgleich im CD-Player Händels "Messias" läuft, zufälligerweise zu einem Ritual wird, das zwei Miniatur-Golems aus in der Komode befindlichen Lehmresten erweckt ... Einfach schön.
Weniger gut gefallen hat mir an dem Buch das Schriftbild. Um die 20 Geschichten auf nur 103 Seiten zusammenzupressen, wurde die Buchstabengröße derart reduziert, dass das Lesen sehr anstrengend ist. Ja, ich weiß, Papier ist teuer. Aber Senioren jenseits der 40 als Leser auszuschließen, das kann auf Dauer noch wesentlich teurer werden.
Felix Woitkowski et al.: The End
Ein Buch, über das ich hier gar nicht soviel sagen möchte, weil ich ja selbst "die Finger drinhabe". Also nur kurz soviel, dass mir die Aufmachung sehr gut gefallen hat. Viele kleine Ideen rund ums finale Buchthema. Meine Lieblingsgeschichte ist der Western-Schluss. Und das Zombie-Ende. Und der Heimatroman hätte auch gut werden können, wenn da nicht ganz fies gemogelt worden wäre. Bah, was für ein böser Stilbruch. ;-)
Mirjam Rademacher: Krebs in Knoblauch. Mit Bildern von Irene Glockengießer
Bezauberndes Märchen über einen Krebs, der eine Flaschenpost findet. Herrlich die Diskussion der beiden, ob man nicht mal nachschaun sollte, was denn eigentlich für eine Botschaft auf dem Zettel steht. Und ein Extrapunkt für die Flaschenpostflasche, die nachdenklich ihr Etikett runzelt. Dazu wundervolle Illustrationen in einer ganz besonderen Technik, ein richtig schönes Buch.
Dirk van den Boom: Eine Reise alter Helden
November
Bartholoäus Figatowski (Hrsg.): Wovon träumt der Dom?
Jan Cayers: Beethoven - der einsame Revolutionär
Eine sehr gute und umfangreiche Biographie, die auch das musikalische Umfeld, die Wiener Gesellschaft, die politischen und geschichtlichen Hintergründe ausführlich darstellt und mache Entscheidungen Beethovens verstehbar macht. Man erfährt zum Beisiel sehr viel über die technischen Weiterentwicklungen vor allem des Klaviers, an denen Beethoven nicht nur lebhaften Anteil nahm, sondern die er selbst in Kontakt mit "seinen" Klavierbauern anregte und vorantrieb. Dass der Klavierbauer bzw. Klavierbauerinnengatte Streicher indentisch mit Schillers Streicher war, war mir bislang noch nicht klar ...
Cayers kennt sich auch sehr genau aus mit den materiellen Fragen, die Beethoven beschäftigten und belasteten. Vor diesem Hintergrund analysiert er unter anderem auch die Anekdote um die zerrissene Widmung der "Eroica" und macht klar, dass Beethoven schon im Vorfeld sehr gezielt nach großzügigen Gönnern und Adressaten für seine dritte Symphonie gesucht hatte und nun endgültig zu dem Schluss gekommen war, dass bei Napoleon nichts mehr zu holen war. Und er zeichnet auch sehr genau nach, wie die Vermögensverhältnisse von Beethovens Freunden aussahen und wann genau welcher Sponsor pleite war.
Faszinierend auch, wie der Autor neue Erkenntnisse aus der Kriminalistik schildert. So wurde anhand von chemischen Analysen und Schriftuntersuchungen festgestellt, dass Beethovens letzter Sekretär Schindler die legendären "Konversationshefte", mit deren Hilfe Freunde und Besucher sich mit dem tauben Komponisten verständigten, massiv gefälscht hatte, um seine eigene Rolle besonders hervorzuheben. Viele dieser Dokumente sind erst nach Beethovens Tod entstanden.
Cayers zeichnet das Porträt eines widersprüchlichen, manchmal widerborstigen Menschen, eines sehr schwierigen und oft unangenehmen Zeitgenossen, mit dem befreundet zu sein sicher nicht ganz leicht war. Er tut dies jedoch immer in einer Weise, die die Liebe zu seinem Komponisten durchscheinen lässt. Es ist weniger ein glorifizierendes Heldenbuch als vielmehr die freundliche Schilderung eines Menschen mit Ecken und Kanten, an dem, gerade weil er so groß ist, auch die Kleinlichkeiten und Unschönheiten betrachtet werden können, ohne in Kleinmacherei auszuarten oder dem Respekt und der Hochachtung Abbruch zu tun. Ein ehrliches Buch demnach, und eine sehr empfehlenswerte Darstellung eines großen Künstlers und Menschen.
