"Ein' schöne Stadt auf schönem Grunde"
Hildesheim Monika Fuchs Unterwegs Guido Fuchs
Hildesheim, Anno 1575: Onofrius Meyenrose, Dichter und Küster, wandert durch Hildesheim und hält die Geschichte und Sehenswürdigkeiten seiner Heimatstadt in Versen fest. Knittelverse, manchmal holprig, oft muss er gedroht haben: "Reim dich, oder ich fress dich", dabei immer herzlich, engagiert und getragen von der Liebe zu seiner Stadt: "Ein schöner Spruch von Ankunft des Stifts und der Stadt Hildesheim", so der Originaltitel" ist ein eigenwilliges und sehr aufschlussreiches Dokument aus der Hildesheimer Stadtgeschichte, das jetzt in neuer Übersetzung durch Guido Fuchs vorliegt. Herausgegeben und in ein außerordentlich schön gestaltetes Büchlein verwandelt hat das Manuskript seine Frau, die Hildesheimer Verlegerin Monika Fuchs.
Jetzt stellten die beiden ihr neuestes Werk in der Hildesheimer Dombibliothek vor. Eine Buchpräsentation, die es in sich hatte, und die auch dem Publikum einiges abverlangte, denn zur Orgelbegleitung von Guido Fuchs galt es, drei Lieder mitzusingen, zum Teil bekannte Melodien, aber: Die Besucher des katholischen Hauses möchten sich bitte nicht irritieren lassen, wenn die Melodie ein wenig von der gewohnten abweiche, hieß es. Man habe sich für die protestantische Variante entschieden, denn Meyenrose sei nun einmal Protestant gewesen.
Schon die kurze Einleitung von Kurt Machens machte deutlich, dass man es nicht unbedingt mit einem Freund er Katholiken zu tun hatte. Auch, dass man einige drastische Formulierungen für kleine, nicht mehr benutzte Kirchen finden würde. Lob gab es für Meyenroses Bericht über eine "Schnabelweide" an der HIldesheimer Ratsapotheke. Schnabelweide, ein schönes altes Wort dafür, dass es etwas zum Futtern gab.
In seiner Lesung aus Meyenroses "Schönem Spruch" stellte Guido Fuchs unter anderem die Verteidigungsanlagen vor. Der Dichter pries die Wehrhaftigkeit und Sicherheit seiner Stadt mit folgenden Worten:
Zum ersten ist die Stadt umgeben
ringsum mit Gräben und daneben
mit einem Wall. Dort aufgebaut
sieben Rondelle - denn so traut
die Stadt der Feinde sich zu wehren,
die gegen sie sollten sich kehren.
Hinter dem Walle folget noch
die Mauer, die ist ziemlich hoch,
mit Türmen auch besetzt gar fleißig,
derselben sind es beinah dreißig.
Das ist auch zierlich anzuschauen.
Doch wollen wir darauf nicht trauen,
Gott aber, der zu aller Frist
der stärkste aller Türme ist,
bewahrt uns vor des Feindes List.
Nun komm ich in die Stadt hinein,
durch sieben Tore gezieret fein.
Das erste, Ostertor genannt,
Cyriakustor folgt dem zu Hand.
das Kempentor, das Neue Tor,
dem Dammtor folgt das Hagentor,
das Almstor liegt davon nicht weit.
Die sieben schließen alle Zeit
die Stadt vor ihren Feinden zu,
damit sie haben mag ihr' Ruh.
Dass im Hildesheim die beiden christlichen Religionen nicht unbedingt gut miteinander befreundet waren und Onofrius Meyenrose als überzeugter Protestant von der "Religion des Papstes" wenig hielt, war bereits gesagt worden. Sehr deutlich unterscheidet er in seiner Schilderung der Kirchen zwischen denen, die Gottes Wort lehren, und denen, die des Papstes Religion anhängen. Hier sein Überblick über die Hildesheimer Gotteshäuser:
Als erste sei der Dom gezählt,
des Papstes Religion er hält.
Ludwig hat ihn einst fundiert,
Marien Stift genannt er wird.
St. Michael gar anders klingt,
da Gottes Wort man lehrt und singt.
Auch St. Andreas, welch's die dritt,
lehrt Gottes Wort und andres nit.
Die vierte ist St. Godehard,
des Papstes Glauben sie bewahrt.
Zum heilgen Kreuz die fünfte heißt,
auch sie des Papstes Glauben weist.
Sankt Jorg die sechste wird genannt,
die sich zu Gottes Wort bekannt'.
Sankt Jakob heißt die siebte gar,
lehrt Gottes Wort lauter und klar.
