Jahresrückblick IV: Oktober bis Dezember 2014
Jahresrückblick
Der letzte Teil meines Rückblicks aus das Literaturjahr 2014. Für mich war das vierte Quartal schriftstellerisch vorwiegend geprägt von der Arbeit an der Weihnachtsanthologie "Blitzeis und Gänsebraten", die ich zusammen mit Monika Fuchs herausgab. Außerdem standen Besuche auf dem Buchmesse-Convent und der Berliner Buchmesse "Buch Berlin" auf dem Kalender. Mein Meermädchen-Roman "Nestis und die Hafenpiraten" ist erschienen und kam offenbar auch ganz gut an. Ich hatte eine Menge Lesungen, es war ein anstrengender, arbeitsreicher aber auch guter Jahres-Endspurt.
Auf der Lektüre-Liste stehen erneut einige Wieder-Entdeckungen. Offenbar hatte ich in diesem Jahr ohnehin ein starkes Bedürfnis, zurück in meine Vergangenheit zu blicken. Es ist für eine aktuelle Standortbestimmung ja manchmal nicht schlecht, wenn man weiß, wo man herkommt. Dazu erneut ein bisschen Phantastik, Kinder- und Jugendbücher, drei Comics. Schaut halt mal rein.
(Legende: "(e)" bedeutet eBook-Ausgabe; hinter Links verbergen sich ausführliche Rezensionen innerhalb dieses Blogs; blau markiert sind besondere Bücher, die mehr als eine 1+ mit Sternchen verdienen, irgendwie anders sind und mich bezaubert haben; rot sind Scheißbücher, vor denen ich ausdrücklich warne.)
Oktober
Heinrich Heine: Almansor (e)
Eine der beiden Tragödien, mit denen der junge Heine versucht hat, die Bühne zu erobern. Der große Erfolg blieb ihm versagt. Einzig das "Lyrische Intermezzo", das zusammen mit den beiden Tragödien abgedruckt wurde, hat als Teil des "Buchs der Lieder" ein größeres Publikum errreicht. Das Stück spielt in Spanien, der Titelheld ist Moslem, seine Geliebte allerdings ist, wie ihr Vater auch, zum Christentum übergetreten. Ein Sück, in dem es um Religions-Idiotie und Toleranz geht. Wichtigstes Zitat: "Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch Menschen." Etwas konstruierte Geschichte (aber das ist "Nathan, der Weise" ja auch). Tragisches Ende, die beiden Liebenden gehen gemeinsam in den Tod.
Bettina Ferbus: Auf verschlungenen Pfaden (BunTes Abenteuer 25)
Peter Raffalt: Die Geschichte vom hölzernen Mann
Märchen in der Nachfolge von E. T. A. Hoffmann und Peter Tschaikowsky.. Ein hartherziger Prinz wurde als Strafe in einen Nussknacker verwandelt. Nur der magische Vogel Simurgh kann den Fluch wieder von ihm nehmen. Zusammen mit einem jungen Menschenmädchen macht sich der Nussknacker auf die gefahrvolle Reise. Märchenhaft erzählt, dazu gibt es zauberhafte Illustrationen von Sibyle Gädecke.
Karl Gutzkow: Wally, die Zweiflerin (e)
Der wichtigste und folgenreichste Roman des Jungen Deutschlands. Löste seinerzeit einen Literaturskandal aus und war hauptverantwortlich für das Verbot des Jungen Deutschlands im Dezember 1835. Wegen einer heutzutage ziemlich harmlos wirkenden Nacktszene. Und wegen ziemlich ketzerischer Thesen über Religion im Allgemeinen und das Christentum im Besonderen. Die Titelheldin begeht am Ende Selbstmord. Inspiriert wurde das Werk durch den Selbstmord der Charlotte Stieglitz (vergleiche dazu Theodor Mundts zeitgleich erschienenes Buch "Charlotte Stieglitz. Ein Denkmal" aus dem September-Rückblick). Erstmals gelesen hatte ich es 1987 oder 88 in der mustergültigen Reclam-Ausgabe, die einen umfangreichen Kommentarteil und viele wertvolle Dokumente zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte bietet. Sie sei allen ans Herz gelegt.
Was mir heilig ist ... Hildesheimer Lyrikwettbewerb 2014
Ein schmales, doch sehr gehaltvolles Heft, das die Gewinner des Hildesheimer Lyrikwettbewerbs präsentiert und in hoher Auflage in Stadt und Landkreis verbreitet wurde. Unter anderem lag es in Bussen und Bahnen aus, war in Kulturzentren und Gastronomieeinrichtungen zu finden. Die 13 Sieger-Gedichte zum Thema "Was mir heilig ist ..." können sich sehen lassen und haben die Veröffentlichung verdient. Das schlanke Format und das geniale Coverbild (es zeigt einen auf ein kleines Holzkreuz genagelten 50-Euro-Schein) gefallen mir ausgesprochen gut.
