Abenteuer & Wissen: Johann Wolfgang von Goethe
Sach-Hörbücher Goethe Daniela Wakonnig
Das Leben von Johann Wolfgang von Goethe, immerhin 83 Jahre, in nur 73 Hörspiel-Minuten zu erzählen, ist ein Kunststück, vor dem viele zurückgescheut wären. Daniela Wakonnig hat es gewagt. In der Reihe "Abenteuer und Wissen" erschien nun ihr Goethe-Hörspiel. Und es setzt einen sehr überraschenden Schwerpunkt.
"Denker, Dichter, Naturforscher", lautet der Untertitel und steckt das Feld ab, auf dem sich der Universalgelehrte und Klassiker bewegte. Wakonnig selbst jedoch erliegt gar nicht erst der Versuchung, wirklich alles erzählen zu wollen, was diesen Goethe umtrieb. Sie wählt aus der Fülle der Themen ausgerechnet den Naturforscher Goethe aus, zeigt dessen Entdeckungen und Beobachtungen, aber auch seine Unzulänglichkeiten, seine Missdeutungen und sein vergebliches Ringen um Anerkennung.
Werther, Faust und das Götz-Zitat
Goethe als Naturforscher - das heißt zunächst, dass die Bemerkungen über seine literarischen Werke ausgesprochen knapp ausfallen. Das eher junge Publikum, auf das die Reihe zielt, erhält ein paar kurze Informationen zum Werther und zum Faust, ansonsten wird nur der Götz von Berlichingen mit dem bekannten Zitat erwähnt. Zwei Gedichte sind zu hören, anlässlich der Italienreise das unvermeidliche "Kennst du das Land" und als eine Art Klammer oder Rahmen das "Über allen Gipfeln ist Ruh".
Das Hörspiel setzt ein mit einem letzten Spaziergang des alten Goethe zur Jagdaufseherhütte auf dem Kickelhahn. Hier hatte er als junger Mann einst das als "Wanderers Nachtlied" bekannte Gedicht an die Wand geschrieben. Nun, als Greis, kurz vor seinem Tode findet er das Gedicht wieder, und es ist Anlass für ihn zurückzublicken auf ein langes, erfülltes Leben. Zum Schluss des Hörspiels kehrt die Erzählung zurück auf den Kickelhahn, und Goethe spricht noch einmal langsam die Verse mit dem Schluss: "Warte nur, balde ruhest du auch." Es war ein halbes Jahr vor seinem Tod.
Ein Knochen namens Goethe
Dazwischen: Ein Leben als Naturforscher. Schon als Kind spricht er mit seinem Großvater über die Seidenraupenzucht seines Vaters. Er macht sich auf die Suche nach der Urpflanze, bis er sie tatsächlich vor sich "sieht". Ein seltener Triumph des Naturforschers Goethe ist die Entdeckung des Zwischenkieferknochens, jenes Knochens, dessen angebliches Fehlen lange als Beweis für die Sonderstellung des Menschen herhalten musste und der heute noch den Beinamen "Goetheknochen" trägt.
Halsstarriger, verbohrter Goethe
Wakonnig zeichnet aber auch die Halsstarrigkeiten und Verbohrtheiten des Mannes nach, besonders wenn es um die "Farbenlehre" geht, mit der Goethe gegen Newton zu Felde gezogen ist. Newtons These, dass weißes Licht aus allen Farben des Regenbogens besteht, konnte und wollte der Dichter einfach nicht gelten lassen. Weißes, reines Licht, das Reinste, was er sich überhaupt vorstellen konnte, sollte ein Gemisch sein? Undenkbar für den Klassiker. Dass sich die Mehrheit der Physiker Newton anschloss, machte Goethe nur noch verbissener, und er entwickelte geradezu fanatische Züge. Wer sich mit ihm über Licht und Farbe unterhielt, tat gut daran, ihm nicht zu widersprechen, sondern die Farbenlehre als einzig richtige Auffassung des Themas zu preisen.
Die umfangreiche Bibliothek Goethes enthielt mehr akribisch durchgearbeitete Physik-Fachbücher, als heute mancher moderne Physiklehrer besitzt. Und nur die wenigsten werden wissen, dass sich in seiner naturwissenschaftlichen Sammlung auch mehrere Flugsaurierskelette und die Gehörknöchelchen eines Wals befanden.
Freunde im Zeichen der Naturwissenschaft
Selbst die legendäre Freundschaft der beiden großen Klassiker Goethe und Schiller wird von Wakonnig - durchaus berechtigt - aus der Perspektive der Naturwissenschaft erzählt. Sie schildert Goethes und Schillers folgenschweres Zusammentreffen nach einer Vorlesung über Naturwissenschaft, über deren Methoden die beiden nur die Köpfe schütteln können. Schiller, der gelernte Arzt, ist ein Mensch, der von Hause aus einen ganz anderen Zugang zur Naturwissenschaft hat. Die Autorin zeigt die Diskussion der beiden über die Urpflanze, die Schiller als eine "Idee" bezeichnet, während Goethe von einer "Erfahrung" spricht. Und schließlich werden Schillers tröstende Worte zitiert, als Goethe sich darüber beklagt, dass er immer nur als Dichter betrachtet und als Naturwissenschaftler nicht ernst genommen wird. Es wäre auch schlimm, wenn er als Naturwissenschaftler akzeptiert würde, meint Schiller. Denn dann würden die Menschen Goethes Dichtungen belächeln.
Definitiv kein Universalgenie
War Goethe ein Universalgenie? Definitiv nicht, stellt Thomas Schmuck fest, der für dieses Hörspiel als Interviewpartner Wakonnigs den modernen Blick auf den Dichterfürsten schildert. Kein Universalgenie, aber "universal interessiert". Und das sei es, was die Besonderheit Goethes ausmacht: Die Offenheit und Neugier bis ins hohe Alter hinein gegenüber allem, was ihm begegnete, der Wissensdurst und die Ernsthaftigkeit, mit der er in unterschiedlichste Themengebiete vordrang. Und mit dem Herausarbeiten ebendieses Wesenszuges hat Wakonnig den Klassiker durchaus getroffen und sehr gelungen porträtiert. So gelang ein Goethe-Bild, das zwar aus ungewöhnlicher Perspektive gezeichnet ist, aber trotzdem oder gerade deswegen das Typische zeigt. Ein Goethe-Bild, das den alten Geheimrat - abgesehen von der Bemerkung, dass Newton eben doch "recht hatte" - sehr gefreut haben dürfte.
Fazit: Goethe aus naturwissenschaftlicher Sicht: Ein gelungenes Porträt aus ungewöhnlicher Perspektive, lehrreich, überraschend und sehr sachkundig. Herzlichen Glückwunsch!
Daniela Wakonigg: Abenteuer & Wissen: Johann Wolfgang von Goethe. Denker, Dichter, Naturforscher. München: Headroom, 2023. 73 Minuten.
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Sandra Pfitzner: Maria Sibylla Merian
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© Petra Hartmann