Jahresrückblick II: April bis Juni 2016
Jahresrückblick
Viel Vergnüpgen mit meinen Lesefrüchten!
Legende:
Ein (e) hinter dem Titel bedeutet, dass ich den Text in der eBook-Fassung gelesen habe.
Blaue Schrift weist auf herausragend gute Bücher hin.
Rot markiert sind Bücher, die ich so abgrundtief schlecht finde, dass ich euch ausdrücklich davor warne.
Bei verlinkten Titeln landet ihr auf ausführlicheren Besprechungen innerhalb dieses Blogs.
April
Christian August Vulpius: Rinaldo Rinaldini, der Räuberhauptmann (e)
Räuberpistole aus der Feder von Goethes Schwager. Damals der absolute Bestseller, wurde wesentlich häufiger verkauft als der "Faust" oder der "Werther". Die Geschichte eines legendären Räuberhauptmannes. Was mich gewundert hat: Es geht weniger um einen kühnen Räuber, der einen Handstreich nach dem anderen ausführt und Erfolg hat, sondern das Buch beginnt bereits auf dem Höhepunkt von Rinaldinis Ruhm und zeigt ihn als einen Menschen voller Skrupel beziehungsweise als jemanden, der des Raubens überdrüssig ist und nichts lieber täte, als mit seiner Räuberei aufzuhören und ein gesittetes Leben als braver, friedlicher Bürger zu führen. Rinaldos Ausstiegsversuche ziehen sich über 20 Bände hin. Jedesmal, wenn er glaubt, es geschafft zu haben, und unter falschem Namen irgendwo untergekommen ist, taucht jemand auf, der ihn kennt. Meist sind es Räuber, die ihn oder seine neuen Freunde überfallen woillen. Er wird erkannt oder gibt sich zu erkennen, die Räuber jauchzen ihm zu und rufen: "Hurra, Rinaldini ist da, der soll unser neuer Hauptmann sein!" Und wieder ist Rinaldini Opfer seines Ruhms, übernimmt die Herrschaft einer neuen Räuberbande, führt sie zu einem kühnen Coup, scheitert, und muss erneut flüchten und untertauchen. Dazu dann ein paar amouröse Abenteuer, meist mit jungen gutaussehenden Damen aus dem Adel - fertig. Vom Stil her nicht schlecht, wenn auch manchmal etwas pathetisch und ziemlich sentimental. Auch vom Setting her nicht ganz unspannend. Aber die ewigen Wiederholungen ermüden. Es ist immer wieder nur die eine Geschichte: Rinaldini ist auf der Flucht, träumt vom ruhigen Leben als braver Bürger, findet Freunde und Geliebte, richtet sich ein, wird entdeckt, wird zum neuen Räuberhauptmann ausgerufen, organisiert einen Raubzug, flüchtet ... Endlose Fortsetzungen eines Bestsellers gibt es eben nicht erst seit unserer Zeit ...
Ludolf Wienbarg: Ästhetische Feldzüge (e)
Die Vorlesungen, die Ludolf Wienbarg im Sommersemester 1833 in Kiel über Ästhetik gehalten hat. Durch die Widmung - "Dir, junges Deutschland, widme ich diese Schriften, nicht dem alten" - quasi die Geburtsurkunde der literarischen Bewegung Junges Deutschland, meiner Leib- und Magen-Dichter. Ich hab das Buch bestimmt schon zwanzig mal gelesen, nun also die eBook-Ausgabe. Sehr lebendig und feurig im Tonfall. Inhaltlich ziemlich viel von Hegel, Schiller, Baumgartner etc. übernommen (um nicht zu sagen geguttenbergt), aber im Stil doch recht eigen. Besonders wichtig die 24. Vorlesung, in der es um die Jungdeutschen geht.