Weniger gut gefällt mir die Art, wie Hildesheimer Lyrikprojekte (dieses ist nicht das erste) eigentlich immer dem Hauptzweck dienen, den Autor und Organisator Jo Köhler in die Öffentlichkeit zu bringen. Von den 13 Preisträgern ist jeweils ein Porträtfoto enthalten. Organisator Jo Köhler ist insgesamt fünfmal abgebildet, präsentiert sich hier als Vorwortschreiber, dort während der Auswahlarbeit, da auf dem Gruppenbild mit Sponsoren, als Jurymitglied, im Presseartikel zum Auftakt, zur Eröffnung der Aktion Lesezeichen. Im Frühjahr hatte der Mann es geschafft, insgesamt neun seiner Gedichte auf Riesenplakaten in der ganzen Stadt zu verteilen. Wettbewerbsgewinner, Klassiker oder Nobelpreisträger, die einige ihrer Verse gestiftet hatten, waren nur jeweils mit einen oder zwei Werken verteten. So segensreich diese Wettbewerbe für Lyriker sein mögen, die es ja weiß Gott noch schwerer haben als wir Prosaschriftsteller, so kritisch sehe ich die Art der Präsentation in Hildesheim. Was sich hier als Literaturförderung gibt, scheint mir nur eine einzige Riesen-PR-Kampagne zu sein, um den Namen Jo Köhler bekannt zu machen. Dafür wären mir meine Gedichte (die mir heilig sind) zu schade.
November
Donald Duck Taschenbuch Nr. 85
Jahrzehntelang habe ich versucht, das Abenteuer mit der "Karpfenqäke" wiederzufinden. Ich habe als Kind Lackrämpfe bekommen, wann immer ich die Geschichte von Gevatter Bär und Gevatter Fuchs beim Fischefangen las und die Kindertröte mit einem lauten "Quäääk" losging. Einfach herrlich, allerdings vollkommen ungeeignet, um es heimlich unter der Bettdecke zu lesen, ich konnte mir das Lachen nie verbeißen. Mein Gott, was habe ich mich in Lachkrämpfen gewunden.
Wo das Taschenbuch abgeblieben ist, habe ich nie herausgebracht. Und leider wusste ich auch nicht, um welche Nummer es sich handelte und was auf dem Titelbild zu sehen war. Jetzt bin ich auf den simplen und dennoch genialen Gedanken gekommen, das Wort "Karpfenquäke" bei Google einzugeben. Und siehe da: Das Wort kommt in exakt einem einzigen Buch vor - dem Donald Duck Taschenbuch Nr. 85, und freundlicherweise war ganz oben der Link zu einer Comicbörse angegeben. Ich hab's mir geholt, und - ob ihr es glaubt oder nicht - als Gevatter Fuchs den Ziegelstein auf den Hinterkopf kriegte und dabei die Tröte verschluckte und laut quäkend durch die Gegend rannte, da habe ich tatsächlich wieder schallend gelacht.
Yvonne Kopf: Lilo Lametta
Zauberhaftes Kinderbuch über ein Mädchen, das Gedanken lesen kann. Weil sie Angst hat, dass die anderen sie für ein Monster halten, gibt sie immer wieder falsche Antworten und baut absichtlich Fehler in ihre Klassenarbeiten ein. Eines Tages kommt ein neuer Schüler in ihre Klasse. Auch er kann etwas Besonderes: Er kann durch die Zeit reisen. Der Beginn einer wundervollen Freundschaft. Und Lilo kann ihm helfen, seine verschwundene Mutter wiederzufinden. Eine wunderschöne Geschichte über das Anders-Sein und darüber, dass eigentlich jeder Mensch eine besondere Begabung hat.
Heinrich Heine: William Ratcliff (e)
Heines zweite Tragödie, ebenso erfolglos wie der Almansor. Aber in der Geschichte um einiges faszinierender. Es liest sich wie eine der großen alten Schauernovellen. Alte Schlösser, Geistererscheinungen, Liebe, Fluch, Morde. William Ratcliff stammt aus ärmlichen Verhältnissen, ist Student und hat sich in eine junge schottische Adlige Maria verliebt, die auf einem abgelegenen, nebelumwogten Schloss in der Obhut ihres Vaters lebt. Ihr Vater will sie jedoch lieber standesgemäß verheiraten. Da schwört Ratcliff, jeden Bräutigam Marias zu töten. Zweimal hat er bereits zugeschlagen, nun ist die dritte Verlobung geschlossen. Ratcliff und Maria verbindet aber mehr als bloße Liebe, es liegt ein Fluch auf beiden, der Marias Mutter und Ratcliffs Vater verband ... Es juckt mich in den Fingern, daraus ein Seitenstück zu Darthula und Timur zu machen. Vielleicht nächstes Jahr.
Karl Gutzkow: Briefe eines Narren an eine Närrin (e)
Gutzkows Narrenbrief las ich zuletzt vor ein paar Jahren in einer Taschenbuchausgabe aus dem Antiquariat. Es ist kein ganz einfaches Buch, ein wenig verworren, eine Mischung aus Literatur, politischen Betrachtungen, Plaudereien, Philosophie und ironischen Seitenhieben auf Zeitgenossen. Ich lese es jetzt zum dritten oder vierten Mal, finde es nicht direkt schlecht, denke aber, Gutzkow hat bessere Sachen geschrieben, wie etwa die Wally, den Sadduzäer von Amsterdam oder den Uriel Accosta.
