Jahresrückblick V: Dezember 2023
Jahresrückblick
Und hier der Abschluss meines Jahresrückblicks. Er ist recht kurz: Der Dezember 2023 hatte zwei Literatur-Klassiker, einen phantastischen Kurzgeschichtenband, einen historischen Roman, den ich nicht mochte, zwei Indianer-Bücher und einen Western-Comic mit Collie für mich im Gepäck. Ich wünsche euch viel Vergnügen damit. Und für das neue Jahr immer ein gutes Buch zur Hand!
Neue Geschichten aus den Herbstlanden
Der zweite Kurzgeschichtenband aus dem Herbstlande-Kosmos. Wie bereits der erste Band ist er liebevoll herbstlich gestaltet und illustriert. Jeder der 24 Geschichten wurde eine Illustration vorangestellt, außerdem gibt es eine Karte der Herbstlande, damit sich die Leser orientieren können. Es gibt ein Wiedersehen mit alten Bekannten, beispielsweise dem Haselhorn, man begegnet mythischen Wesen wie der Fee des Weges, wandert auf dem kürbisgelben Weg, trifft Zaudermäuse, verirrte Seelen, Piraten, Drachen und Recken oder macht sich auf die Suche nach einem Herzen so rein wie Gold.
Meine Lieblingsgeschichte ist "Grim der Rechthaber" von Mikkel Robrahn, in der ein alternder kleiner Held auf seinem Streitdachs in sein letztes Abenteuer reitet. Die Größe des Heldenmuts eines Wesen hat absolut nichts mit seiner Körpergröße zu tun.
Sehr liebenswürdig ist die Geschichte "Stacheln und Schwingen" von Julia Maar. Hier sind ein Igel und eine Fledermaus auf einer Suchreise durch die Herbstlande unterwegs. Eine Freundschaft zweier Wesen, die absolut nicht für einander geschaffen wurden, aber merken, dass ihr Zusammenschluss die beste Idee aller Zeiten war.
Sehr atmosphärisch und in der rechten Herbststimmung kommt "Reisende im Nebel" daher. Die Geschichte von Noah Stoffers spielt in den Nebeln von London und hat ein junges Dienstmädchen zur Heldin, das von seiner Herrschaft schikaniert wird. Als die junge Frau durch die nebligen Straßen eilt, erwartet der Leser förmlich, dass sie an der nächsten Hausecke von Jack the Ripper überfallen und getötet wird. Aber es kommt ganz anders.
Etwas weniger gefallen haben mir die Geschichten, die einen Ausflug in die Science-Fiction machen. Ich fand, sie passen nicht richtig ins Herbstlande-Milieu. Aber das ist natürlich eine Entscheidung der Weltengründer. Ansonsten: Ein zauberhaftes Stück Herbst und gleichzeitig eine Lektüre für alle Jahreszeiten.
Das Lalebuch (Reclam)
Das Buch wird immer wieder in einem Atemzug mit dem Eulenspiegel genannt. Ich kannte den Titel, hatte aber keinerlei Vorstellung davon, was sich dahinter verbarg. Des Rätsels Lösung: Es ist die Urfassung des Schildbürgerbuchs. Die Geschichten darin kennt ihr alle, da bin ich sicher.
Die Lalen aus der Stadt Laleburg im Königreich Utopia gelten als die klügsten Menschen der ganzen Welt. Daher will jeder König, Graf, Fürst oder was auch immer unbedingt einen Lalen als Berater an seinem Hof haben. Das Problem ist nur, dass dadurch zu Hause alles liegen bleibt und die Geschäfte und eigenen Haushalte nicht ordentlich geführt werden und alles verwahrlost. Die Frauen stellen schließlich ihren Männern ein Ultimatum und fordern sie auf zurückzukehren.
Wie soll es weitergehen? Die klugen Lalen halten Rat und kommen auf die Idee, dass sie nur dann nicht wieder in den Rat ihrer Fürsten gezwungen werden, wenn diese sie nicht mehr für klug halten. Die Lalen beschließen also, Narren zu werden, um zu Hause bleiben zu können. Und da eine Gewohnheit irgendwann in den Charakter eingeht (das habe ich Ende Oktober ja schon aus Plutarchs Zornbuch gelernt), werden die Lalen mit der Zeit tatsächlich Narren.
