Gesänge aus dunklen Zeiten
Burgenwelt Verlag Bücher - phantastisch Isabella Benz
Den düsteren und phantastischen Seiten des Mittelalters widmet sich die Anthologie "Gesänge aus dunklen Zeiten". In 15 Kurzgeschichten erzählen die Autoren von historischen Begebenheiten und magischen Wesen, aber sie entwerfen auch Alternativ-Historien, in denen nur ein kleines Detail anders ist als in der tatsächlichen Geschichte - mit schwerwiegenden Folgen.
Der Titel lässt es schon vermuten, dass die Anthologie eher die dunklen Seiten des Mittelalters beleuchten wird. So spielen Kirchen- und Klostermauern eine große Rolle, und sehr oft ist es die geistliche Macht, die ihre Rolle als politische Kraft behaupten will.
Ein sehr eindrucksvolles Beispiel einer historischen Alternativwelt bildet die Auftaktgeschichte: "Basilissa" von Alexander Schmidt spielt mit dem Gedanken, was passiert wäre, wenn die Kirche des Ostens sich nach der Kaiserkrönung Karls des Großen gegen diesen Affront wirkungsvoll zur Wehr gesetzt hätte. In dieser Geschichte zeigt sich Irene, die Kaiserin Ostroms, als starke Herrscherin, die sich nicht von einem westlichen Emporkömmling ins Bockshorn jagen lässt. Sofort nach der Kaiserkrönung setzt sie ihre Truppen in Bewegung, lässt den Papst einkerkern und vereinigt Ost- und West-Christentum zu einem Reich unter ihrer Flagge. Ein sehr interessantes Gedankenspiel, das Stoff zu einem größeren Roman geben könnte.
Hinter Klostermauern spielen die Geschichten "Der Denkzettel" von Barbara Siwik und "Die Träne der Novizin" von Stefanie Bender. Während Stefanie Bender in ihrer sehr gelungenen Geschichte sehr zart und zerbrechlich daherkommt und einen Traum von Freiheit und Phantasie schildert, geträumt von einer jungen Klosterschülerin, die hinter düsteren Klostermauern gefangen sitzt, wird es bei Barbara Siwik handfest: Ein Heiliger taucht in dem ihm gewidmeten Kloster auf und versetzt der Äbtissin, die sich nicht an die strengen Klosterregeln hält, sondern in Saus und Braus lebt, eine schallende Ohrfeige. Siwik variiert in diesem Beitrag eine Legende über Uda (Jutta), die Äbbtissin eines Benediktinerklosters in Kaufungen. Eine sehr pfiffige Verwendung der Vorlage und eine Geschichte, die Spaß macht.
Der Leser trifft auf historische Gestalten wie Johanna von Orleans in "Für Frankreich" von Anne Habedank, eine sehr nachdenkliche Geschichte, in der die Bedrohung durch Kirche und Scheiterhaufen deutlich wird, unter der die Heilige während ihres Feldzugs stand. In "Der verhüllte Mann" von Dominik Gaida wird das Ende der Rosenkriege erzählt, in der ein Henker mit unheimlichen Fähigkeiten das letzte Wort spricht.
In "Nur ein Hauch" erzählt Sabine Frambach von der Pest, die in dieser Geschichte von einer jungen, blassen Frau verbreitet wird. Ob es sich dabei um eine Kranke oder bereits Verstorbene handelt, die als Geist durch die Lande zieht und einach nur menschliche Nähe sucht, oder um eine Personifikation der Krankheit beziehungsweise eine Pestdämonin, bleibt offen, und gerade in dieser Zweideutigkeit ist das blasse, überwirkliche Mädchen ausgesprochen anrührend. Eine sehr stimmungsvolle Geschichte. Gänsehaut.
Einige Autoren berichten von klassischen Gruselgestalten und übernatürlichen Wesen. So erzählt Timo Fremberg in "Umbra" von einem Vampir, der sich die totale Sonnenfinsternis von 1433 zunutze macht, um in eine Kölner Kirche zu gelangen. Von hier aus will er die Stadt übernehmen. "Die Bestie von Ullesthorpe" von Susanne Haberland handelt von einem Geistwolf (offenbar etwas ähnliches wie ein Werwolf), der in einem Dorf für Angst und Schrecken sorgt. In "Fackelträger" erzählt Michael Edelbrock, wie die Elfen die Welt verließen.