Jaroslav Hajek: Die Abenteuer des guten Soldaten Svejk im Weltkrieg (Reclam)
Die Neuübersetzung, jetzt auch als Taschenbuch erhältlich. Ich habe lange überlegt, ob ich mir tatsächlich eine neue Übersetzung zulegen sollte, oder doch lieber die klassische, altgediente und damit gewissermaßen allbekannte Fassung. Überzeugt hat mich schließlich das Argument, dass der Svejk im tschechischen Original ganz normales Hoch-Tschechisch redet und nicht das komische Kauderwelsch, das wir aus dem alten Buch und dem Film mit Fritz Muliar kennen. Damals hat man das wohl der Art nachempfunden, wie Deutsche dachten, dass Tschechen in Österreich-Ungarn reden würden ... Also, wenn im Original richtig geredet wird, dann sollte Svejk auch im Deutschen nicht so radebrechen, dachte ich und nahm die Neuausgabe. Das Buch selbst ist, obwohl Fragment geblieben, göttlich und in sich vollendet, oder, wie im Nachwort ein Tscheche zitiert wird: Im Svejk ist alles drin. Svejks Art, abzuweifen und vom Hundertsten ins Tausendste zu kommen, hat eine gewisse Verwandtschaft mit Laurence Sternes "Tristram Shandy", nur dass hier eben kein Gentlemen sein Leben erzählt, sondern ein braver Soldat Geschichten von Rheuma und Schnaps erzählt und sich um den Einsatz an der Front herumlaviert. Sehr schön, und auch ein dickes Lob an den dicken Kommentarteil. Ein schönes, empfehlenswertes Buch.
Sören Kierkegaard: Die Krankheit zum Tode (Reclam)
Interessantes, etwas schwerlötiges Werk zum Thema "Verzweiflung", das man vermutlich nur dann richtig goutieren kann, wenn man schwermütig ist und Christ. Die Argumentation ist schon irgendwie logisch aufgebaut, beinahe aristotelisch wird definiert, was Krankheit ist, was Krankheiten des Körpers und der Seele sind und so weiter. Nicht ganz folgen mochte ich dem Autor aber dann schon bei der Definition der Verzweiflung, als er davon sprach, dass im Prinzip jeder an Verzweiflung leidet, und dann unterschied in bewusste und unbewusste Verzweiflung. Ich gestehe freimütig, dass ich mit unbewusster Verzweiflung nichts anfangen kann. Wenn etwas so schwach ist, dass ich es nicht einmal wahrnehmen kann, dann kann man es bestimmt nicht "Verzweiflung" nennen. Na gut, das sind wohl Definitionsfragen. Die Reclamausgabe ist ordentlich gemacht, man kann damit arbeiten, aber mit "Entweder - oder" kann ich einfach mehr anfangen.
Eduard Mörike: Die Historie von der schönen Lau (e)
Märchenhafte Geschichte über eine Wasserfrau, die im Blautopf leben soll. Es geht darum, dass sie zum Lachen gebracht werden soll. Das schafft aber niemand. Bis sie zu Besuch an Land geht. Ich hab es Anfang der 90er als Reclamheft gelesen, nun nochmal als eBook. Viele bekannte Gedichte Mörikes stehen drin. Sehr nettes, märchenhaftes Buch mit viel Lokalkolorit. Gut zu lesen.
Tilo Wesche: Kierkegard. Eine philosophische Einführung (Reclam)
Sicher ein hilfreiches und kluges Buch. Aber das Wort "Einführung" im Titel ist Etikettenschwindel und sollte vom Leser respektive Käufer nicht als "Kierkegaard für Anfänger" missverstanden werden. Es ist doch ganz schon viel Stoff zum Durchkauen, zumal es sich ursprünglich um die Dissertation des Autors handelte.
Dietrich von Bern
Westslawische Märchen (e)
Sammlung von Joseph Wenzig, erschienen 1857, gemeinfrei und damit kostenlos auf dem Kindle. Westslawisch bedeutet, dass es sich um Märchen, Sagen, Geschichten, Volkslieder und Sprichwörter der Böhmen, Mähren und Slowaken handelt. Enthält ein wenig angestaubte ethnologische Betrachtungen über den "Volkscharakter" dieser Nationen und setzt sich zum Ziel, die europäischen Völker und Staaten einander näher zu bringen, damit sie "sich auch geistig näher kommen und sich wechselseitig kennen lernen, um sich zur Förderung ihres gemeinschaftlichen Besten freundlich die Hand zu reichen." Eine sehr menschenfreundlich motivierte, proeuropäische Sammlung also. Die Märchen selbst sind recht europäisch, viele hätten auch gut in die Grimmsche Sammlung hineingepasst. Da gibt es Bauern mit drei Söhnen, von denen sich der jüngste, obwohl zunächst verlacht und verspottet, am Ende als der Erfolgreichste zeigt. Es gibt Witwen mit schönen Töchtern, um die sich übernatürliche Freier bewerben. Man trifft auf den Metallherrscher und die zwölf Monate. Stolz und Hochmut werden bestraft, Gutes tun belohnt. Es gibt abenteuerliche Reisen, gefährliche oder peinliche Situationen, auch viele humorvolle Stücke, zum Beispiel vom lustigen Schwanda, dem Dudelsackpfeifer, der den Teufeln zum Tanz aufspielt. Es gibt Riesen, Waisen, Geister, Reiche und Arme. Eheleute, die sich gegenseitig an Dusseligkeit übertreffen, und Erklärungen dafür, warum Hund und Katze sich nicht mögen. Dazu viel Liedgut und Sprichwörter. Also eine schöne, umfangreiche Sammlung mit vielen interessanten Fundstücken.