Die Welten von Thorgal: Lupine 4 - Crow
Der vierte Teil der Lupine-Reihe innerhalb der "Welten von Thorgal". Lupine hat nach dem Verschwinden ihres Vaters Thorgal einen schweren Stand im Wikingerdorf. Die Jungen hänseln sie und werden auch handgreiflich. Als sie sich jedoch effektiv und ebenso handgreiflich zur Wehr setzt, ist das ganze Dorf gegen sie, und es wird äußerst bedrohlich. Lupine ergreift die Flucht. Währenddessen ist eine unheimliche Frau auf der Suche nach ihr. Die Einäugige, die sich Crow nennt, scheint magische Kräfte zu haben und führt offenbar nichts Gutes im Schilde. Als sich am Schluss des Albums ihre wahre Identität enthüllt, ist das eine ziemliche Überraschung.
Das Abenteuer ist gut erzählt und opulent illustriert. Etwas nervig ist das Verhalten von Aaricia, die inzwischen ihre Wikingerkönigs-Ahnen, ihre Kampffähigkeit und ihre Liebe zu Thorgal vergessen zu haben scheint und in der Rolle eines hilflosen Frauchens an der Brust eines starken Seekriegers aufgeht. Warum sie die Lügen und dämlichen Ausreden dieses Typen nicht durchschaut, sich offenbar sogar bewusst täuschen lassen will und sich gegen ihre Tochter Lupine einnehmen lässt, erschließt sich mir nicht ganz. Zumal sie nicht einmal verliebt ist und ihre Blindheit nicht mit schäumenden Hormonen begründet werden kann. Schade auch, dass der ursprüngliche Albentitel "Krähe" und damit der Name der neuen Gegnerin Lupines in das englische "Crow" geändert wurde. So hielt ich sie zunächst für die Angehörige eines nordamerikanischen Indianerstammes.
Ida von Hahn-Hahn: Peregrin, Bd.1 (e)
Roman aus dem Jahr 1861. Da war Ida von Hahn-Hahn - nach der gescheiterten 48er Revolution - schon katholisch geworden und ins Kloster gegangen. Der Roman ist ein Zweiteiler. Im ersten Band wird Peregrin, ältester Sohn und Erbe des Grafen Gorm, vorgestellt. Peregrin verliebt sich in die junge Heliade, die aus einem alten irisch-katholischen Geschlecht stammt. Die beiden lieben sich heiß und innig. Aber Heliade besteht darauf, dass sie nur einen Katholiken heiraten will, und Peregrin, dem religiöse Kleinigkeiten und Formen des Bekenntnisses eigentlich gleichgültig sind, kann aus dynastischen Gründen nicht übertreten: "Kein Gorm darf katholisch werden", ist unumstößliches Gesetz ... Heliade verschwindet, Peregrin ist verzweifelt. Es häufen sich allerdings seltsame Andeutungen und Vorfälle. So enterbt Peregrins Tante ihren Neffen und spricht ihr Landgut dessen jüngerem Bruder zu. Auch seine Mutter beschwört ihren Mann, Peregrin zu enterben und den Titel des Grafen Gorm auf den jüngeren Sohn übergehen zu lassen. Der Vater weigert sich jedoch. Nach dessen Tod eröffnet Peregrins Mutter dem Sohn das Geheimnis, das sie seit Jahrzehnten belastet. In ihrer Verzweiflung, ihrem Mann keinen Erben schenken zu können, nahm sie nach wiederholten Totgeburten Zuflucht zu einem letzten Mittel: Sie nahm ein Waisenkind aus einem italienischen Waisenhaus auf und präsentierte es dem Ehemann als seinen Sohn - Peregrin. Erst als später ein legitimer Sohn geboren wird, bekommt die Mutter Gewissensbisse, die sie bis ans Ende ihrer Tage quälen. Peregrin ist schockiert von der Beichte. Er verlässt das Schloss und macht sich auf, seine wahren Wurzeln zu finden.
Viel Herzschmerz, etwas Geheimnis, Familiendrama und Schicksalstragödie, gewürzt mit Betrachtungen über den Katholizismus als allein seeligmachende Religion. Die Hahn-Hahn konnte schreiben, auch in der Spätphase.
Herder: Journal meiner Reise im Jahr 1769 (Reclam)
Mal wieder ein richtig dickes Reclam-Buch. Herders Notizen, entstanden auf einer Schifffahrt, die den jungen Theologen von Riga nach Frankreich brachten. Das Werk erschien erst postum, erste Auszüge wurden im Jahr 1810 von Herders Sohn herausgegeben.
Das Buch ist keine Reisebeschreibung, vom Schiffsleben und den angesteuerten Häfen erfährt man kaum etwas. Herder ist vielmehr damit beschäftigt, ein neues Schulsystem zu entwerfen, und skizziert Pläne für Fächerkanon und pädagogische Arbeit. Das Ganze ist gewissermaßen Gründungsurkunde des Realschulgedankens, den er der klassischen humanistischen Gymnasialbildung entgegensetzt. Nicht uninteressant, man muss sich allerdings in den Stil Herders erst etwas einlesen. Und da das Werk gar nicht für die Veröffentlichung bestimmt war, haftet ihm trotz seines Umfangs etwas Skizzenhaftes, Unvollendetes, Fragmentarisches an. Vor allem im hinteren Bereich sind viele Abkürzungen und unvollständige Sätze zu finden. Also: keine ganz leichte Kost, aber es lohnt sich.