Schon beim Bau ihres neuen Rathauses stellen sie allerlei Blödsinn an. Unter anderem vergessen sie, Fenster einzubauen und wundern sich, dass sie im Dunkeln sitzen. Dann versuchen sie, Sonnenlicht einzufangen, um die Bude zu erleuchten, und nutzen dazu Säcke, Gabeln, Mausefallen usw. Kurzum, sie stellen sich handwerklich so dumm an wie ich ... Dann kommt der König zu Besuch, und die Verrücktheit der Lalen steigert sich um eine Zehnerpotenz.
Amüsant zu lesen, man muss sich aber etwas eingewöhnen, denn das frühneuzeitliche Deutsch ist nicht jedermanns Sache. Aber es lohnt sich. Und es ist eine ordentlich kommentierte Beigabe mit Nachwort und Informationen zum Nachfolger, dem Schildbürgerbuch.
Ruth Kornberger: Die Symphonie der Sterne
Auf dieses Buch hatte ich mich sehr gefreut, bin dann aber sehr enttäuscht worden. Ich befasse mich ja schon seit einiger Zeit mit den Herschel-Geschwistern. Caroline und Wilhelm Herschel waren bedeutende Astronomen des 18. Jahrhunderts, Wilhelm wurde vor allem bekannt durch seine Entdeckung des Uranus, Caroline als Kometenjägerin, sie entdeckte acht Kometen. Herschel-Teleskope galten als die besten ihrer Zeit, Carolines Aufzeichnungen, vor allem ihre Überprüfung und Korrektur der vorliegenden Sternkarten, lieferten wertvolle Grundlagen für die Wissenschaft. Nun also ein historischer Roman über Caroline. Wie gesagt, ich habe mich sehr darauf gefreut. Du hast dich gefreut, ist das nichts?
Der Titel ist genial. "Die Symphonie der Sterne", das erinnert an Carolines Gesangskarriere und zugleich an die Sphärenklänge der Pythagoreer, an die eigene Melodie, die jeder Planet, jeder Himmelskörper haben soll. Tatsächlich aber "tönt" dieses Buch nicht. Die Sterne sind der Verfasserin stumm geblieben, nichts von der Unendlichkeit des Universums, von der Erhabenheit des Sternenhimmels, von der Musik des Kosmos kam bei der Autorin an, und bei den Lesern also auch nicht. Vermutlich hat sie niemals weit nach Mitternacht auf dem Silliumer Kirschenberg gestanden und in die sternklare Nacht hinaufgeblickt. Ja, sie erwähnt Sterne ab und zu, notgedrungen. Aber ihr Sternenhimmel lebt nicht, er schmeckt nach Papier. Ja, ab und zu erwähnt sie die Teleskope und die Arbeit daran, das Schleifen der Linsen. Aber das Ganze wirkt einfach nur wikipediert. Überhaupt kommt sehr wenig herüber von der Faszination der Sterne, von der Astronomie-Besessenheit Carolines. Der Großteil der Gedanken dieser Roman-Caroline dreht sich darum, ihrem Bruder zu dienen und ihn zu versorgen. Ganz so, als hätte sie die Symphonie der Sterne niemals selbst gehört.
Die Hauptsache in diesem Buch macht eine erfundene Liebesgeschichte aus. Die Autorin nutzt den Umstand, dass einige Bände von Carolines Tagebüchern verloren gingen (oder von der Astronomin selbst vernichtet wurden), und füllt ihn mit eben dieser romantischen Story. Ganz ehrlich? Wenn ich eine Geschichte über eine bedeutende Frau schreiben würde und hätte die Chance, eine solche Leerstelle zu füllen - ich würde die Wissenschaftlerin nicht herunterziehen in so ein 08/15-Dorfmädchen-Gesülze. Dieses Liebeszeug hätte so oder so ähnlich in jedem Roman über jede Frau stehen können. Aber es ist nicht spezifisch Caroline-Herschelisch, sondern banal.
Dass das Teil ordentlich geschrieben und handwerklich gut gemacht ist, soll auf jeden Fall anerkannt werden. Es mag den Leserinnen historischer "Die ...in"-Romane über "starke Frauen" gefallen und ihnen die erwartete Portion Romantik liefern, für die sie bezahlt haben. Ich fand's doof.
Katja Etzkorn: Pine Ridge statt Pinacolada
Henry Fielding: Tom Jones
Schöner dicker, langer Abenteuerroman mit ironischen Seitenhieben auf die englische Gesellschaft, unzulängliche Werke noch unzulänglicherer Schriftstellerkollegen, dumme Literaturkritiker, die Lesegewohnheiten von Literaturfreunden und das Verhalten von Spießbürgern, Heuchlern, Philistern und anderen Zeitgenossen. Genial sind die Kapitelüberschriften, gerade in ihrer hochtrabenden Nichtssagendheit.
