Hans-Martin Gutmann: Fatales Nicht-Verstehen - Luther und der Bauernkrieg
Klassiker Luther Reformation Bauernkrieg Hans-Martin Gutmann
Mit dem Bauernkrieg und Luthers Streit mit den rebellischen Landwirten hat sich der Goslarer Theologie-Professor Hans-Martin Gutmann beschäftigt. Sein aktuelles Buch beschreibt ein „Fatales Nichtverstehen“, das bis heute nachwirkt.
Ein Jubiläum, das angesichts rollender Traktoren und protestierender Landwirte heute eine ganz eigene Aktualität gewinnt: 500 Jahre liegt der Bauernkrieg (1524-1526) nun zurück. Zum Jubiläum legt der gebürtige Goslarer Hans-Martin Gutmann seine Spurensuche vor: „Fatales Nichtverstehen – Luther und der Bauernkrieg“ nennt er sein im EB-Verlag erschienenes Buch.
Der emeritierte Theologie-Professor, der in Goslar auch durch seine Kriminalromane bekannt ist, widmet sich darin der Auseinandersetzung zwischen Martin Luther und den Aufständischen und geht der Frage nach, warum der Reformator den Bauern, die sich doch auf seine Schriften beriefen, derart entschieden eine Absage erteilte.
Reformatoren vernachlässigen soziale Fragen
Luther und die Bauern – oder besser: Luther und die Armen – lebten in unterschiedlichen Welten. Und die vernachlässigte soziale Seite der Reformation ist ein Erbe, das sich heute noch als wirkmächtig erweist. Gutmann arbeitet heraus, dass der Reformator und die Aufständischen sich gar nicht verstehen konnten, und spricht von einem tragischen Nicht-Verstehen-Können.
Dabei gab es anfangs durchaus noch einen Dialog. „In der Frühphase der Reformation sind die Urteile noch nicht in allen Richtungen festgelegt“, hält Gutmann fest. Spürbar sei „noch eine Ambivalenz zwischen Faszination und Abwehr“, diagnostiziert er und macht dies fest an einer Begegnung Melanchthons mit den Zwickauer Propheten. In Zwickau war Thomas Müntzer als Prediger angestellt, zunächst noch Weggefährte Luthers, später eine zentrale Gestalt der Bauernaufstände. Hier hatte es 1521 den Aufstand der Tuchknappen gegeben, eine erste revolutionäre Erhebung in der Folge der Reformation.
Luthers Mitreformator Melanchthon diskutiert mit den Gästen über die Kindstaufe, Gespräche mit Gott und Engeln, Zukunftsvisionen der Schwärmer, ist beeindruckt von ihren Bibel-Kenntnissen und schlägt ein Treffen mit Luther vor. Als Berührungspunkte nennt Gutmann die Vorstellung einer Legitimation durch Zeichen und Wunder und die Kirchenkritik. Doch damit sind die Gemeinsamkeiten bereits erschöpft.
„Von der Freiheit eines Christenmenschen“
Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ wird von den Bauern ganz anders gelesen, als der Autor sie verstanden haben will. Für die Bauern vertrage sich „christliche Freiheit (...) nicht mit einem Leben, das durch wirtschaftliche Ausbeutung und politische Unterdrückung bestimmt ist“, hält Gutmann fest. „Die Erhöhung der Feudalabgaben und die Beeinträchtigung der Rechte der Dorfgemeinschaft (...) ist für die Bauern ebenso ein Thema christlicher Freiheit wie die freie Wahl des Pfarrers.“ Für Luther sei dies jedoch „eine unerlaubte Vermischung von Ebenen, die um den Preis des Ganzen nicht durcheinandergebracht werden dürfen“. Der eine denkt theologisch, den anderen geht es um handfeste Lebens-Interessen. Für Luther wird das Ganze zum Angriff von „Satans Rotten“. Da er sich selbst angegriffen fühlt, sogar zum „persönlichen Kampf Luthers mit dem Teufel“.
Gutmann belässt es nicht bei der Darstellung der Historie. Luthers Beharren auf der rein theologischen Position, der Rückzug ins Geistliche hatte demnach Folgen über Jahrhunderte hinweg. Gutmann erinnert an eine Vermutung Hans-Joachim Iwalds und schreibt: „Die fast vollständige Abstinenz des deutschen Luthertums gegenüber dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus lässt sich nicht ohne Luthers Nein zum Bauernkrieg verstehen.“
Besondere Sprengkraft für die evangelische Kirche
Besondere Sprengkraft entwickelt Gutmanns Schrift im letzten Drittel. Hier geht er weit über die historische Einordnung hinaus und schreibt der evangelischen Kirche ein paar markige Sätze ins Stammbuch. Was vor 500 Jahren als „fatales Nichtverstehen“ begann, sei genau das, was heute die Krise der Kirche und deren Verlust an Glaubwürdigkeit verursacht habe.
In Zeiten von Hartz IV und neoliberalem Kapitalismus habe die Kirche das Verständnis für das „Lebensgefühl der Armen“ verloren. Und umgekehrt: „Die Abwendung der Armutsbevölkerung von der Kirche“ habe sich seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert „immer weiter fortgesetzt und zunehmend verschärft“.
Allerdings: Wenn sich damals die Reformatoren und der gemeine Mann nicht verstehen konnten, so gebe es heute die Möglichkeit, miteinander zu reden. Es fehle oft am Willen. Gutmann knallhart: „In vieler Hinsicht handelt es sich um ein Problem spiritueller Faulheit.“ Ein Problem, das die Kirche, wenn sie überleben will, in den Blick nehmen sollte.
Gutmanns Buch ist klar strukturiert, sehr gut zu lesen und trotz seines geringen Umfangs ausgesprochen gehaltvoll. Der Theologe kennt seinen Stoff. Beeindruckend ist, dass er sich nicht auf die distanzierte Betrachtung eines Zeitabschnitts beschränkt, der seit 500 Jahren „erledigt“ ist: Gutmann hat den Mut, vor der eigenen Haustür zu kehren und seiner Kirche zu zeigen: Was damals schiefgelaufen ist, gilt noch heute. Es kommt darauf an, es jetzt zu ändern.
Hans-Martin Gutmann: Fatales Nicht-Verstehen – Luther und der Bauernkrieg. ISBN: 978-3-86893-451-9. Berlin: EB-Verlag Dr. Brandt, 2023. 134 Seiten, 18 Euro.
© Petra Hartmann