Werner Bergengruen: Die letzte Reise
Henry Kuttner: Lord der Dunklen Welt
Ein Fehlkauf, gebe ich zu. Ich befasse mich ja seit einiger Zeit mit dem Thema "Gegenerde", und als ich das Wort mal spaßeshalber bei Amazon eingab, spuckte mir der Rechner diesen Titel aus. Die Inhaltsangabe in der Wikipedia ließ mich schon ahnen, dass es hier nicht um einen Planeten auf der anderen Seite der Sonne gehen würde, aber das Buch war gebraucht und billig, da nahm ich es halt mit.
Es ist ein recht dünnes Taschenbuch, nur 145 Seiten, und spielt in einer Parallelwelt, der "dunklen Welt". Beherrscht wird diese andere Erde von einer Gruppe Tyrannen, deren übelster Lord Ganelon ist. Nun schaffen es Rebellen jedoch, Ganelon durch seinen Zwilling, den von unserer Erde stammenden Edward Bond auszutauschen. Bond landet in der Zwillingswelt und schließt sich als anständiger Mensch den Rebellen an. Auch als die Bösen den Tausch rückgängig machen, bleibt Bonds Bewusstsein im Körper des dunklen Lords zurück und verdrängt ihn langsam. Es kommt zum Kampf gegen die dunklen Herrscher, in dem schließlich das Gute siegt.
Nicht unbedingt ganz große Literatur, keine großartigen Überraschungen, sehr geradlinig und ohne Verschlingungen erzählt. Aber ganz ordentliche Unterhaltung, es liest sich schnell und in einem Zuge durch, und ich habe mich nicht gelangweilt dabei.
Dezember
Günther Haselbusch: Der Elchkönig
Uraltes Kinderbuch, das ich vor vielleicht 35 Jahren mal gelesen hatte. Dann ging es mir verloren, und ich habe immer wieder überlegt, wie es wohl war und was darin vorkam. Ich konnte mich nur an die eindrucksvolle Szene erinnern, wie der Elch durch das Haff geschwommen ist. Fand das Buch auch lange nicht, weil ich glaubte, der Titel sei "Schnauf, der Elchkönig". Jetzt also dank Amazon Marketplace die Wiedebegegnung mit einem Helden meiner Jugend.
Ja, okay, es ist sehr einfach gestrickt. Und die langen Vorträge des Försters über Elche und ihre biologischen Eigenarten sind handwerklich nicht allzu gut gemacht. Aber die Fahrt mit dem Trog über das zugefrorene kurische Haff hat immer noch etwas. Schön, dass ich das Buch wiedergefunden habe.
Alisha Bionda (Hrsg.): Sherlock Holmes und der verschwundene Schädel
Clemens Brentano: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl (Reclam)
Hab mich lange nicht überwinden können, dieses Buch zu lesen. Der Titel hat mich glauben lassen, es sei ein Kasperltheaterstück. Ist es aber nicht. Es geht vielmehr um die tragische Geschichte eines Soldaten mit einem extrem verhärteten Begriff von Ehre, der schließlich ihn und seine Geliebte in einen unehrenhaften Tod treibt. Sehr schlimme Geschichte. Sollte man gelesen haben.
Ulrich Wißmann: Böser Zauber. Schwarze Magie auf der Navaho Reservation
Frank Begay, der Fährtenleser von der Navaho-Stammespolizei ist zurück. Nach Ermittlungen in Reservationen der Lakota und Apachen ist er diesmal in seinem eigenen Territorium unterwegs: Eine Navaho-Familie, die im Hopi-Gebiet lebte, wurde niedergemetzelt. Die Täter waren, wie die Spurensuche ergibt, vier Weiße. Einzige Überlebende des Überfalls sind ein junger Navaho und sein weißer Schulkamerad, die sich in einen Canyon geflüchtet haben. Die Mörder nehmen die Verfolgung auf. Frank Begay und ein weißer Kollege vom FBI folgen ihnen ebenfalls. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt. Was keiner von ihnen ahnt: Im Canyon lauert eine tödliche Gefahr. Denn die abergläubischen Erzählungen von einem Hexer oder Navaho-Wolf, der dort sein Unwesen treiben soll, sind mehr als abergläubische Erzählungen ...