Blitzeis und Gänsebraten. Hildesheimer Weihnachtsgeschichten
Was macht man, wenn man sich monatelang mit der Textarbeit für eine Anthologie herumgeschlagen hat und das fertige Werk jetzt in den Händen hält? Richtig: Ich habe mich hingesetzt und unser Hildesheimer Weihnachtsbuch noch einmal ganz in Ruhe durchgelesen. Ohne Druck und nur für den Genuss. War auch nett.
Hölderlin: Hyperion (e)
Noch so ein Klassiker. Mein altes Reclamheft ist voller Unterstreichungen und Randbermerkungen. Jetzt also ein Neustart mit einer notizenfreien eBook-Ausgabe. Hyperion lebt im Griechenland des 19. Jahrunderts und leidet daran, dass das Hellas seiner Zeit nur noch ein peinlicher Nachkömmling der großen Kulturnation der Antike ist. Er verliebt sich in die bezaubernde Diotima, zieht in den Krieg gegen die Türken, um sein Land zu befreien, tauscht überschwängliche Freundschaftsbriefe mit seinem Freund Alabanda aus. Sehr gefühlsbetont, sehr emphatisch. Vom anfänglichen Peinlichkeitsbekunden, ein "Grieche" genannt zu werden, bis zum geflügelten Schlusswort "so dacht ich - demnächst mehr" einfach ein Buch, das in den Literaturkanon gehört.
Mein großes Hölderlin-Erlebnis war eine Vorlesung von Professor Kreutzer in Hannover. Der Mann trug plötzlich die Stelle vor, als Hyperion auf der Akropolis stand und Athen wie die Trümmer eines gewaltigen Schiffbruchs unter sich liegen sah. Das war, als sei ein Blitz in mich eigeschlagen. Denn ich hatte sofort den Stadtplan Athens vor Augen. Das alte Straßennetz aus der Zeit nach der Schlacht von Salamis, angelegt unter der Regie des Themistokles, kann man heute noch sehen. Athen war damals vollständig von den Persern eingeäschert und dem Erdboden gleichgemacht worden. Es existierte nur noch die athenische Flotte, die "hölzernen Mauern", mit denen sich die Stadt laut dem Orakel von Delphi schützen sollte. Dann die Seeschlacht in der Meerenge von Salamis. Die eben noch triumphierenden Perser vernichtend geschlagen. Die Athener konnten kein schöneres Symbol finden für den Wiederaufbau ihrer Stadt als dieses neue Straßennetz in Form eines Schiffes. Und wenn man dann mit Hyperion auf der Akropolis steht und auf die Stadt hinabschaut, dann weiß man einfach, da ist nicht irgend eine abgegriffene Metapher von einem Staatsschiff gemeint. Athen sah nicht nur aus wie ein Schiff. Athen war das Schiff. Da ist nicht nur einfach eine physische und kulturelle Wüste unter ihm, sondern im Bild des Schiffs liegt de athenische Seele am Boden.
Gleich am nächsten Tag ging ich in die Buchhandlung und holte mir das Reclamheft.
Dezember
Ida von Hahn-Hahn: Peregrin, Bd. 2 (e)
Teil 2 der Liebes- und Religions-Odyssee von Peregrin und Heliade. Peregrin hat inzwischen seine wahre Herkunft erfahren und im Waisenhaus Aufschluss über seine verstorbenen Eltern erhalten. Er stammt aus einer italienischen Musikerfamilie. Sein musikalisches Talent zeigte sch bereits im ersten Band immer wieder: Wenn es ihm schlecht ging oder er mit sich selbst ins Reine kommen musste, griff er zu seiner Amati und bezauberte alle zufälligen Zuhörer durch sein Geigenspiel. Er findet seinen Onkel, ebenfalls Musiker, der seine drei Kinder als musikalische Wunderkinder auftreten lässt. Leider ist eine Tochter, die die erste Geige spielte, kürzlich verstorben, sodass das einst sehr erfolgreiche Quartett aus vier Wunderkindern nicht mehr auftreten kann. Peregrin lässt sich für den Part des ersten Geigers verpflichten und begibt sich mit der Gruppe auf Tournee, wobei er für die vom Vater bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit und darüber hinaus getriebenen Kinder schnell eine Art Beschützerrolle einnimmt.
Heliade ist inzwischen nach dem Tod ihres Vaters veramt und versucht, zu ihrer Großmutter nach Italien zurückzukehren. Zufällig gerät sie als Vorleserin in die Dienste von Pergrins Tante und kommt dem Familiengeheimnis und der Geschichte des verschwundenen Peregrin auf die Spur. Doch auch ihre irischen Wurzeln bekommen nun Bedeutung. Als Mündel eines irisch-katholischen Adligen kehrt sie zurück in die Heimat ihres Geschlechts, alte Familientraditionen und die Unterdrückung der Katholiken durch die Engländer prägen den weiteren Verlauf der Geschichte. Erst nach vielen Irrungen und Wirrungen finden Peregrin und Heliade wieder zueinander. Klar, dass Peregrin, der ja nicht mehr Angehörger eines urprotestantischen Grafengeschlechts ist und durch seine Erfahrungen und Begegnungen längst den Weg zum rechten Glauben gefunden hat, nun zum Katholizismus übertreten und seine Heliade heiraten kann.
