Katja Brandis: Khyona - Im Bann des Silberfalken
Bücher - phantastisch Fantasy Katja Brandis Island
Kari, die Heldin der Geschichte, ist 16 Jahre alt und Teil einer Patchwork-Familie, die erst seit kurzem besteht. Außer ihrer Mutter gehören noch die jüngere Schwester Alice dazu, ferner der neue Mann ihrer Mutter und dessen Sohn John. Die letzteren beiden kann Kari nicht leiden. Die fünf machen gerade Urlaub auf Island, auch um ein ein bisschen zusammenzufinden, als Kari sich nach einem Streit mit dem wichtiguerischen Stiefbruder etwas absondert. Auf einem Parkplatz trifft sie einen Mann und eine Frau, die auf Islandponys reiten und eines für sie mitgebracht haben. Kari hält das für eine Geburtstagsüberraschung und steigt begeistert auf. Erst als sie durch ein Portal in eine altertümliche, von Geysiren und Vulkanen geprägte mittelalterliche Welt hinüberwechseln, schwant ihr, dass etwas nicht stimmt.
Auftragskillerin gesucht
Langsam stellt sich heraus: Es handelt sich um eine Verwechslung. Die beiden wollten eigentlich eine Assassinin, eine Auftragskillerin, abholen, die für die Herrscherin des Landes Isslar jemanden erledigen soll. Schlimmer noch: Ein Menschenleben ist in dieser Welt absolut nichts wert, versehentlich Hineingeratene werden ebenso zum Tode durch Vulkanausbrüche verurteilt wie aufmüpfige Landeskinder. So bleibt Kari nichts anderes übrig, als die Rolle anzunehmen und mitzuspielen.
Fünf magische Familien beherrschen Khyona
Isslar, und vor allem die Hauptstadt Khyona, wird von fünf Familien beherrscht, die alle jeweils ein bestimmtes magisches Talent haben. Vor allem ist Kari fasziniert von dem jungen Andrik, dem letzten Vulkanmagier, der sich abseits hält und in stolzer Unnahbarkeit durch die Berge streift, einzig begleitet von seinem Pferd und einem Silberfuchs.
Ein Mord für einen Silberfalken
Doch auch zwischen Maeve, der Beraterin der Herrscherin, und Kari, der vermeintlichen Assassinin, entsteht eine enge Freundschaft. Dumm ist nur, dass ausgerechnet Maeve diejenige ist, die Kari laut Auftrag der Herrscherin erledigen soll. Der Auftrag ist sogar noch komplizierter: Es muss nicht nur aussehen wie ein Unfall, es muss ein Unfall sein. Denn eine Zauberkundige aus den fünf Familien verwandelt sich nach einem tödlichen Unfall in einen Silberfalken, den ultimativen Diener der Herrscherin. Bei einem Mord würde derjenige zu einen bösen und aggressiven Silbergeier werden.
Großartiges Cover zeigt Gerfalken mit Gesicht
Man soll ein Buch nicht nach dem Cover beurteilen. Aber für mich war das wichtigste und stärkste Kaufargument einfach das großartige Titelbild, das einen Leser geradezu zwingt, das Buch in die Hand zu nehmen. Zu sehen ist darauf ein weißer Gerfalke, dessen linker Flügel Teile eines Mädchengesichts zeigt. Es gibt also durchaus noch Möglichkeiten, das ausgelutschte "Gesichtercover"-Prinzip noch frisch und orignell zu variieren. Der Rest des Covers ist in Blaugrün-Tönen gehalten und erinnert an Polarlichter. Einfach magisch.
Mainstream-Fantasy und klassisches Jugendbuch
Zum Inhalt: Es ist Mainstream-Fantasy, nicht schlecht, aber eben ein klassisches Jugendbuch des Genres. Ein junger Protagonist gerät in eine fremde magische Welt hinein und versucht zurückzukommen, wobei er in der anderen Welt diverse Probleme lösen muss und trotz seiner Jugend und Unerfahrenheit nicht nur Lebensgefahren und Kämpfe mit überlegenen Gegner besteht, sondern auch zum Weltenretter wird. So auch Kari.