Ulrich Wißmanns dritter Thriller um den Navaho-Polizisten ist der bisher beste Roman aus der Reihe. Es ist faszinierend, den Spurenleser einmal auf seinem eigenen Terrain zu erleben. Die Kombination von Kriminalistik und Navaho-Spiritualität, die den Navaho eigene Scheu vor Toten, die gerade bei einem Polizisten ein großes Handicap ist, und Begays ruhige und sympathische Art zu ermitteln machen den Protagonisten zu einem höchst eigenständigen Charakter, mit dem man gern das Indianerland durchstreift.
War es in den anderen beiden Fällen Begay, der sich von seinen Begleitern über die kulturellen und psychologischen Eigenheiten der Stämme unterrichten lassen muss, so ist nun er sebst der Fachmann, dem der Autor einen freundlichen und lernwilligen Kollegen an die Seite gestellt hat, um die für den Leser nötigen Fragen zu stellen. Sehr authentisch wird die eigentümliche Landschaft des Navaho-Gebietes dargestellt und die tiefe Verbindung der Bewohner zu ihrem Land. Etwas schade, dass der Autor die Schlussszene, als Begay und sein Freund sich nach den Ermittlungen innerlich und äußerlich reinigen, nicht direkt schildert. So wird das Ritual in einer sehr langen, ermüdenden Plusquamperfekt-Passage nacherzählt, als alles bereits überstanden ist. Ein sehr ungelenker Abschluss eines ansonsten mitreißenden Abenteuers.
Fazit: Ein spannendes Buch. Ich freue mich auf Begays vierten Fall.
Kindle-Ausgaben
Karl Gutzkow: Der Sadduzäer von Amsterdam
Novelle aus dem Jahr 1834 über Uriel Acosta. Uriel und seine Familie, getaufte Juden aus Portugal, wanderten nach Holland aus und kehrten dort zum alten Glauben seiner Väter zurück. Allerdings bringen ihn seine philosophischen Studien in Konflit mit der jüdischen Geistlichkeit. ähnlich wie Galileo Gailei mit der christlichen Kirche. Über ihn wird der Bann verhängt. Was für den Wahrheitssucher vielleicht noch erträglich ist, doch seine Geliebte Judith, die ihm in die Verbannung folgt, droht darunter zu zerbrechen. Acosta widerruft und dtut damit der Form Genüge. Doch er kann von der Philosophie nicht lassen. So wird ein zweiter, schwererer Bann verhängt. Getrieben von seiner Geliebten und seinem verräterischen Vetter willigt er erneut in einen Widerruf ein, wird dabei jedoch so schwer gedemütigt und so hart gezüchtigt, dass er darüber wansinnig wird. Während der Bußveranstaltung soll gleichzeitig Judiths Vermählung mit dem Vetter statfinden. Uriel dreht durch, stürzt mit einer Pistole bewaffnet davon, er und Judith sind schließlich im Tod für immer vereinigt.
Sehr eindrucksvolles Stück. Ich habe darüber eine Seminararbeit geschrieben, die später eingang fand in mein Buch "Zwischen Barrikade, Burgtheater und Beamtenpension". Eine gute alte Freundin also, diese Novelle.
Heinrich Heine: Der Rabbi von Bacherach
Heines Novellenfragment, in dem er sich auf die Suche nach seinen jüdischen Wurzeln begibt. Ich muss es wohl das erste Mal im Sommer 1987 gelesen haben, als ich Heine für mich entdeckte. Wenig später hörte ich es auf einem Vortragsabend im Hildesheimer "Vier Linden", eine sehr eindrucksvolle Veranstaltung.
Es fängt sehr traurig, bedrückend an mit jenem Sederabend in Bacherach, als fremde Christen ein totes Kind ins Haus des Rabbis schmuggeln, um einen Vorwand für ein Pogrom zu haben. Dann die Szene am Frankfurter Tor, lustig, heiter, fast hemmungslos albrig, wenn die Erinnerung an die Toten nicht wäre ... Schließlich die Begegnung mit dem Jugendfreund des Rabbis. Ich frage mich, wie es weitergegangen wäre, wenn Heine es fortgesetzt hätte.
Karl Gutzkow: Uriel Acosta
Zwölf Jahre nach der Novelle "Der Sadduzäer von Amsterdam" machte Gutzkoew aus dem Stoff eine Tragödie. Ein sehr eindrucksvolles Stück - um ein Tausendfaches spannender als Lessngs "Nathan", aber mindestens genauso vernünftig.