Mai
Zurück zu den Wurzeln - Die Storys zum Marburg-Award
Taschenbuch mit den Beiträgen zum Marburg-Award, ein Mitbringsel vom MarburgCon. Dieses Mal sollten es Horror-Geschichten sein, die mit der Rückkehr zu den Wurzeln zu tun haben, metaphorisch oder auch gärtnerisch. Durch letzteres bedingt auch ein paar Geschichten über Monsterpflanzen oder über jemanden, der seine Leichen im Garten vergräbt. Eine optisch und inhaltlich sehr ansprechende Sammlung, sehr gehaltvoll, es hat Spaß gemacht beim Lesen.
Michael H. Schenk: Die Pferdelords und der Sturm der Orks
Da strebt die Serie ihrem Ende zu, Teil 12 soll herauskommen, und ich fange erst jetzt mit Teil 1 an ... Wollte aber auch endlich mal reinschaun, nachdem mir die "Zwerge der Meere" des Autors so gefallen hatten. Das Buch war nur noch antiquarisch zu kriegen. Ein groß angelegter Roman über das Volk der Pferdelords in der Nachfolge Tolkiens, aber durchaus eigenständig. Der Autor entwirft eine sehr ausgearbeitete und detailreiche Kultur, die Stärken des Buches liegen auf jeden Fall auf den Schilderungen der Ausrüstung, Bewaffnung, Pferdegeschirre sowie des Brauchtums. Das ganze ist eingebettet in eine ziemlich blutige, ausufernde Kriegshandlung, die Orks stürmen das Land der Pferdelords und können nur unter hohen Verlusten schließlich zurückgeschlagen werden. Vorerst. Das Buch hat mir gefallen, ich habe mir kurz danach Teil 2 besorgt, auch antiquarisch.
Achim von Arnim: Die Kronenwächter (e)
Ich glaube, ich war 17, als ich das Buch zum ersten Mal gelesen habe, gleich nach "Isabella von Ägypten". Ein ziemlich dicker Wälzer über eine Geheimorganisation aus dem 16. Jahrhundert, die die alte Kaisertradition der Stauffer fortführt. Und die Geschichte des Jungen Berthold, eines Nachfahren der Hohenstauffen, der bei einem Türmer aufwächst. Mir hatte sich vor allem die Eingangsszene im Gedächtnis eingeprägt: Der Türmer und seine recht stabile Frau hoch oben im Turm. Der neue Türme musste die Wittwe des alten Türmes mit übernehmen, weil sie die Treppe nicht mehr herunterkam. Und die Geschichte der Bluttransfusion. Dass in dem Roman so viel gemordet wurde, war mir entfallen. Insgesamt ein sehr interessantes Buch, etwas umständlich, etwas verschlungen und nicht unbedingt als historischer Roman zu betrachten.
John Brinckmann: Kasper Ohm in Batavia
Zweiter Teil der plattdeutschen Abenteuer von Kasper Ohm, erzählt von seinem Neffen. Teil eins hatte ich letztes Jahr gelesen. Diesmal wird Kapitän Kasper Ohm tatsächlich von einem Adligen examiniert, den er nicht so einfach zusammenstauchen kann wie seinen Neffen, und muss etwas von Batavia erzählen. Herrliches Seemannsgarn. Die Ausgabe, ein Titel der Reihe Hamburger Lesehefte, ist recht dünn, ließ sich aber nicht allzu schnell durchlesen. Zum einen, weil Brinckmanns Platt sich von dem in meiner Gegend geredeten doch etwas unterscheidet, dann weil für mich Platt generell schriftlich ungewohnt ist, aber ich fand auch den Druck ziemlich klein und eng, also etwas anstrengend.
Manfred Fuhrmann: Die Dichtungstheorie der Antike
Schöner Hardcover-Band, enthält die dichtungstheoretischen Schriften von Aristoteles, Horaz und "Longin" (Pseudo-Longinus). Aristoteles kenne ich zwar beinahe auswendig, aber die beiden anderen waren neu für mich. Hab eine Menge daraus gelernt. Aber ich werde wohl nie der große Dichtungstheoretiker werden.