Berühmte Künstler inspirierten Detlef Klewer ("... und erlöse uns von dem Bösen") und Claudia Speer ("Madonna") zu ihren Geschichten. Ersterer lässt den Minnesänger Walther von der Vogelweide als Geisterbanner auftreten, letztere erzählt von Leonardo da Vinci, der als Hofmaler eines Wikingerkönigs ein überwältigendes Deckenfresco, den germanischen Weltuntergang Ragnarök darstellend, und ein Porträt einer geheimnisvollen Frau schafft.
Gleich zwei Autoren haben sich mit den Auseinandersetzungen zwischen Christen und Moslems auseinander gesetzt. Unter dem Titel "Granadas rote Sonne" erzählt Sabrina Železný vom Fall der Alhambra. Ein zauberhaftes Geisterwesen, gebannt in ein rotes Amulett, beschützt die Stadt. Doch dessen Besitzer, Emir Boabdil, erscheint schwach und unentschlossen, ganze so, als sei er unfähig, die Macht, die die rote Geisterfrau besitzt, in diesem Krieg einzusetzen. Sein Vertrauter Tahir entschließt sich schweren Herzens, das Amulett zu stehlen und es zum Kampf gegen die Christen zu benutzen. Zu spät erkennt er, dass er einen schweren Fehler begeht.
Auch die zweite Geschichte über Christen und Moslems, "Fürst der Gläubigen" von Atir Kerroum, erzählt vom Krieg. Wie auch "Basilissa" handelt es sich hier um eine Alternativhistorie. Die Geschichte kommt vollkommen ohne phantastische Elemente aus und geht der Frage nach: Was wäre wenn ... Karl Martell die Sarazenen bei Tours und Poitiers nicht besiegt hätte? Das Reich der Sarazenen reicht in dieser Geschichte weit nach Norden, die Stadt Mainz dient dem gallischen Kalifen als Residenz. Frankenkönig Lothar leistet zwar noch Widerstand, doch dann fällt sein Sohn in die Gefangenschaft des Kalifen. Die Geschichte transportiert die alte Botschaft, dass ein Ritter in jeder Situation ritterlich handeln soll und dass ein Verrat auf den Verräter zurückfällt. Sehr moralisch und nicht neu, aber gut erzählt.
Zwei Autoren wählten sich Motive aus der Artussage zum Thema. Da ist zum einen "Dunkelster Zauber" von Sabine Gothan, eine Geschichte über Cwyllogm, eine junge Schülerin auf der Insel Avalon, die die Priesterweihe nicht erhalten kann, weil in ihr die Fähigkeit zu einem dunklen Zauber wohnt. Zweimal webt sie ihre unheilige Magie - einmal in Diensten Arthurs, einmal voll Hass gegen den König gerichtet, um ihn auszulöschen, ein für allemal. Die zweite Geschichte, in der Artus und das Schwert Excalibur auftauchen ist "Das Werschwert". Der Autor, Michael Vogl, lässt uns einen Blick in eine Jenseitswelt werfen, in der Artus und seine Helden ein wild gewordenes Schwert einzufangen versuchen. Die Waffe war von einem Werwolf gebissen worden, nun sprießen ihr die Haare, und die Klinge fliegt in Mordlust durch die Luft. Auch der Versuch, das Schwert in einen Stein zu stecken und es mit Ketten dort festzhalten, ist zum Scheitern verurteilt. Eine turbulente, schnell erzählte Geschichte, die bei dem Ernst und der Düsterkeit der übrigen Beiträge eichfach einmal Raum zum Lachen bietet. Eine sehr schöne, absurde Idee.
Fazit: Eine sehr gelungene, vorwiegend düstere Anthologie aus dem finsteren Mittelalter mit guten bis sehr guten Geschichten. Kein einziger Totalausfall. Lesenswert.
Isabella Benz, Michèle-Christin Jehs und Jana Hoffhenke (Hrsg.): Gesänge aus dunklen Zeiten. Phantastische Geschichten des Mittelalters. Bremen: Burgenwelt Verlag, 2013. 231 S., Euro 14,90.
© Petra Hartmann