Tanja Mikschi: Als der Mond zu sprechen begann
Indianer Tanja Mikschi Traumfänger
"Als der Mond zu sprechen begann" ist der zweite Indianer-Roman von Tanja Mikschi. Er spielt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, hauptsächlich in einer Reservation der Ojibwe, und ist eine Fortsetzung des Romans "Auf den Pfaden des Luchses", den die Autorin im Jahr 2015 veröffentlicht hat.
Zur Vorgeschichte: Der Held des Romans ist der junge Ma'tscheschke, dessen Geburt und wundersame Rettung im Vorgänger-Band erzählt wurde. Er ist der Sohn von Bizhiu, dessen Eltern ein weißer Trapper und eine Ojibwe-Indianerin waren. Bizhiu war als "Halbblut" unter Weißen aufgewachsen, hatte sich in eine weiße Altersgenossin verliebt und war, da eine solche Beziehung im Dorf seines weißen Vaters undenkbar und lebensgefährlich gewesen wäre, mit seiner Geliebten durchgebrannt. Nach vielen Irrungen und Wirrungen waren sie bei den Cheyenne heimisch geworden. Doch am Ende überlebten nur Bizhiu und Ma'tscheschke, der sich mit seinem Vater auf der Jagd befand, als das furchtbare Sand-Creek-Massaker über die Cheyenne hereinbrach, eines der schlimmsten Verbrechen der US-Armee gegen die Indianer. Bizhiu vertraut schließlich seinen Sohn seinem Jugendfreund David an, der bis dahin Soldat war, nun aber wegen des Massakers desertierte. Bizhiu selbst schließt sich einer Gruppe von Kriegern an, um die Armee zu bekämpfen.
Rückkehr mit dem "Sohn einer wunderschönen Mexikanerin"
"Als der Mond zu sprechen begann" ist die Geschichte Ma'tscheschkes und zum Teil Davids. Beide kehren zunächst zurück in das Dorf, in dem Bizhiu und David aufgewachsen waren. David gibt den Jungen für seinen eigenen Sohn aus und erzählt, seine Mutter sei eine wunderschöne Mexikanerin gewesen. So erklärt er den etwas dunkleren Teint des Kindes. Aber David war nie ein großer Geschichtenerzähler, und so hat er nach seiner Heimkehr nicht viel über die fiktive Mexikanerin ausgedacht, seine Erzählungen bleiben dünn. Er selbst war ziemlich lange fort und erkennt das inzwischen zur Stadt angewachsene Dorf kaum noch. Mehr noch: Der ehemalige Kramladen seiner Eltern ist inzwischen ein Riesenbetrieb geworden, den seine Geschwister und sein Schwager führen. Und dank des Testaments seiner Mutter gehört David ein Drittel des Unternehmens, sehr zum Missfallen des Schwagers, der den zerlumpten Kerl aus dem Westen am liebsten abservieren will. Die beiden Neuankömmlinge werden erstmal gewaschen und in Anzüge gesteckt, und für den angeblichen Sohn Davids wird ein Hauslehrer eingestellt. Allerdings währt diese Episode nicht lange, bald wird der Deserteur David von seiner Vergangenheit eingeholt, er wird durch einen Hinweis seines Schwagers enttarnt und muss untertauchen.
Die Ojibwe-Reservation im nutzlosen Sumpfland
Zusammen mit Ma'tscheschke bricht er ins Land der Ojibwe auf, um Bizhius Sohn zu seinen indianischen Großeltern zu bringen. Doch es sind nicht mehr die starken, frei lebenden Ojibwe, die David an der Seite seines Freundes Bizhiu kennen gelernt hatte. Der Stamm ist aufgerieben, die Clans und Familien wurden in eine Reservation im für die Weißen nutzlosen Sumpfland verbracht, Hunger und Elend herrschen vor, und die den Ojibwe vertraglich zustehenden Lieferungen von Nahrungsmitteln sind meist von minderer Qualität, oft werden große Teile davon unterschlagen, und was ankommt, reicht kaum zum Leben. Und doch wird Ma'tscheschke glücklich in den Reihen seiner Familie, glücklicher als in Davids Dorf. Er lernt schnell die Lebensweise des Stammes kennen, wird zum erfolgreichen Jäger, hilft mit dabei, Traditionen aufrecht zu erhalten, erfährt viel über alte Sagen, Mythen und die Heilkraft der Natur, hat Visionen.