Ludwig Tieck: Des Lebens Überfluss
Eine meiner Lieblingsnovellen. Die Geschichte eines geflüchteten Liebespaares. Die beiden haben sich den Winter über in einem Haus eingemieten. Dann geht ihnen das Geld aus, und sie können sich kein Brennholz mehr leisten, obwohl es doch so bitterkalt ist. Aber hat nicht das Leben einen geradezu sagenhaften Überfluss um sie herum zu bieten? Wozu braucht man zum Beispiel ein Treppengeländer? Gibt es nicht viel zu viele überflüssige Treppenstufen? Und wozu braucht man eine Treppe überhaupt, wenn man doch gar nicht ausgehen will? Einfach herrlich, diese scheinbar naive Lebenskunst. Die allerdings im Frühjahr den zurückgekehrten Hausbesitzer sofort nach der Polizei rufen lässt.
Ludwig Tieck: Der Wassermensch
Novelle über das Erzählen von Novellen - mit einem leichten Seitenhieb auf meine Lieblingsautoren vom Jungen Deutschland. Nach einer Theateraufführung treffen ein paar Menschen zusammen, und es entspinnt sich ein Gespräch über Schillers Ballade "Der Taucher". Es wird von dem Vorbild des Tauchers, dem sagenhaften Nikola oder Kola Pesce gesprochen, über dessen Leistungen im Schwimmen wahre Wunderdinge berichtet werden. Schließlich versucht sich ein Mitglied der Gruppe als Erzähler und stellt in mehreren Varianten seine Auffassung des Stoffs vor, unter anderem Nikola als Revolutionär, was dem anwesenden JungdeutschenDichter ausnehmend gut gefällt. Die Geschichte hat mich seinerzeit übrigens inspiriert zu meiner eigenen Story "Nicola Pesce". Und ich habe viel über die Verwandtschaft von Novellen und Balladen daraus gelernt. Also ebenfalls eine ziemlich gute alte Freundin.
Aischylos: Die Perser
Tragödie aus dem Jahr 472 v. Chr., die mich im Wintersemester 1992/93 beschäftigt hat. Ich hatte in dieser Zeit kein passendes Seminar gefunden für das, was ich eigentlich wollte, und mir darum mein eigenes "Literaturseminar" gebaut. Selige Vor-Bologna-Zeit, als Studenten noch Zeit und ausdrückliche Erlaubnis zur Selbstbildung hatten. Jedenfalls habe ich mich in dieser Zeit mit Aischylos befasst und seine Perser (1073 Verse) ins Deutsche übersetzt. Also ein Stück, das ich recht gut kenne.
Schade finde ich, dass bei dieser und den weiteren Kindle-Ausgaben überhaupt nicht gesagt wird, wer der Übersetzer ist und woher der Text überhaupt stammt. Zitieren kann man das also nicht. Der Unbekannte hat sich jedenfalls bei der Verdeutschung der Schmerzensschreie nicht halb so viel Mühe gegeben wie ich. Schwierig ist auch, dass der Sprecherwechsel beim Lesen manchmal nicht auffällt. Da denkt man, es spricht noch die alte Königin, und dabei ist man schon mitten in der Chorpartie. Alles in allem: Ganz okay, aber keine Alternative zum Reclamheft.
Heinrich Heine: Florentinische Nächte
Das zweite Romanfragment Heines. Und dasjenige, das von den dreien am geschlossensten ist. Zwei Nächte, in denen Max am Krankenlager seiner Freundin sitzt und ihr Geschichten erzählt, damit sie möglichst ruhig bleibt. Sie soll nämlich nicht reden und sich möglichst auch nicht bewegen. Allerdings lässt sie sich nicht ganz stillhalten. Für die Paganini-Schilderung hat er sich übrigens von meinem Freund Ludolf Wienbarg und dessen Paganini-Buch inspirieren lassen.
Eine Geschichte, die mich zu meiner ersten Veröffentlichung inspirierte: "Florentinische Nächte" im Ergebnisband einer Schreibwerkstatt für Schüler, entstanden 1987 oder 88, herausgekommen, 1989, ein ziemlich peinlicher Text, aber eben der erste ...
Aischylos: Sieben gegen Theben
Die guten alten "Hepta". Das zweitälteste Stück von Aischylos. Sehr streng aufgebaut mit sieben parallelen Vorstellungen der Angreifer und ihrer Gegner im Kampf um die Stadt Theben. Ein Stück, das wegen dieser etwas langweiligen Struktur nicht viele Freunde hat, ich mag aber gerade das Geometrische daran.