Sankt Martin man die achte nennt,
die Lehre Christi sie bekennt.
Sankt Paul, das wird die neunte sein,
lehrt Gottes Wort gar lauter rein.
Maria Magdalenen, wisst,
noch gar und ganze päpstlich ist.
Drastisch in der Wortwahl, darum sehr einprägsam, Meyenroses Schilderung der "Winkelkirchen". Es geht um kleine Kirchen, die nicht mehr im Gebrauch sind - angesichts der Aufgabe zahlreicher Kirchen in der Gegewart durchaus wieder aktuell. Wenn auch die Nachnutzung heutzutage wohl etwas anders ausfallen würde:
Der Winkelkirchen gibt es viel,
die ich nicht alle nennen will,
weil man sie nicht gebrauchen kann,
lass ich sie fort hier dann und wann.
Das eigne Volk hat sie verschmäht,
weil es um sie erbärmlich steht.
Sie stehen leer und wüst, ein Graus:
Man machte Ställ' und Scheißhaus draus [...].
Eine besondere Ergänzung des Büchleins stellt ein Aufsatz von Guido Fuchs dar, der sich speziell mit der Geschichte der "Willigen Armen" befasst. Der einzigen katholischen Einrichtung in Hildesheim, der Meyenrose mit Respekt, ja Hochachtung gegenüberstand. Es handelte sich um eine Gruppe Männer, die sich dem christlichen Ideal der Amut verpflichtet hatten, Kranke pflegten und Tote bestatteten, auch solche Tote, die eigentlich niemand gern anfassen wollte: Gehenkte ud Pestkranke. Und dies in Zeiten, in denen von Impfung oder Hygiene zum Selbstschutz keine Rede sein konnte, sodass die Laienbrüder ihre Arbeit bei Gefahr für Leib und Leben ausübten. Meyenrose schildert die Pestepidemie nicht, aber Guido Fuchs wartete in seinem Vortrag mit erschreckenden Zahlen auf. Auf dem Höhepunkt der Pestepidemie starben täglich 40 Menschen in der Stadt. Und dies zu einer Zeit, als die Einwohnerzahl nur ein Bruchteil der heutigen Bevölkerung Hildesheims betrug. Da rollte der "Schüdderrump", die alte Totenschubkarre durch die Straßen, sammelte die Leichen ein und schüttete den Haufen so schnell wie möglich in eine rasch ausgehobene Grube.
Die "Willigen Armen", die in ihren grauen Mänteln an Fledermäuse gemahnten und bettelnd durch die Stadt zogen, genossen hohes Ansehen. Für Guido und Monika Fuchs jedoch gab es noch einen anderen, ganz besonderen Grund, sich mit dieser Gemeinschaft zu befassen: Der Verlagssitz befindet sich nämlich genau auf dem Grundstück, auf dem dereinst das alle Lüllekenhaus, stand, das Haus, das am Alexiustag, dem 17. Juli 1359, den Willigen Armen gestiftet wurde und in der die jeweils vier- bis fünfköpfige Gemeinschaft der frommen Männer lebte und wirkte. Bis nach etwa 400 Jahren das Haus wegen Baufälligkeit abgerissen wurde.
Kein Zufall, dass der Verlag zu seiner Buchpräsentation ausgerechnet den 17. Juli aussuchte. Vorgestellt wurde ein geschmackvoll gestaltetes kleines Büchkein, das für Besucher der Stadt sicher ein hervorrageder Reiseführer durch das historische Hildesheim sein wird. Ein schöner Vorgeschmack auf das bevorstehende Stadtjubiläum, das im nächsten Jahr gefeiert werden soll, wenn sich die Gründung des Stiftes Hildesheim zum 1200. Mal jährt.
Das Buch enthält zahlreiche Abbildungen sowie hilfreiche Fußnoten mit Worterklärungen und Hintergründen zum "Schönen Spruch" Meyenroses. Ferner findet sich hinten im Buch eingelegt eine Karte des historischen Hildesheims, auf deren Rückseite ein kolorierter Kupferstich mit einer Stadtansicht aus den 1570er Jahren gedruckt wurde. Also rundum: ein schönes Stück Hildesheim zum Mitnehmen.
Buch-Infos:
Guido Fuchs [Hg.]: "Ein' schöne Stadt auf schönem Grund". Ein Gang durch Hildesheim Anno 1557. Hildesheim: Verlag Monika Fuchs, 2014. 64 S., Euro 8,95.
Eine Leseprobe findet ihr hier:
http://www.book2look...buero-fuchs.de
© Petra Hartmann