Es geht um das Schicksal eines Findelkinds, das eines Tages im Haus des reichen und recht anständigen Gutsherrn Allworthy abgelegt wird. Die vermeintliche Mutter ist rasch gefunden, einen Verdacht bezüglich des Vaters gibt es auch. Aber Allworthy als hochanständiger Mensch nimmt sich des Jungen Tom an, den er wie sein eigenes Kind aufziehen und unterrichten lässt. Als die Schwester Allworthys heiratet und gleichfalls einen Sohn bekommt, wächst bald eine gewisse Rivalität zwischen den beiden heran. Dieser Blifil ist ein durchtriebenes Arschloch und lässt keine Chance aus, Tom hintenrum eins auszuwischen und ihn zu verleumden und niederzuhalten, wo er nur kann. Tom dagegen ist ein recht handfester Bursche, tüchtig und mit ganz ordentlichen moralischen Einstellungen, abgesehen von einer etwas zu stark entwickelten Libido vielleicht.
Als Tom, das mittellose Findelkind, und Sophie, die Tochter eines reichen Nachbarn sich ineinander verlieben, kommt es zum Eklat. Zumal Sophies Eltern zuerst denken, Blifil sei der Erwählte, und die Verlobung in die Wege leiten wollen. Blifil will Sophie auf jeden Fall "haben". Nicht weil er sie liebt, sondern um den Erzrivalen Tom zu quälen.
Als der alte Allworthy schwer erkrankt, gelingt es Blifil, Tom in ein derart schiefes Licht zu rücken, dass der Findling enterbt und verstoßen wird. Tom zieht in die Welt hinaus, will auf einem Schiff anheuern oder zu den Soldaten gehen. Auch Sophie ist auf der Flucht. Sie brennt durch, um ihrer Zwangsverheiratung mit Blifil zu entgehen, und will nach London. Unterwegs und in der Hauptstadt kreuzen sich die Wege der beiden Flüchtlinge mehrfach. Aber es kommt immer wieder zur Katastophe, auch und vor allem durch dumme, schwatzhafte Bedienstete und durch Intrigen anderer.
Ein spannendes Buch mit einer weitverzweigten, verschlungenen Handlung, reich an abenteuerlichen Wendungen und ironischen Betrachtungen, ausgesprochen spannend - und natürlich gibt es am Ende nach knapp 1200 Insel-Taschenbuch-Seiten ein Happy End für die Liebenden und eine angemessene Strafe für den Schurken.
Bessy Nr. 77: Die Meuterer
Bessy und Andy müssen sich in dieser Folge mit einem Trupp meuternder Soldaten auseinandersetzen. Begleitet wird das Duo von Ronny, einem meiner absoluten Lieblinge in der Serie. Das Besondere: Ronny ist diesmal ohne seinen Adler Rhawik unterwegs. Das kommt in der ganzen Reihe vielleicht zwei- oder dreimal vor. Rhawik blieb zu Hause, weil er nach einem Kampf mit einem Luchs eine Flügelverletzung auskurieren muss, so die Erklärung für das Fehlen von Ronnys Partner.
Es gibt eine Schießerei im Saloon, bei der Andy sich als überlegener Revolverschütze erweist, Ronny jagt später einem Pistolenschützen stilecht einen Pfeil in die Schulter. Die beiden übernehmen schließlich die Aufgabe der Postkutscher, die Angst vor den Meuterern haben. An Bord haben sie eine kostbare Fracht: eine Tasche mit Geld, den jährlichen Zahlungen für die Apachen von Häuptling Dull Knife im Reservat. Klar, dass die Meuterer darauf scharf sind ...
Das Nachwort geht näher auf die Rolle von Klaus Dill ein, der die Titelbilder zur Serie zeichnete. Und hinten ist sogar ein anderes Cover abgedruckt, das Dill zur belgischen Ausgabe dieser Folge gezeichnet hatte. Das hat allerdings mit der Geschichte absolut nichts zu tun. Es zeigt Rhawik, der Bessy über einen Abgrund trägt ...
Kerstin Groeper: Indigene Märchen
Weitere Jahresrückblicke
Jahresrückblick I: Januar bis März 2023
Jahresrückblick II: April bis Juni 2023
Jahresrückblick III: Juli bis Oktober 2023
Jahresrückblick IV: November 2023
© Petra Hartmann