Karl May: Weihnacht
Abenteuer-Klassiker mit der nötigen Portion Weihnachtskitsch, passend zur Jahreszeit. Die Winterreise des jungen Karl mit seinem Studienkameraden Carpio, später das rührende Wiedertreffen im Wilden Westen, der sagenhafte Tomahawk-Wettkampf Old Shatterhands mit dem blutgierigen Häuptling Peteh. Das musste einfach mal wieder sein.
Heinrich Heine: Aus den Memoiren des Herrn von Schnabelowopski
Und Heines drittes Romanfragment, das Holland-Buch. Mit der Schilderung der Opernaufführung des "Fliegenden Holländers", die Wagner zu seiner Oper inspirierte. Und der schwarze Zensurgedankenstrich für die Begegnung mit der schönen Apfelsienenesserin. Das traurige Ende des armen Simson. War ein schönes Wiedersehen.
Aischylos: Die Schutzflehenden
Die drittälteste Tragödie von Aischylos. Galt lange als die älteste, weil der Chor eine so große Rolle gespielt hat. Erst Ende der 1960er fand man bei Ausgrabungen ein Papyrusfragment, aus dem hervorging, dass diese Schutzflehenden viel jünger sind, als bisher angenommen. Zuvor hatte einzig Walter Nestle dies erkannt, er ordnete die Tragödie aus strukturellen Gründen wesentlich später als "Perser" und "Sieben" ein, wollte das auch in einem umfangreicheren Werk beweisen, doch leider wurde er gegen Ende des zweiten Weltkriegs in einem Hinterhof von einem Plünderer erschlagen ...
Aischylos erzählt hier die Geschichte der 50 Danaostöchter, die aus Ägypten zurück in ihr griechisches Mutterland flüchten. Sie sollen gezwungen werden, die 50 Söhne ihres Onkels Ägyptos zu heiraten. Für die Bewohner der Stadt Argos ein Gewissenskonflikt: Weist man sie ab, verscherzt man es sich mit den Göttern, die das Gastrecht und die Schutzflehenden schützen. Nimmt man sie auf, bedeutet das Krieg mit den mächtigen Ägyptern ...
Karl May: Ardistan
Erster Teil des Zweiteilers "Ardistan und Dschinnistan", der Urgroßmutter aller Fanasyromane. Habs jetzt schon mindestens fünfmal gelesen. Kara Ben Nemsi im Reich der Ussul, liebenswerte, etwas schwergängige Riesen aus dem Sumpfland mit wunderbaren Pferden. Bisweilen etwas viel Predigtstil. Und der Superheld aus Deutschland kann alles, sieht alles, weiß alles, selbst bzw. gerade wenn er sich besonders bescheiden gibt. Aber es ist einfach ein tolles Buch. Verstehe nicht, wie es Tolkien schaffen konnte, dass sein Dreiteiler die "Bibel der Fantasy" wurde. Sagen wir: May schrieb das "Alte Testament" der Fantasy ...
Theodor Storm: Aquis submersus
Geschichte eines rätselhaften Bildes und eines Malers, der seine Geliebte verliert und unwissentlich den Tod seines Sohnes verschuldet. Mein Lieblingsstorm. Habs jetzt zum dritten oder vierten Mal gelesen. Ich war ja ziemlich lange weg von Storm, weil ich dachte, wer einmal an Wilhelm Raabe geschnuppert hat, für den sei Storm einfach zu ... weiß auch nicht. Zu heile, zu banal, zu zierlich? Also, "Aquis submersus" bleibt eine meiner Lieblingsnovellen.
Wilhelm Raabe: Holunderblüte
Neben den "Akten des Vogelsangs" mein absolut liebster Raabe. Zuletzt gelesen habe ich es glaube ich, in Prag, das ist lange her. Es geht um einen jungen Medizinstudenten und ein jüdisches Mädchen, das ihn über den alten jüdischen Friedhof führt. Um eine Tänzerin, deren Herz brach. Und um Holunderblüten, womit allerdings Flieder gemeint ist. Eine wunderschöne, traurige Geschichte.