Ebenfalls gut geschrieben und gekonnt alle Fäden verwoben, eine würdige Fortsetzung des ersten Teils. Hat mir gefallen. Auch wenn ich die Sache mit den Religionen selbst etwas lockerer sehe.
Lukian: Hetärengespräche (e)
Auch hier ein Wieder-Lese-Erlebnis. Mein erster Lukian war das Reclamheft "Gespräche der Götter und Meergötter, der Toten und der Hetären", in dem auch die Hetärengespräche enthalten waren. Wenig später begann ich damit, meine Magisterarbeit zu schreiben, und verbrachte ziemlich viel Zeit im Lesesaal der Landesbibliothek. Dazu ließ ich mir dann, als kleinen "Trost" für zwischendurch, die gesamten Werke Lukians, übersetzt von Wieland, aus dem Magazin bringen: Sechs etwa zehn Zentimeter starke Doppelbände voller Dialoge und Prosaerzählungen, humoriger Seitenhiebe auf die antiken Philosophenschulen, Novellenstoff, mythologische Parodien - kurzum: das ganze volle Wunderhorn lukianischen Witzes. Jedesmal, wenn ich 50 SeÃten einer staubtrockenen Dissertation geschluckt hatte, belohnte ich mich als Nachtisch mit einem Lukian-Zitronencremeschnittchen. Es war ein schönes halbes Jahr. Und im Anschluss war ich überzeugt, dass auch Christoph Martin Wieland, der meinen Liebling Lukian so gut und liebevoll übersetzt hatte, kein unrechter Kerl sein könne. Ich durchforstete also erstmal das Reclam-Regal nach Wielands Werken. Der Beginn einer weiteren wundervollen Freundschaft.
Bei den Hetärengesprächen muss man Wieland allerdings einen Vorwurf machen. Er hat zwar die Dialoge recht geistreich und spritzig übersetzt und hatte keine Hemmungen, auch das antike Milieu der Edel-Prostituierten kongenial abzubilden. Allerdings - einen der Dialoge ließ er dann doch aus, weil er das sittliche Empfinden seiner Zeitgenossen zu sehr beleidigt hätte, und zwar den Dialog, in dem zwei der Frauen über lesbische Sexualität sprachen. Wohlgemerkt, mit männlichen gleichgeschlechtlichen Beziehungen gab es zumindest in der Fachliteratur über die Antike nicht so große Probleme, aber zwei Frauen zusammen im Bett, das ging offenbar nicht. Da Wieland bis heute der unübertroffene maßgebende Übersetzer ist - und obendrein als längstverstorbener Autor keine Tantiemen mehr einfordern kann - findet man in vielen heutzutage erhältlichen Ausgaben der Hetärengepräche die Wieland-Übersetzung ohne den 5. Dialog. Also, bei aller Liebe zu Wieland, wer etwas Gutes und Vollständiges haben möchte, ist auch hier mit der Reclamausgabe am besten bedient.
Bergengrueniana II
Die zweite Ausgabe der Mitteilungen der Werner-Bergengruen-Gesellschaft. Wie der erste Band, der zwei Jahre zuvor erschienen ist, ein sehr gehaltvolles Buch mit vielen wertvollen Materialien über einen meiner Lieblingsschriftsteller.
Bergengruens Sohn erzählt etwas zur Biographie und zum Leben im Dichterhaushalt. Ein besonderer Schwerpunkt liegt hier auf den Kriegsjahren, dem Ausgebombt-Sein, später den Jahren in der Schweiz. Sehr interessant die Bemerkungen zur "Rittmeisterin" und zum "Dritten Kranz". Ich fand letzteres übrigens gar nicht so schlecht, wie die Klagen über das unselige Buch vermuten lassen ...
Außerdem findet man einen Bericht über Bergengruen in der "Zwanglosen Gesellschaft" in München sowie Auszüge aus dem "Compendium Bergengengruenianum", Bergengruens Skizzen- und Notizbuch mit vielen Ideen, Aphorismen, Beobachtungen und biographischen Einträgen. Dem Jahrbuch ist zu entnehmen, dass es endlich einmal eine Gesamtausgabe des Compendiums geben soll. Großartig, ich freue mich drauf. Sehr interessant auch ein Aufsatz über die baltische Literatur zu Bergengruens Zeit.
Außerdem gibt es im Buch die Vorstellung der Bergengruen-Preisträger der Jahre 2011 und 2013, Peter Kurzeck und Kurt Drawert, die Laudationes zur Preisverleihung, dazu Kurt Draerts Dankesrede. Peter Kurzeck hatte statt einer Rede aus seinen Werken gelesen. Alles in Allem: Erneut eine reiche Fundgrube für Forscher und Fans.
