Peter Hereld: Teutonia
Bücher - SF Peter Hereld
Das Gedankenspiel ist tatsächlich ein "wahr gewordener Albtraum", wie der Untertitel schon verrät. Hitler hat im Jahr 1945, kurz vor den Amerikanern, tatsächlich die Atombombe zur Verfügung und setzt sie gnadenlos ein. Die schwer getroffenen USA müssen kapitulieren, nach und nach wird Hitler Herr der gesamten Welt. Und dann?
Adolf Hitler wird 123 Jahre alt
Peter Hereld lässt sein Buch "Teutonia" im Jahr 2012 spielen. Er zeigt ein Weltreich unter Herrschaft des "Führers", der durch modernste Computertechnik noch immer am Leben ist. Als digitales Bewusstsein führt er in seiner unterirdischen Zentrale mitten in Berlin ein körperloses Leben, hält noch immer dier Fäden der Macht in der Hand, während das Volk glaubt, Hitler hätte durch das Genie der teuersten und besten Medinziner der Welt ein derart biblisches Alter erreicht. Schauspieler vertreten ihn bei öffentlichen Auftritten, das Volk jubelt und schreit: "Heil Hitler!" Nun gilt es, das größte Ereignis des Jahres vorzubereiten: Die Feier zu Hitlers Geburtstag - es ist der 123. - steht unmittelbar bevor ...
Trutz Marburg - der hochbegabte Psychologe des Führers
Für seinen Roman hat Peter Hereld einen sehr ungewöhnlichen, originellen Protagonisten gewählt. Trutz Marburg, ein hochgewachsener, blonder und blauäugiger Major, Einser-Abiturient, Hochbegabter, Überflieger und Uni-Absolvent mit Bestnote, ist der Psychologe des Führers. In schwierigen, für ihn teilweise lebensgefährlichen Gesprächen mit dem Computer-Ich Hitlers muss er den Weltenherrscher immer wieder erden, therapieren und ihm aus schweren Depressionen heraus helfen. Gerade jetzt vor den Feierlichkeiten ist der Führer besonders anfällig. Kein Wunder: Er lebt seit Jahrzehnten ohne Körper, hat inzwischen alle Freunde und Weggefährten verloren und war ja schon in den 1930er und 1940er Jahren in unserer realen Welt stellenweise dem Irrsinn nahe, wie wir aus den Geschichtsbüchern wissen. Als nun auch noch kurz vor den Feierlichkeiten sein bestes Double stirbt, sieht es schlimm aus um die geistige Stabilität des Führers, und Trutz Marburg muss sein ganzes Können aufbieten. Die Therapiegespräche sind nicht leicht, immerhin könnte der Patient, wenn er gereizt wird, den Arzt jederzeit zum Tode verurteilen.
Die Konstellation ist außerordentlich interessant. Ein böses, aber faszinierendes Thema, das Peter Hereld mit gewohnt guter Erzählkunst bewältigt. Der Roman ist spannend geschrieben, und man kann das Buch nicht zur Seite legen, bis man das letzte Kapitel gelesen hat.
Therapiegespräche könnten tiefer gehen
Was etwas schade ist, das ist der Umstand, dass Hereld aus dem großen Ansatz nicht "mehr" macht. Die Gespräche zwischen Führer und Psychologen hätten gern etwas mehr in die Tiefe gehen können. Man hätte gern mehr Einzelheiten, mehr philosophische Betrachtungen über Seele und Bits gehört. So bleibt vieles an der Oberfläche, und man merkt diesen Therapiegesprächen nicht an, dass die Gesprächspartner der unsterbliche Herr der Welt und der beste und klügste Psychologe seiner Zeit sind. Die Handlung verlagert sich schnell auf "Body-Action" und Allewelts-Romantik, als Trutz sich in eine junge Frau aus dem Widerstand verliebt. Und auch die Gespräche zwischen Trutz und seiner Geliebten - immerhin haben beide einander große Geheimnisse zu offenbaren - verlaufen doch recht schnell und zielgerichtet. In diesem Zusammenhang erscheint das "Quid pro quo"-Zitat, das Hereld anbringt, außerordentlich mutig. Nein, dieser Trutz Marburg mag zwar ein ganz anständiger Mensch sein, aber das Kratzen an Seelenabgründen sollte er doch noch einmal ernsthaft beim Kollegen Lecter studieren.
Warum ausgerechnet 2012?
Auch die Schilderung des Jahres 2012 unter Nazi-Herrschaft bleibt seltsam farblos. Was hätte man aus einer Weltgeschichte, die seit fast 70 Jahren anders verläuft, alles machen können! Hier verschenkt Hereld viel an Potential. Und wieso eigentlich 2012? Für ein Buch, das im Jahr 2015 erschienen ist, hätte man doch leicht mit nur einem Federstrich oder Mausklick zwei oder drei Jahre draufgeben können. Dann wäre es um Hitlers 125. Geburtstag gegangen oder um "70 Jahre Kriegsende". Verschenkt oder bewusst vermieden? Man weiß es nicht.
Trotzdem: Es ist ein spannender Roman, ein sehr spannender. Peter Hereld kann erzählen. Und ob es sich nun um mittelalterliche Helden handelt oder einen Wahnsinnigen aus dem "Dritten Reich", der unverdientermaßen die Unsterblichkeit erlangte, der Autor schafft es, eine temporeiche, mitreißende Geschichte zu schreiben, die den Leser bis zur letzten Seite fesselt. Was will man mehr?
Fazit: Spannende Alternativ-Historie mit ungewöhnlichem Helden und albtraumhaftem Thema. Könnte mehr in die Tiefe gehen, bietet aber in jedem Fall sehr gute Unterhaltung.
Peter Hereld: Teutonia. Wenn ein Albtraum wahr wird. Eclipse Books, 2015. 272 S., Euro 12,99.
Weiteres Buch von Peter Hereld:
Der Belarus-Deal
© Petra Hartmann