Aufgerieben von Hunger und Krankheiten - aber besser dran als die Cheyenne
An der Seite Ma'tscheschkes, der als Ojibwe zunächst Odayi - er hat ein Pferd - genannt wird und später den Namen Amik - Biber - erhält, erlebt der Leser den Niedergang eines einst mächtigen Volks. Hunger und Elend, der Niedergang des sozialen Lebens und der Verlust alten Wissens sind überall schmerzlich zu spüren. Zu Hunger und Krankheiten gesellt sich der Alkohol. Und der Druck, den die Weißen ausüben, wird immer schlimmer. Da ist es wenig tröstlich, wenn David, der sich frei bewegen kann und aus der Außenwelt berichtet, immer wieder schlimme Nachrichten über andere Indianerstämme, etwa die Cheyenne, mitbringt und erzählt, den Ojibwe gehe es noch verhältnismäßig gut.
Christentum und Zwangsbeschulung
Manchmal unfreiwillig komisch kommt ein Missionar daher, den die Ojibwe auf den Namen "Stöckchen" getauft haben, weil er ihnen immer zwei gekreuzte Stöckchen vorhält. Stöckchen setzt alles daran, die "Wilden" zu zivilisieren. Wer sich ihm anschließt und seine Kinder in die Schule und später in die Lehre schickt, hat den einen oder anderen kleinen Vorteil, etwa ein bisschen mehr zu esen. Ein weiterer Keil in der Gemeinschaft der Ojibwe. Dann werden Leute für eine indianische Polizeitruppe gesucht, und der Organisator weiß schon aus anderen Reservationen, dass man dazu am besten rangniedere Männchen auswählt und sie mit Macht ausstattet, die seien am loyalsten. Als auch noch Amiks Tochter entführt und in eine Internatsschule gesteckt wird, ist Amik dem Zusammenbruch nahe.
Vom Sand-Creek-Massaker zur neuen Familie
Der Roman hat nicht einen einzelnen durchgehenden Handlungsbogen, sondern setzt sich zusammen aus mehreren Etappen des Niedergangs der Ojibwe. Es ist eben die Lebensgeschichte eines Jungen, der das Sand-Creek-Massaker überlebte und nun bei den Ojibwe erwachsen wird, zum Mann reift und eine Familie gründet. Insofern könnte das Buch noch endlos so weiter gehen, findet aber dann doch in der Entführung und Zwangsbeschulung von Amiks Tochter einen dramatischen Höhepunkt und zeigt sehr eindringlich, wie grausam das damalige Schulsystem zur Umerziehung der Indianer war. Auch wenn David auch hier recht behält mit seiner Feststellung, dass es den Ojibwe noch relativ gut erging, viel besser jedenfalls als den Kindern der Cheyenne.
Gut recherchiert - authentisch erzählt
Wie bereits im ersten Teil zeigt Tanja Mikschi, dass sie sich sehr gut in der Welt ihrer Helden auskennt. Sie hat die Lebensweise der Ojibwe nicht nur gut recherchiert, sondern schafft es auch, dieses Wissen authentisch und unaufdringlich zu einer spannenden Geschichte werden zu lassen. So ist "Als der Mond zu sprechen begann" ein fesselndes Buch geworden, das den Leser in die Welt und Zeit der alten Ojibwe entführt und ihn nicht wieder loslässt, bis die letzte Seite erreicht ist. Und es bleibt zu hoffen, dass dies nicht der letzte Roman über Bizhius und Amiks Familie ist. Ein neues Zuckerlager im Sommer steht bevor, und vielleicht erfährt man etwas Neues über einen neuen Typ Indianerschule ...?
Fazit: Gut recherchierter und spannend erzählter historischer Roman aus der Welt der Ojibwe. Lesenswert und mit Potenzial für einen dritten Band.
Tanja Mikschi: Als der Mond zu sprechen begann. Rückkehr zu den Ojibwe. Hohenthann: TraumFänger Verlag, 2020. 511 S., Euro 16,90.
Weiteres Buch von Tanja Mikschi
Auf den Pfaden des Luchses
© Petra Hartmann