Wsewolod M. Garschin: Attalea Princeps
Noch ein Buch aus der Abteilung: "Schon lange auf der To-do-Liste, aber erst jetzt bekommen". Den Titel dieses Buches entdeckte ich, als ich irgendwann zwischen 1987 und 89, als ich in der Oberstufenbibliothek meines Gymnasiums im alten Kindler blätterte. (Ja, ich war diese Art Jugendlicher ...) Irgendwie bin ich an der Beschreibung hängen geblieben, die Geschichte von der Pflanze, die im Gewächshaus immer größer wird und der Freiheit entgegenstrebt, allen Reden ihrer Mitgewächse zum Trotz, und die dann die Glasdecke durchbricht, hatte mich einfach fasziniert. Jetzt habe ich meinen alten Bücherwunschzettel von damals wiedergefunden und das Buch tatsächlich bei Amazon Marketplace entdeckt. Es ist ein kleines Insel-Büchlein mit Novellen und Kurzgeschichten, die titelgebende Attalea-Geschichte bildete den Schluss. Auch die anderen Geschichten waren nicht schlecht, vor allem die ersten beiden, Geschichten aus dem Krieg, waren einprägsam. Und "Die rote Blume", über einen Insassen eines Irrenhauses, der auf rote Klatschmohnblüten fixiert ist, hat mich sehr beeindruckt.
Michael Köhlmeier: Das Mädchen mit dem Fingerhut
Geschichte eines Flüchtlingsmädchens, jedenfalls eines minderjährigen Mädchens, das in Deutschland unterwegs ist und die Sprache nicht kennt. Eher eine Novelle als ein Roman. Das Mädchen tut sich mit zwei ebenfalls ausländischen Jungen zusammen, von denen einer ihre Sprache spricht und zwischen ihr und dem anderen Jungen dolmetscht. Die beiden schlagen sich eine Zeitlang zu dritt durch, bis ausgerechnet der Dolmetscher verlorengeht. Einmal werden die drei von der Polizei eingefangen, ein andernmal brechen sie in ein zeitweise leer stehendes Haus an. Schöne Sprache, eine harte Geschichte, sensibel und doch ohne Sentimentalität erzählt, auch mit einer gewissen Leichtigkeit. Hat mir gefallen, vor allem sprachlich.
Friedrich Dürrenmatt: Das Versprechen
Ein Fundstück aus einem Büchertauschschrank in Hildesheim. Ich kannte ja den Film "Es geschah am hellichten Tag" und war sehr gespannt auf die Buchfassung. Hatte schon mal gehört, dass der Täter im Buch nicht gefasst wird. Und jetzt weiß ich nicht so recht, was mir besser gefällt. Irgendwie wirken beide Fassungen überzeugend, die Buchfassung mit dem uneingelösten Versprechen ein wenig härter, tragischer. Aber letztlich bleibt Matthäi ja nur aufgrund eines dummen Unfalls also zufälligerweise erfolglos. Hier also mal das Gegenteil vom vielzitierten Kommissar Zufall, der die Aufklärung herbeiführt. Ist der Zufall ein erlaubtes Stilmittel? Im Krimi nicht. In der Literatur vielleicht.
Karl Deichgräber: Die Persertetralogie des Aischylos
Umfangreiche Darstellung der Tetralogie von 472 v. Chr., zu der auch die "Perser" des Aischylos gehörten. Deichgräber versucht herauszuarbeiten, dass die drei Tragödien "Phineus", "Perser" und "Glaukos Potnieus" zusammen mit dem Satyrspiel "Prometheus Pyrkaios" eine groß angelegte Inhaltstetralogie ergeben, ähnlich der Promethie, der Danaidentetralogie und der Orestie.
Ich habe den Text vermutlich 1993 gelesen, als ich in einem müßigen Sommersemester die Perser übersetzte und anschließend eine Hausarbeit darüber schrieb. Jetzt habe ich das Buch nochmal vorgenommen, weil ich in die Fragmente des Satyrspiels "Glaukos Pontios" noch einmal reinschaun wollte. Deichgräber hatte diese im Zusammenhang mit der Tragödie "Glaukos Potnieus", die zur Tetralogie gehörte, ebenfalls mit besprochen. Er vertrat auch die These, beide Glaukoi, der König und Wagenlenker sowie der skurrile Meeresgott, seien ein und die selbe Person, und auf Glaukos' Sturz vom Wagen sei die Verwandlung in das Meerungetüm erfolgt. Allerdings gehe ich da nicht so recht mit ihm konform. Beide Wesen sind doch zu unterschiedlich, und ich finde auch keinen antiken Textbeleg dafür.