Achim von Arnim: Isabella von Ägypten
Das Reclamheft habe ich mir angeschafft, als ich in der zwölften Klasse war. Da hatte ich gerade Heinrich Heine entdeckt und seine "Romantische Schule" gelesen, in der Heine besonders auf jene gruselige Kutsche hinwies, die Achim von Arnim da durch seine Novelle schaukeln ließ: In ihr saßen nämlich eine alte Zigeunerin und Hexe, ein toter bzw. untoter Bärenhäuter, ein Golem in Gestalt der lieblichen Isabella und der aus einer Alraune auf magische Weise hergestellte Cornelius Nepos, der unbedingt General oder irgend etwas anderes Hohes werden wollte. Ja, tatsächlich eine unheimliche Gesellschaft. Und die Geschichte war beim zweiten Lesen auch nicht schlecht, wenn auch etwas umständlich.
Aischylos: Der gefesselte Prometheus
Aischylos' letzte Tragödie. Entstanden auf Sizilien. Zum Teil umstritten, da sie sprachlich etwas einfacher ist als seine anderen Sachen. Aber er schrieb sie ja auch für einen etwas einfacher gestrickten sizilischen Chor, nicht für die dionysienerprobten Leute aus Athen. Ich bin geneigt, sie für echt zu halten. Allein schon wegen des weitausholenden, mehrere Generationen umspannenden Welt- und Schicksalsentwurfs. Die Geschichte vom Titanen Prometheus, der die Menschen liebte und ihnen das Feuer brachte. Vom weitblickenden Sohn der Themis, der die Jahrhunderte der Götterschicksale überschaute. Von Trotz, Verhärtung und Beharren. Aber auch vom jungen, seiner selbst noch nicht ganz sicheren Gott Zeus, der zu unmäßigen Strafaktionen neigte. Unverzichtbar.
Karl May: Der Mir von Dschinnistan
Zweiter Teil der Urgroßmutter aller Fantasyromane. Mit dem zum Teil ergreifenden, zum Teil parodistischen Weihnachtsfest in Ardistan und der eindrucksvollen Gerichtsverhandlung am Maha-Lama-See. Pflichtlektüre für alle Phantasten.
Ida von Hahn-Hahn: Faustine
Mal ein Buch, das ich vorher noch nicht kannte. Ich hatte bloß Ida von Hahn-Hahns "Orientalische Briefe" gelesen und war begeistert. Eine sehr mutige Frau mit einer verdammt guten Schreibe.
Diese "Faustine" ist nicht wirklich das weibliche Pendant zum "Faust". Es geht nicht um eine Wissenschaftlerin, die vom Wissen ermüdet ist und nicht weiterkommt. Und es geht auch nicht um einen Teufelspakt. Mit ihrem berühmten Namenspatron berührt sich diese Faustine eher in ihrer Gedfühlswelt, hier scheint es tatsächlich so etwas wie ein ewiges faustisches Streben und eine gewissen Grenzenlosigkeit zu geben. Und in ihrem Egozentrismus. Jedenfalls die Geschichte einer intelligenten, auch künstlerisch hochbegabten Frau, die sehr selbstbewusst ihren Platz innerhalb der Gesellschaft beansprucht und in einer Zeit, in der Frauen eigentlich gar nicht ohne einen männlichen "Vormund" frei herumlaufen durften, ihre eigenen Entscheidungen trifft und ihr Leben selbst bestimmt. Berührt sich zum Teil sehr eng mit dem Leben der Verfasserin, auch Faustine unternimmt eine Orientreise und beschließt am Ende, in ein Kloster zu gehen ...
Adalbert von Chamisso: Peter Schlemiehls wundersame Geschichte
Die Geschichte vom Mann, der seinen Schatten verkaufte. Ebenfalls ein absoluter Klassiker, den ich in den späten 80ern zuerst las. Mein Versuch, meine kleine Schwester von dem Buch zu begeistern, schlug allerdings fehl. Sie fand die einleitenden Briefe stinklangweilig, las nur die erste Seite, und ich bekam das Reclamheft mit einem hässlichen Knick im Titelbild zurück. So geht es mir oft, wenn ich Bücher empfehle ... Ist aber wirklich ein gutes Buch.
Bücher, die ich zurzeit lese:
Tanja Kummer: Die Weltenwandlerin
Gunnar Kunz: Ruf der Walküren
Moses Mendelssohn: Ästhetische Schriften
Bartholomäus Figatowski: Wo kein Kind zuvor gewesen ist
Dazu vielleicht nächstes Jahr mehr. Jetzt wünsche ich euch allen einen guten Rutsch und ein ganz tolles Jahr 2014. Und schaut mal wieder rein. ;-)
Jahresrückblick 2013, Teil I: Januar bis März
Jahresrückblick 2013, Teil II: April bis Juni
Jahresrückblick 2013, Teil III: Juli bis September
© Petra Hartmann