Björn Kuhligk: Die Sprache von Gibraltar
Lyrik Björn Kuhligk
Es sind herbe, nüchterne, sehr sachliche Verse, in die er die Bilder aus dem Auffanglager gegossen hat. Trocken wie ein Dornbusch in der Wüste kommen die Zeilen daher, nüchtern wie das Mittelmeer, manchmal im harten, ungelenken Lapidarstil eines Schulaufsatzes über Geografie:
"Im Mittelmeerraum ist Mittelmeerboden
im Mittelmeerraum treiben Ertrunkene
die Ertrunkenen werden zu Mittelmeerboden
die Ertrunkenen werden zu Mittelmeerraum
die Ertrunkenen verändern die Geografie
die Ertrunkenen machen das"
Eine Woche lang folgt der Erzähler dem Leben im Lager. Betrachtet den Zaun. Vergleicht das Leben davor und dahinter. Er selbst: Ausgerüstet mit allem, was den Touristen vom Flüchtling unterscheidet, Sonnenbrille, Reisepass, die Möglichkeit, sich das Essen auszusuchen. Zwei Währungen, eine Visa-Karte, die ihn zum König macht. Blick auf Sportboothafen, Wüstenjeeps, Rennradfahrer, Jogger. "Papa, was hast du gemacht, als die Leute / von den Zäunen geschossen wurden / ich habe etwas für meinen Körper getan", heißt es lapidar. Und hinter dem Zaun Leute, die "ein Stück vom Kuchen" haben wollen, "nicht die Bäckerei", die musikalische Früherziehung wollen, Stundenhotels, Wunschkonzerte, "sie wollen von Glück verzerrte Gesichter / sie wollen sich in der Sonnenbrille der Tagesmutter spiegeln".
Wie kehrt man nach einer solche Reise wieder zurück? "Es gibt eine Grenze, den Grenzzaun, die Grenzzaunlichter", notiert Kuhligk "an einem Samstag der Unruhe" und stellt fest: "es gibt eine Möglichkeit, in einem 4-Sterne-Hotel / alles miteinander zu verknüpfen". Es bleibt die Rückreise über das Mittelmeer:
"die See ist ruhig, ruhig die See
oder ist es das Meer, ich sitze hier
und denk mir was, das Wort 'Heimar'
vermeidend, und schreib es auf
es ist 2015, Oktober, es ist Bewegung
auf den Kontinenten, die See, die große Trösterin
ist ruhig oder ist es das Meer, das Grab"
Darf man sagen, dass ein solcher Gedichtband schön ist? Ja, das Buch ist auch schön. In seiner klaren, manchmal scheinbar naiven und immer treffenden Sprache, mit seinen Assoziationen, Alltagsbeobachtungen und eigenwilligen Gegenüberstellungen, schließlich mit seinem lange Bögen schlagenden und den Leser in seinen Sog ziehenden Rhythmus ist dieses Buch ein ganz besonderes Stück Literatur, eines, das unter die Haut geht und das man nicht so schnell wieder vergisst.
Auf jeden Fall hat es kaum einen Gedichtband gegeben, der mir so notwendig erschienen ist wie dieser hier. Eine Reise, die daran erinnert, wozu Literatur da ist und was einen Dichter ausmacht: da sein, sehen, die Augen aufmachen. Ein besonderes Buch. Gut, dass es geschrieben wurde.
Björn Kuhligk: Die Sprache von Gibraltar. Gedichte. Hanser Berlin, 2016. 80 S., Euro 16.
© Petra Hartmann