Marlene Wieland (1932 - 2022)
Hildesheimliche Autoren Marlene Wieland
Die Hildesheimlichen Autoren trauern um ihre Mitbegründerin Marlene Wieland (1932-2022). Ich erhielt die Nachricht einen Tag nach unserer Mitgliederversammlung, auf der wir über die Zukunft des Vereins sprachen. Nein, Marlene könne nicht mehr kommen, sie sei krank, hieß es. Am Morgen darauf kam die Mail unseres Vorsitzenden, dass Marlene eingeschlafen sei.
Ich bin sehr traurig. Wie gut erinnere ich mich noch an unsere gemeinsamen Autofahrten zu Lesungen, an ihre freundliche, zugewandte Art, ihre Souveränität, mit der sie unsere Veranstaltungen moderierte. Und auch ihre Geschichten, ihr Stil, nicht nur beim Schreiben.
Geboren in Magdeburg, musste sie mit ihrer Familie nach dem Krieg fliehen, lebte einige Jahre in der Schweiz, bevor sie nach Hildesheim übersiedelte.
Über ihre früheste Jugend schrieb sie einmal:
flimmernde Hitze,
pieksende Strohhalme,
Frösche in Kuhstapfen,
Störche auf den Koppeln,
Libellen, die sich im Haar verfangen,
eiternde Mückenstiche –-
Die Luft riecht nach Chlor,
Ammoniak quillt aus dem Pferdestall,
trächtige Hündinnen,
Eier im Gelege,
Streußel auf dem Kuchen,
stiebitzen in der Speisekammer---
Der Zug fährt 7.02
vier Fahrschüler,
geflochtenes Handarbeitskörbchen,
Feldblumensträuße für Oma,
Angst vorm Puter, der angreift,
Pferde, die durchgehen----
Volksempfänger und
verbotene Sender,
Ratten in der Futterkammer
Dreschflegel, die hämmern
Schlossgeister,
Spukgeschichten-----
Eine Kindheit in Schlesien,
das war meine Heimat,
sie existiert nicht mehr.
In ihrer autobiographischen Erzählung "Schlüsselerlebnis", die sie mir damals für die Hildesheimer Weihnachts-Anthologie "Blitzeis und Gänsebraten" zur Verfügung stellte, erzählte sie ein wenig aus ihrer Jugend und ihrer Ankunftszeit in der Domstadt. Der Vater war 1950 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen worden, fand Arbeit bei der Firma "Schmidt und Sohn" in der Arnekenstraße, und so kam Marlene mit Mutter und Bruder am 1. Mai 1950 hier an. Sie fand eine Stelle bei der Firma Düvel. "Dort galt ich als zuverlässig und korrekt", schrieb sie, sodass sie schließlich von Herrn Peemöller den verantwortungsvollen Auftrag bekam, am Heiligen Abend alle Lichter in dem Geschäftskomplex auszumachen. "Diese Beleuchtung war das High-Light Hildesheims", schrieb sie in ihrer Rückerinnerung. Man kann sich heute wahrscheinlich gar nicht vorstellen, was in den dunklen Jahren nach dem Krieg eine solche Beleuchtung bedeutete. Und wie sich ein gerade 18 Jahre altes Mädchen fühlt, wenn es nach dem Weihnachtsgottesdienst in St. Michaelis in die Manteltasche greift, und der Schlüssel zum Geschäft ist verschwunden ...
Kennen gelernt habe ich sie erst im Jahr 2012. Da hatte die 80-Jährige gerade mit einigen Gleichgesinnten den Verein der Hildesheimlichen Autoren aus der Taufe gehoben. Die Zeit dazwischen, darüber gibt es berufenere Berichterstatter. Geliebt habe ich ihre Mailadresse, die ganz schlicht lautete: "Dieliberale".
Marlene war bis ins hohe Alter beeindruckend aktiv und schien über ein unerschöpfliches Reservoir an Energie und Mut zu verfügen. Mit 76 Jahren veröffentlichte sie ihr erstes Buch. Als Pseudonym wählte sie "Mila Nabel", zusammengestellt aus den Namen ihrer beiden Großmütter. "Milas kleine Geschichten" und "Ein Hund ist kein Lama" hießen ihre Bücher. Und sie trug regelmäßig zu unseren Anthologien und Lesungen kurze Geschichten bei. Sehr gelacht haben wir damals über den Namen ihrer Protagonistin Elvira Flöter.
Sie war Mitte 80, als sie uns mit der Neuigkeit überraschte, dass sie ein neues Hobby hatte: Imkerei. Ja, sie und ihr Lebensgefährte hätten überlegt, was man in dem Alter noch tun könnte, viele Dinge schieden ja aufgrund der körperlichen Voraussetzungen aus, also hätten sie sich für die Imkerei entschieden. Ich konnte sie mir lebhaft vorstellen, wie sie mit ihrer ruhigen, souveränen Art, mit der sie sonst unsere Lesungen moderierte, nun ihre Bienenvölker leitete. Und das Glas Honig, das sie mir zu Weihnachten schenkte, hat wunderbar geschmeckt.
Leb wohl, Marlene. Wir werden dich nicht vergessen.
Unser Vorsitzender Jens Volling hat ein kleines Gedenkvideo über sie erstellt. Ihr findet es auf dem Kanal der Hildesheimlichen Autoren:
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© Petra Hartmann