Heinrich Smidt: Semanns-Sagen und SchifferMärchen (e)
Wie der Titel schon sagt eine Sammlung mit sagenhaften Geschichten von Meer und Seefahrt. Zum Teil alte Lokalsagen, etwa von der Insel Helgoland, zum Teil phantastische Erzählungen von zauberhaften Königreichen vor der südamerikanischen Küste und auf unbekannten Inseln. Vieles über glückliche Inseln, deren unschuldigen und sorglos lebenden Bewohnern fremde Seeleute und Glückssucher den Untergang brachten. Manchmal mit etwas ausufernden Rahmenhandlungen, in denen lang und breit berichtet wird, wie sich ein alter Seemann in der oder jener Situation zu diesem oder jenem Anlass sich in Positur setzt und gern oder ungern von den schauderhaften alten Mären berichtet. Ansonsten sehr gehaltvoll und lesenswert.
Bartholomäus Figatowski (Hrsg.): Weil ich John Lennon bin ...
Brita Rose-Billert: Die Farben der Sonne
Eine Indianergeschichte der anderen Art. Ein Junge, Halbindianer, der sich Blue Light Shadow nennt, lebt nach dem Tod seiner Mutter auf der Straße und schlägt sich auf seine Art in der Halbwelt/Unterwelt/unterprivilegierten Welt durch. Bis das Jugendamt sich einschaltet. Der Vater, ein reicher weißer Anwalt, will nichts mit ihm zu tun haben, so fällt das Sorgerecht an den indianischen Großvater. Blue muss sich auf der Reservation vor allem gegen die Attacken seines Mitschülers Mitch Walking Elk zur Wehr setzen, der etwas gegen das "Halbblut" hat. Als Blues Onkel wegen eines tieffliegenden Hubschraubers seine gesamte in Panik davonjagende Pferdeherde verliert, worauf die Tiere im Nachbarstaat Nebraska als wilde Mustangs angesehen und verkauft werden, begraben Blue und Mitch ihre Feindschaft und machen sich zusammen auf, die Pferde zurückzuholen. Allerdings - mit Pferdedieben, vor allem mit nicht-weißen Pferdedieben, macht man in Nebraska kurzen Prozess ... Spannendes Jugendbuch, das sich sehr flüssig lesen lässt. Hat mir gefallen.
Regina Mengel: Am 13. Tag. 1. Teil: Die Bestimmung (e)
Der Beginn eines dreiteiligen Jugend-Fantasy-Abenteuers. Die Autorin gibt das erste Drittel als kostenloses eBook und Leseprobe heraus. Teil 2 und 3 sind bereits erschienen. Außerdem gibt es ein eBook, das alle drei Teile in sich vereint.
Susanna, die Hauptfigur dieses Buches, erhält zu ihrem Geburtstag eine geheimnisvolle Flasche, die zu leuchten beginnt, als Susanna sie berührt. Es scheint sich jedoch um kein harmloses Geschenk zu handeln. Ihr Vater reagiert geradezu panisch, als er von der Flasche erfährt, und bringt seine Tochter sofort ins Ausland, in ein kleines Dorf, wo sie bei einer Tante unterkommt. Zusammen mit ihrem Freund Patrick versucht Susanna, hinter das Geheimnis der Flasche zu kommen.
Nach und nach tauchen immer bizarrere Informationen auf. Anscheinend war Susannas Mutter kein normaler Mensch, sondern ein Flaschengeist aus dem Land Kis-Ba-Shahid. Ein Land, in dem es Brauch ist, dass die Bewohner am 13. Tag nach ihrem 13. Geburtstag ihre Bestimmung erfahren. Auch Susanna hat eine solche Bestimmung. Doch um sie zu erfahren, muss sie nach Kis-Ba-Shahid hinüberwechseln. Und anscheinend ist die Bestimmung Susannas entscheidend sowohl für die Existenz des Zauberlandes als auch für die der realen Menschenwelt.
Die Geschichte ist gut geschrieben und zeigt, dass die Autorin ihr Handwerk versteht. Es handelt sich um eine Fantasy-Geschichte mit orientalischem Ambiente, jedenfalls ruft die Beschreibung Kis-Ba-Shahids und die Geschichte der Flaschengeister sofort die Assoziation von 1001 Nacht hervor.
Zwar handelt es sich um eine selbstpublizierte Geschichte, doch das eBook trägt das Qindie-Qualitätssiegel durchaus zu recht. Lesern, die einen kompletten Roman erwarten, sei allerdings noch einmal die Warnung mit auf den Weg gegeben, dass es sich nicht um eine abgeschlossene Geschichte handelt, sondern um das erste Drittel eines Romans. Beschrieben wird die Zeit von Susannas Geburtstag bis zu dem Augenblick, in dem sie sich entschließt, den Sprung in die andere Welt zu wagen. Das Abenteuer geht also jetzt erst los. Die beiden Folgebände heißen "Kis-Ba-Shahid" und "Flaschengeister". Ich werde sie mir vermutlich demnächst zulegen.
Nadine Boos: Der Schwarm der Trilobiten
Der vierte Band der Science-Fiction-Serie "D9E - die neunte Expansion". Und, wie ich finde, der beste. Nadine Boos stellt uns einen völlig neuen Planeten vor, entwirft ein eigenes Gesellschaftsmodell und stellt den regierenden Menschen eine hochinteressante maritime Lebensform an die Seite, humanoid, intelligent, aber eben an das Leben im Wasser angepasst.