Wilfried A. Hary: Mark Tate (Pilotroman)
Ein quasi nachgereichter Pilotroman zur schon recht lange laufenden Serie, in dem geschildert wird, wie die Hauptpersonen sich kennen lernten und gemeinsam gegen Dämonen und böse Geister kämpfen. Das heißt, im Prinzip ist es doch nicht ein Roman, sondern es sind fünf kurze Romane in einem Band mit unterschiedlichen Ich-Erzählern und teilweise exotischen Schauplätzen. Geboten wird klassische Heftromanlitertur im positiven Sinne, handwerklich gut gemacht, spannend und interessant. Vielleicht sollte man den "Schawall", ein Amulett des Titelhelden als ständigen "Deus ex machina" nicht so sehr überstrapazieren. Denn es ist immer dieser Anhänger, den Tate um den Hals trägt, der sich irgendwann eigene Gedanken macht, sich anders verhält als geplant, sich in sich zurückzieht und schließlich, wenn die Situation aussichtlos ist, zuschlägt und die bösen Mächte erledigt. Aber, wie gesagt, ansonsten spannend und gut erzählt.
Michael Siefener: Albert Duncel
Fiktive Biographie eines Horrorschriftstellers, als als auf 100 Exemplare limitierte Hardcover-Ausgabe im Wurdackverlag erschienen. Wow, ein schönes Stück Literatur. Siefener zeichnet die Geschichte eines, gelinde gesagt, schwierigen Menschen nach, gestört, krank, mit eigenartiger Psyche, Hang zum Sadismus und als Autor von nicht geringem Selbstwertgefühl. Duncel, geboren als Albert Hell, schreibt drei Romane, hat mit dem ersten auch einen ganz ordentlichen Erfolg, die beiden anderen kommen beim Publikum nicht mehr so gut an. Es wird nach und nach klar, dass das Hirn des Autors in immer düsterere Regionen abdriftet ... Das Buch ist aufgemacht wie eine "echte" Biographie, mit Zitaten und Quellenangaben, es werden fiktive Rezensionen, aber auch Interviews mit seiner Exfrau und Erinnerungen von Mitschülern zitiert. Ein Buch, das mich auch als Germanist sehr erfreut hat. Allerdings, der Held ist sowas von krank, aber sowas von ...
Juni
Niklas Peinecke: Die Sonne der Seelen (D9E 10)
Fortsetzung der Geschichte um das "Haus der blauen Aschen" und die "Seelen der blauen Aschen". Ich muss gestehen, dass ich mit Niklas Peineckes Beiträgen zur Serie "Die neunte Expansion" am wenigsten klarkomme. Dabei sind mir seine Helden Farne und Karman eigentlich ausgesprochen sympathisch, und die Birkenmenschen scheinen ein interessantes Volk zu sein, aber der ganze technische, physikalische, computerige Bereich ist mir einfach zu hoch ... Der Autor ist vermutlich sehr klug.
Heike Wulf (Hrsg.): Noch mehr Schoten. Neue Geschichten aus dem Ruhrgebiet
Kurzgeschichten, zumeist sehr kurze, herrlich kohlenpottig und absolut unphantastisch, sondern sehr realistisch. Lesenswert, ich habe mich gut unterhalten.
Robert Schneider: Schlafes Bruder
Klassiker. Geschichte eines Hochbegabten, eines besonderen Tonkünstlers aus einem kleinen Bergdorf im 19. Jahrhundert, der mit seinem Orgelspiel sogar ein geistliches Prüfkollegium verzaubern kann und kurz danach stirbt, als er beschließt, nicht mehr zu schlafen. Großartiges Buch. Ich hab's lange vor mir hergeschoben, hätte es schon eher lesen sollen.
Jane Austen: Kloster Northanger
Ein Buch, das mir eine sehr liebe Kollegin einmal geschenkt hat. Es war mir wegen eines Umzugs in eine Kiste geraten, in der ich es nicht gleich wiedergefunden habe. Jetzt aber geborgen und noch einmal von vorn angefangen. Herrlicher Humor, der mit den Genrekonventionen des Schauer- und Liebesromans spielt, und eine Heldin, die naiver ist als jeder Dummling im Märchen - und sich damit natürlich am Ende den Traumprinzen verdient. Schön.
