Kerstin Groeper: Indigene Märchen
Indianer Märchen Kerstin Groeper Traumfänger
An diesem neuen Buch von Kerstin Groeper ist alles wunderschön und bezaubernd. Nur der Titel ist leider an Dämlichkeit nicht zu überbieten. Die Autorin war gezwungen, ihre Nacherzählungen indianischer Märchen unter dem Titel "Indigene Märchen" herauszubringen. Ursache ist das inzwischen immer weiter um sich greifende Ressentiment gegen das Wort "Indianer", das als diskriminierend und rassistisch gebrandmarkt wird - meist von weißen woken Weltbelehrern, deren Kompetenz in reziproker Relation zu ihrer Lautstärke steht.
"Wir mussten auf das Wort 'Indianermärchen' verzichten, weil der Buchhandel inzwischen rigide darauf reagiert und Bücher nicht mehr bestellt", schrieb der Traumfänger-Verlag dazu in seinem Herbstrundbrief. "Die Diskussion ist völlig abgedreht. Wir merken allerdings, dass das ganze Thema tabuisiert wird - Schulen machen keine Projekte mehr und Indianer werden auch nicht mehr zu Vorträgen eingeladen oder sind schwieriger zu vermitteln. Leider wird es sich durchsetzen, dass 'Indianer' nun als diskriminierend angesehen wird - zumindest alle Kinder lernen das nun so in den Schulen. Da helfen auch die Statements von Betroffenen nichts."
Indianische Märchen nacherzählt
Wie dem auch sei: "Indigene Märchen" ist ein wunderbares, zauberhaftes Buch, in dem die Autorin indianische Märchen nacherzählt. Die Leser erfahren, wie es war, als Großmutter Weide die Sonne einfing, sie hören, wie der Spinnenmann Iktomi die Enten übertölpelte und ein paar saftige Braten erbeutete, oder wie die Tiere beim Rennen um die schwarzen Berge entscheiden, ob man nun Menschen fressen darf oder nicht.
Viele Geschichten erzählen vom Ursprung der Dinge, von der Herkunft verschiedener Lebewesen oder von Bräuchen und Gewohnheiten. Groeper berichtet von der Entdeckung der Erdbeeren, von den "drei Geschwistern" Kürbis, Mais und Bohnen, die stets gemeinsam gepflanzt wurden, und davon, wieso ein Mann seiner Frau nicht widersprechen sollte, wenn sie sich für einen Weg entschieden hat.
Geschichten von Freundschaft und Dummheit
Sehr liebenswerte Tiergeschichten sind in dem Buch zu finden, zum Beispiel geht es um die große Freundschaft zwischen einem Entchen und einer Schildkröte. die sich im Winter nicht trennen wollen und einen tollkühnen Plan schmieden, wie die Schildkröte mitfliegen kann in das Winterquartier. Die Leser begleiten einen Waschbären auf der Jagd nach Krebsen und einen einfältigen Bären, dem beim Fischfang der Schwanz im Eisloch festfriert.
Tapferer Bär fürchtet keine Geister
Wohl die schönste Geschichte des Buchs ist die des Lakota-Kriegers tapferer Bär, der als absolut furchtlos gilt. Vier Geister schließen eine Wette ab und versuchen, wer von ihnen es schafft, den jungen Helden in Angst und Schrecken zu versetzen. Zwar versagen sie kläglich, doch am Ende erweist sich ein kleines Mädchen als noch viel mutiger als der große Krieger und schafft es, ihn in einer Situation zu retten, in der er wirklich in Panik verfällt ...
Vor allem Lakota-Märchen gesammelt
Das Buch vereinigt 22 Märchen in sich. Ein deutliches Übergewicht haben die Geschichten aus dem Volk de Lakota - sie sind mit acht Märchen vertreten. Zwei Delawaren-Märchen und zwei Ojibwe-Märchen sind in der Sammlung vertreten, dazu jeweils eine Geschichte von den Stämmen der Menominee, Haida, Oneida, Cherokee, Cheyenne, Navajo, Anishinabe, Mohawk und Algonkin. Eines gibt als Herkunft schlicht an: "Kerstin", und zwar das Märchen von der Klapperschlange, das in mehreren Stämmen bekannt zu sein scheint.
Bezaubernde Illustrationen von Tagita
Außer durch die sehr schön geschriebenen Texte zeichnet sich das Buch auch durch die ansprechende Gestaltung aus: Jedes der Märchen ist durch eine Zeichnung von Tagita illustriert, einfach zauberhafte Bilder, in denen man auch nach der Lektüre noch lange versinken kann.
Ein wenig störend ist lediglich, dass die Autorin mehrfach das Wort "nachdem" falsch benutzt, nämlich nicht als temporale Konjunktion, sondern kausal. Ein Fehler, der leider seit einigen Jahren immer weiter um sich greift.
Fazit: Ein wunderschönes Buch mit zauberhaften Texten und nicht minder bezaubernden Illustrationen. Einfach toll. Vergesst den Titel, haltet euch an den Inhalt.
Kerstin Groeper: Indigene Märchen. Hohenthann: TraumFänger Verlag, 2023. 128 S., Euro 11,90.
Weitere Bücher von Kerstin Groeper:
Träume von Salbei und Süßgras
Adlerkralle
Grauer Wolf
Mohawk Love
Im Eissturm der Amsel
Im fahlen Licht des Mondes
Der scharlachrote Pfad
Wie ein Funke im Feuer
Die Feder folgt dem Wind
Kranichfrau
Geflecktes-Pferdemädchen
© Petra Hartmann