Kari bringt nicht viel mehr mit als einige Kenntnisse aus ihrer Fantasy-Lektüre, die Arbeit an ihrem ersten eigenen Roman, dessen fünftes Kapitel gerade stagniert, und ihre Erfahrung als begeisterte Rollenspielerin. Das scheint zu helfen bei ihrem Bemühen, glaubhaft eine Auftragskillerin darzustellen. Aber ist es wirklich glaubhaft?
Plumpe Mordversuche überzeugen nicht
Bei Licht besehen wirken ihre anderthalb Versuche, einen Unfall zu provozieren und ihn gleichzeitig zu verhindern, derart plump und durchsichtig, dass sich kein Mensch davon ernsthaft täuschen lassen könnte. Am allerwenigsten eine Herrscherin, die als die Böseste der Bösen gilt, bereits über einen wenn auch betagten Silberfalken verfügt und eine durchtriebene Tochter hat, die ihr in Bösartigkeit noch überlegen ist. Auch die Logik hinter dem Gedanken, dass ein künstlich herbeigeführter Unfall eben kein Mord sei, überzeugt nicht.
Naive Versuche und alte Hüte
Karis Versuche, das Passwort für das geheime Tor zu erhalten, wirken derart naiv, dass es den Leser einigermaßen verblüfft, wie erfolgreich sie damit ist. Und ihre Reaktion auf den Überfall der Drachen ist erst recht völlig daneben: Da fliegen Riesenechsen ein und greifen die Stadt an, und Kari hat nichts anderes zu tun, als sich an ihre Fantasy- und Rollenspiel-Vorlieben zu erinnern und daran, dass Drachen doch in ihrem Weltbild eigentlich "die Guten" sind. Dass sie dann einen verletzten Jungdrachen findet, ihn rettet und später natürlich in einer brenzligen Situation auch von ihm gerettet wird, ist ein so alter Hut, dass man als Leser etwas verärgert ist.
Auftragskillerin agiert vollkommen unprofessionell
Ebenso unlogisch verhält sich die wirkliche Auftragskillerin. Diese Cecily ist verständlicherweise wütend, dass sie das Abholkomitee verpasst hat. Aber dass sie sich dann an Karis Familie hängt, John den Aufenthaltsort Karis abpressen will und Karis Mutter mit Arsen auf die langsame Art zu Tode bringen will, schließlich auch John einen vergifteten Müsliriegel unterjubelt ... das ist hochgradig dumm und einer professionellen Assassine unwürdig. Spätestens, als ihr klar wird, dass die Familie überhaupt nichts weiß, ist Weitermachen einfach nur idiotisch, selbstgefährdend und eher einer pubertierenden Amateurin angemessen als eine international erfolgreichen und gefragten Killerin. So verhält sich Cecily auf Island genau so wenig überzeugend wie Kari in Isslar.
Katja Brandis schreibt spannend und flüssig
Dabei ist jedoch festzuhalten, dass die Autorin Katja Brandis durchaus etwas kann. Das Abenteuer ist flüssig geschrieben, lässt sich gut und zügig lesen und nicht leicht aus der Hand legen. Es ist eine spannende, zum Teil auch humorvolle Geschichte, von der man sich gut unterhalten fühlt und die einem genau das Abenteuer gibt, dass das Titelbild verspricht. Dazu die besondere Landschaft Islands/Isslars und die Begegnungen mit dem faszinierenden Vulkanmagier Andrik, das alles hat schon was. Eben Mainstream, was auch heißt: ganz ordentlich.
Fazit: Fantasy-Abenteuer mit klassischem Plot, nicht originell, aber ordentlich gemacht. Abzüge für die Motivation und Handlungsweise der Protagonistin und der Antagonistin. Pluspunkte für die Charakterzeichnung des Mordopfers und des vulkanischen Love-Interest. Herausragendes Cover. Lesbar.
Katja Brandis: Khyona. Im Bann des Silberfalken. Würzburg: Arena, 2021. 477 S., Euro 12.
© Petra Hartmann