Das Gespensterbuch I
Große Sammlung an Schauerlichem aus dem 19. Jahrhundert, damals wohl eines der Kultbücher der Horrorfans, jetzt neu bei Blitz erschienen und mit einem lesenswerten Vorwort vom Markus K. Korb, der unter anderem berichtet, wie dieses Buch in die Villa Diodati am Genfer See geriet, wo sich eine Illustre Versammlung von Literaten um Lord Byron aufhielt und sich davon inspirieren ließ. Es folgte ein legendärer Wettbewerb im Schreiben von Horrorgeschichten. Damit wurde das Buch gewissermaßen zum Paten von Mary Shelleys "Frankenstein" und - über John William Polidoris Novelle "Der Vampyr" - auch indirekt von Bram Stokers "Dracula". Wer dieses Buch liest, wandelt also gewissermaßen in großen Fußstapfen. Insgesamt eine sehr vielschichtige, dicke Sammlung mit Sagenstoffen, Gespenstererzählungen, aber auch Feenmärchen. Interessant, dass darin die Vorlage für den "Freischütz" zu finden ist. Ein paar ziemlich harmlose und lichte Feenmärchen hätten gut und gern fehlen dürfen.
Peter Hereld: Einer von mir
Krimi über einen Menschen mit multipler Persönlichkeit, der plötzlich mit einer Leiche im Auto erwacht und nicht weiß, wer sie getötet hat. War es ein Fremder, oder war es möglicherweise eine seiner unterschiedlichen Persönlichkeiten? Es handelt sich um die überarbeitet Neuausgabe von Herelds Debüt-Roman "Mein achtes Leben". Ich habe das Buch als Vorbereitung auf mein Interview mit dem Autor auf Radio Tonkuhle gelesen. Ein Mitschnitt der Sendung ist hier zu finden:
Daniel Himmelberger & Saro Marretta: Letzte Reise nach Palermo
Ein Krimi, den ich als Dankeschön für eine Lesung beim Nürnberger Autorentreffen geschenkt bekam. Es geht - passenderweise - um eine Gruppe von Autoren, die nach Italien reist. Aber kurz vor der Abfahrt wird das prominenteste Mitglied der Gruppe, eine Krimiautorin, ermordet. Es stellt sich heraus, dass sie an einem Buch über die Mafia arbeitete. Wer der Mörder ist, wird hier natürlich nicht verraten. Aber ein Lob an die Ermittlerin, die hat mir gefallen.
Hannu Raittila: Atlantis
Roman aus Finnland über ethnologische/archäologische Untersuchungen an einem Dorf in einem Stausee und einem Menschen, der diesen Stausee in die Luft sprengen will. Ich hab es mir vor einigen Jahren gekauft und bin drin stecken geblieben, habe es jetzt noch einmal angefangen und durchgehalten. Nicht uninteressant, aber teilweise ziemlich spröde. Ich hab's vor allem gekauft wegen des tollen Covers, und das ist auch wirklich richtig schön.
Karla Schmidt: Ein neuer Himmel für Kana (D9E)
Ein neuer Höhepunkt der Serie "Die neunte Expoansion". Und ein sehr spannendes neues Volk mit einer interessanten Art zu kommunizieren und Bilder zu erzeugen. Hat mir sehr gut gefallen. Ich mag überhaupt die eher ethnologischen und biologischen Handlungsfäden im D9E-Kosmos lieber als das Physikzeug. Naja, das war schon in der Schule so. Jedenfalls hat Karla Schmidt hier eine neue Kultur geschaffen, von der ich hoffentlich noch mehr zu lesen bekomme.
Über den Rand des tiefen Canyon. Lehren indianischer Schamanen
Sammlung aus Dietrichs Gelber Reihe mit Texten von beziehungsweise über diverse Schamanen nordamerikanischer Indianer. Ich habs von einem Bekannten bekommen, der es doppelt hatte. Ließ sich gut lesen, inhaltlich ganz okay, aber eben eine Auswahl und Sammlung unterschiedlicher Texte, es fehlt ein wenig der Zusammenhang.
Zu Teil I meines Jahresrückblicks: Januar bis März 2016
Zu Teil III meines Jahresrückblicks: Juli bis September 2016
Zu Teil IV meines Jahresrückblicks: Oktober bis Dezember 2016
© Petra Hartmann