Auf Andesit ist eine der mächtigsten herrschenden Dynastien die Familie Darjeeling, die mit harter Hand und scharfblickendem Auge von der Clanchefin Bronja geführt wird, während die kampferprobte Tochter Berenike das Sicherheitswesen unter sich hat. Enkelin Beatrix allerdings macht Sperenzien. Sie widersetzt sich den Hochzeitsplänen ihrer Großmutter, die sie mit dem Sprössling einer ebenfalls mächtigen und einflussreichen Familie verkuppeln will. In ihrem selbstzusammengeflickten Raumschiff Skolopendra macht sich Trixi aus dem Staub. Nur gibt es einige Dinge, mit denen sie nicht gerechnet hat: Ihre Großmutter hat diese Flucht bis ins kleinste Detail mitgeplant, Trixis ungeliebter Verlobter ist ebenfalls an Bord, und die Gefahr durch die heranrückenden Außerirdischen, die Hondh, scheint größer als gedeckt. Es gibt jedoch auch Dinge, die weder Trixi noch Bronja voraussehen konnten: Die Skolopendra stößt mit einem geheimnisvollen Schiff zusammen. An Bord: Angehörie einer aquatischen Zivilisation, ähnlich der Urbevölkerung auf Trixis Heimatplaneten. Die Fremden sind auf der Flucht vor den Hondh.
Nadine Boos ist eine große Weltenbauerin. Anders als im Vorgängerband "Kristall im fernen Himmel" liegt hier der Schwerpunkt nicht auf physikalischem und paraphysikalischem, sondern auf biologischem und sozialem Gebiet. Man lernt außerirdische Wesen und ihre ganz eigene Art der Bewegung und Wahrnehmung (riechschmecken) kennen, aber auch eine neugezüchtete Ponyrasse, in einem SF-Roman ein durchaus ungewöhnliches Personal. Es werden staatliche bzw. dynastische Strukturen entworfen und die Intrigen und Machtspiele der alten Clanchefinnen gezeigt, man erlebt aber auch Aufstände der Arbeiter und illegale Gewerkschaftssitzungen.
Fazit: Eine detailliert beschriebene, lebendige Welt mit faszinierenden Kreaturen und fein ausgearbeiteten zwischenmenschlichen bzw. inter-species-ischen Beziehungen. Dazu eine spannende Handlung und eine gekonnte Erzählweise. Sehr gut, weiter so. Bitte mehr davon.
Johann Nestroy: Der Zerrissene (Reclam)
Komödie, die sich über die in Literatenkreisen damals oft beschriebene und diagnostizierte "Zerrissenheit" lustig macht. Es ist die Geschichte eines reichen aber übersättigten, von allem gelangweilten Herrn, der während eines Streites zusammen mit seinem Gegner vom Balkon stürzt und in den See fällt. Beide Kontrahenten können sich retten, aber jeder von beiden ist überzeugt, der jeweils andere sei ertrunken, und er selbst werde nun als Mörder gesucht. Liest sich recht nett, aber man hätte aus dem Plott wesentlich mehr herausholen können. Mir kommt die Auflösung zu rasch und zu schmerzlos. Naja, man hätte es von Nestroy selbst auf der Bühne dargestellt sehen müssen, der Mann soll eine Granate gewesen sein ...
Sherlock Holmes - Das ungelöste Rätsel (e)
Enthält Erzählungen, in denen sich der Meisterdetektiv mit phantastischen Phänomenen herumschlagen muss. Holmes begegnet Vampiren und Magiern, mechanischen Killermaschinen und Monstern, er benutzt fliegende Teppiche und bewusstseinserweiternde Drogen mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie seinen messerscharfen Versand oder Watsons Revolver.
Mir hat vor allem die Geschichte über den Arpaganthropos gefallen, in der Klaus-Peter Walter das Duo Holmes & Watson auf einen Hai-Menschen, die maritime Entsprechung eines Werwolfs, treffen lässt. Das eindrucksvolle Bild des Gehenkten, der, an einem fliegenden Sack baumelnd, im Nebel an dem alten Kapitän vorüberschwebt, ist eine sehr starke Szene, die ich mir auch gut auf dem Cover hätte vorstellen können. Sehr gut gelungen auch Linda Budingers Story "Der stählerne Strahl", in dem Holmes nach Watsons Tod einen ägyptischen Magier stoppen muss, der im Park am Victoria Embarkment bereits mehrere Morde begangen hat. Interessant auch die beiden Sachtexte, die sich im Anschluss an die Geschichten mit Holmes und seinem Schöpfer Arthur Conan Doyle befassen. Allerdings sind stellenweise in beiden Texten die gleichen Infos und Bebachtungen zu finden, sodass der Nachgwort-Teil ein wenig redundant wirkt. Man hätte sich vielleicht für einen der beiden Beiträge entscheiden sollen.
