Ruth M. Fuchs: Welcher Naturgeist ist das?
Bücher - phantastisch Ruth M. Fuchs
Elfen, Zwerge und Meerjungfrauen kennt jeder, klar. Aber war ist mit Böhlersmännchen, Buzen, Finzweiberln, Kaddings oder Hötkenbötken? Für alle, die mehr über diese und andere geheimnisvolle Wesen des Volksglaubens wissen möchten, empfiehlt sich ein Blick in "Welcher Naturgeist ist das?" von Ruth M. Fuchs, das die Autorin im Untertitel bescheiden und hilfreich als "eine Art Bestimmungsbuch" klassifiziert.
"Welcher Naturgeist ist das?" ist ein großformatiges und sehr umfangreiches Werk, das den Leser mit zahlreichen berühmten und weniger berühmten Wesenheiten bekannt macht. Es präsentiert eine ungeheuer große Schar von seltenen und nur lokal bekannten Geistern und Wichten aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und weiteren europäischen Ländern. Dabei sind ähnliche Wesen, die sich in Lebensraum, Lebensweise und Aussehen gleichen, zumeist gemeinsam abgehandelt und neben einander gestellt, sodass sich ein größerer Zusammenhang ergibt und der Leser die näheren Verwandtschaftsverhältnisse bestimmter Arten und Gattungen von übernatürlichen Geschöpfen studieren kann.
Von Heinzelmännchen und anderen Hausgeistern
So lernt man in der Nähe der berühmten Heinzelmännchen auch die Hildesheimer Hutkin und die schwäbischen Haiden kennen, die Razen aus der Oberpfalz oder die freundlichen bayerischen Erdmännchen. Man erfährt, dass es außer den Kölner auch Luxemburger Heinzelmännchen gab. Und auch dass es zahlreiche Varianten der Sage gibt, wieso die hilfreichen Hausgeister verschwanden. Die Geschichte vom neugierigen Weib, das Erbsen gestreut hatte, auf denen die kleinen Helfer ausrutschten und sich schwer verletzten, ist nur eine Variante, daneben gibt es die (in jüngster Zeit durch Harry Potter und die Hauselfen wieder ins Bewusstsein gerückte) Sage, dass ein nackter helfender Geist, sowie er Kleidung geschenkt bekommt, von dannen zieht. Meist sogar mit einem zornigen oder enttäuschten "Ausgelohnt!" auf den Lippen. Zahlreich sind auch die Berichte vom kleinen Volk, das peinlich darauf bedacht war, niemals seine Füße zu zeigen. Wenn ein neugieriger Mensch sie beobachtet oder durch ausgestreutes Mehl anhand der Fußspuren erkennt, dass sie Entenfüße haben, kommt es meist zum Abruch aller freundschaftlichen Beziehungen bzw. zur Flucht der sehensreichen Nachtarbeiter.
Bestimmungsbuch erzählt von Irrlichtern und der Wilden Jagd
Ruth M. Fuchs erzählt von Feen und Irrlichtern, von Waldschraten, von der Wilden Jagd, von Kinder-Vertauschern, scherzlustigem Volk, von bösen und guten Mächten. Dem Aufbau eines "Bestimmungsbuches" folgend, sind sie sortiert nach den Orten, an denen man sie vorwiegend antreffen kann: im Gebirge, in Heide, Hügeln und Moor, in Haus und Hof, auf Burgen, in Flüssen und Seen oder im Meer. Des weiteren gibt es einige kurze Übersichtsartikel mit Themen wie Heilpflanzen und Musik, über den Umgang mit Naturgeistern, über Romantik oder über die Brüder Grimm. Zahlreiche großformatige Illustrationen machen die reichhaltige Sammlung auch optisch zu einem Genuss. Zwei Register - zu Orten und Wesenheiten - erleichtern den Umgang mit dem Buch, das nach dem Durchlesen bestimmt noch oft als Nachschlagewerk zu Hand genommen wird.
Über Bürokobolde und Gremlins
Zum Abschluss überlegt die Verfasserin, ob es nicht auch in moderner Zeit noch solche Geister geben könnte, und nennt als Beispiel die Bürokobolde, die alphabetisch geordnete Karteien durcheinanderwerfen und im Computer Dateien verschwinden lassen. Sie berichtet von Gremlins, Spanduls und Dingbelles, letztere seien Koboldinnen, die erstmals im Zweiten Weltkrieg bei den Frauendivisionen des kanadischen Militärs bemerkt worden sind, als sie sehr private Telefongespräche über Lautsprecher übertrugen. Allerdings muss man dem Buch, wenn man denn etwas zum Tadeln finden möchte, in diesem Kapitel eine grobe Unterlassung vorwerfen: Wie konnte die Autorin hier nur das boshafte Volk der Autoschlüsselwichte vergessen, das durch seine verwerflichen Aktivitäten gerade vor wichtigen Terminen Zündschlüssel versteckt und sich köstlich über die suchenden Menschen amüsiert? Ich höre sie förmlich lachen, die satanischen kleinen Kreaturen, während ich verzweifelt durch die Wohnung hetze und suche, suche, suche...
Fazit: Ein unverzichtbarer Begleiter durch die Welt der Mythen, Märchen und Sagen, vielseitig, umfangreich und umfassend. Dieses Buch gehört ins Regal eines jeden Sagenforschers und in den Rucksack jedes Menschen, der mit offenen Augen durch die Natur geht.
Ruth M. Fuchs: Welcher Naturgeist ist das? Eine Art Besimmungsbuch. Amazon, 2014. 192 S., Euro 25,95.
© Petra Hartmann