Auf den Spuren von H.P. Lovecraft (Comic, Torsten Low)
Zwei dunkle Geschichten, optisch meisterhaft in Szene gesetzt von Stefanie Hammes. Das Heft enthält die beiden Horror-Novellen "Die Schokolade des Herrn Bost" von J.C Prüfer und "Der Fluch des Zulu" von Carsten Steenbergen. Beide sehr schön düster und unheimlich, Die Comics haben mir sehr gut gefallen, vor allem die Zeichnungen von Stefanie Hammes, die dem Ganzen die besondere Atmosphäre verleihen. Einziges Manko: Die dünne verschnörkelte Schreibschrift, in der manche der Texte gedruckt sind, lässt sich sehr schwer lesen, vor allem in der Variante Weiß auf Schwarz, hier sollte in einem möglichen zweiten Heft eine andere Schriftart gewählt werden. Ansonsten: Ein Schmuckstück.
Nina Horvath: Die Duftorgel
Edle Hardcover-Ausgabe mit den Science-Fiction-Kurzgeschichten einer meiner Lieblingsautorinnen. Das Buch erschien in einer signierten Liebhaberausgabe mit einer Auflage von 100 Exemplaren, meines hat die Nummer 11. Nina ist eine Meisterin der Kurzgeschichte, die sich auch sehr selbstbewusst für ihr Genre einsetzt und sich gut gegen die fast übermächtige Roman-Fixierung unseres Literaturbetriebs behaupten kann. Ihre Storys sind oft nur wenige Seiten lang und haben trotzdem mehr Dichte und Atmosphäre als mancher hunderte von Seiten lang ausgewalzte Roman. Da entwickeln Puppen oder Kunstmenschen plötzlich Seele, Gefühl und Eigenleben; außerirdische Rieseninsekten wetzen ihre tödlichen Mandibeln, können aber durch Einsatz von bestimmten Duftstoffen gezähmt werden; Paläantologen der Zukunft müssen sich entscheiden zwischen der Verpflichtung, die Wahrheit ans Licht zu bringen, und der Zukunft ihrer Wissenschaft. Raumfahrer lernen, dass der Blick in die Sterne süchtig machen kann. Das kann auch dieser Kurzgeschichtenband. Man schließt ihn nach der Lektüre mit einem leichten Bedauern. Das war viel zu kurz - bitte noch einen zweiten!
Hörbuch
Philip Pullman: Tödliche Missverständnisse
Das Hörbuch beginnt mit einem perfiden, uralten Thriller-Autoren-Kniff. Der erste Satz lautet: "Chris Marshall traf das Mädchen, das er töten würde, in einer warmen Juninacht beim jährlichen Sommerball..." Okay, mit dem Einstieg kann sich der Autor schon einiges erlauben, selbst banale Alltagssitutationen werden vom Zuhörer mit Spannung verfolgt, man weiß ja, dass bald die Katastrophe eintreten wird, die Frage ist halt das Wie. Die Geschichte hat einige Längen, und für meinen Geschmack wird bei den einzelnen Personen zu viel Vorgeschichte erzählt. Das macht die Sache etwas langatmig und wirkt erzähltechnisch ungeschickt. Bei der Dramatik der dann ablaufenden Ereignisse ist man allerdings geneigt, den einen oder anderen erzählerischen Lapsus zu verzeihen. Am Ende ist das Mädchen tatsächlich tot, wie versprochen. Nicht unbedingt ganz großes Kino, halt ein Jugendwerk Pullmans, der Autor hat sich inzwischen sehr weiterentwickelt. Aber als Hörbuch ganz in Ordnung.
Kai-Uwe Kohlschmidt: Nanga Parbat
Geschichte einer Himalaya-Expedition. Nicht besonders spannend. Vor allem, da die eigentliche Expeditionsgruppe, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird, eine Gruppe aus fünf Künstlern auf den Spuren Reinhold Messners, gar kein Gesicht gewinnt. Es wird halt mehrfach gesagt, dass es sich um fünf Künstler hadelt, darunter ein Schriftsteller, eine Schauspielerin und ein Fotograf, aber es wird nichts "gemacht" aus diesem Personal. Die einzelnen Mitglieder werden nicht vorgestellt, haben keine Namen, äußern sich nicht über ihre Kunst und Motivation, da wird überaupt nichts gesagt, was diese Menschen irgend etwas an Kontur gewinnen lässt. Dazwischen ein paar Interview-Fetzen, die aber nur Fragen enthalten wie "Was bedeutet der Berg für dich?" Und dann ein paar Sätze von der Art, wie sie Fußballspieler nach dem Spiel ins Mikro geben. Die fünf sind halt auch in den Bergen unterwegs, begegnen unter anderem einer sächsischen Gruppe und bekommen über Funk mit, wie sich mehrere Tagesreisen oberhalb ihrer Station eine Katastrophe ereignet, als den Sachsen einer ihrer Kameraden verloren geht. Das ständige "Fünf stiegen hinauf, nur vier kamen wieder herab", soll wohl Wirkung erzielen und das Stück etwas literarisch aufwerten. Es ist aber doch ein ziemlich nichtssagendes Teil geblieben, ich werde es mir nicht noch einmal anhören.
Jahresrückblick I: Januar bis März 2014
Jahresrückblick II: April bis Juni 2014
Jahresrückblick III: Juli bis September 2014
© Petra Hartmann