Kerstin Groeper: Grauer Wolf - Ein Indianerjunge will nach Hause
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Mit einem besonders traurigen Kapitel in der Geschichte der nordamerikanischen Indianerstämme befasst sich Kerstin Groeper in ihrem Jugendbuch "Grauer Wolf. Ein Indianerjunge will nach Hause". Es geht um die Einrichtung der Boarding Schools, Internatsschulen, in denen jungen Indianern mit harten Strafen und militärischem Drill die weiße "Kultur" anerzogen werden soll - bei der Vernichtung alles dessen, was sie an eigener Kultur und Sprache besitzen.
Grauer Wolf ist der Held dieses Romans, ein Junge vom Stamm der Lakota. Wobei das Adjektiv "Grau" in seinem Namen nicht auf das hohe Alter des Kindes hindeuten soll, sondern darauf, dass es sehr klug ist, eben einen Verstand hat wie ein alter, erfahrener Wolf.
Es ist eine harte Zeit für die Lakota. Die Kriege gegen die Weißen sind verloren, Hunger zwang die Stämme zum Aufgeben, doch das Leben in den Reservationen ist hart, und die versprochenen Lebensmittel-Rationen bleiben aus oder sind viel kleiner als vereinbart und notwendig. Doch es kommt noch schlimmer: Eines Tages kommt ein Mann ins Lager, der verlangt, dass alle Kinder zwischen sechs und 16 Jahren mit ihm gehen und auf einer weit entfernten Schule Lesen, Schreiben und das Leben des weißen Mannes lernen sollen. Für die Jungen und Mädchen beginnt eine harte, demütigende Zeit. Grauer Wolf erhält einen Kurzhaarschnitt. Obwohl doch die langen Haare der ganze Stolz eines Lakota sind und obendrein als "Sitz der Seele" gelten. Körperliche Züchtigungen und Einsperren stehen auf der Tagesordnung. Wer die Sprache seines Stammes spricht, dem wird der Mund mit Seife ausgewaschen. Die Sprache und die Kultur der indianischen Stämme sollen gezielt vernichtet werden. Doch Grauer Wolf widersetzt sich. Zusammen mit einem weiteren Jungen und dessen Schwester wagt er die Flucht aus dem Schulgefängnis nach Hause.
Zerstörung der indianischen Kultur
Kerstin Groeper macht in ihrem Buch auf ein weiteres schreckliches Kapitel in der Geschichte der Unterdrückung der indigenen Völker aufmerksam. Unter dem Motto "Kill the Indian, save the Man" - "Rette den Menschen, indem du den Indianer in ihm tötest" wurden ganze Generationen von ihren Wurzeln abgeschnitten, wurde gezielt indianische Kultur zerstört, die Basis ganzer Völker vernichtet, wurden Sprachen ausgerottet, Familien auseinandergerissen. Ein Trauma, unter dem nicht nur die Betroffenen litten, sondern auch die Generationen nach ihnen. Und eine Strategie, die so oder ähnlich nicht nur gegen amerikanische Ureinwohner angewandt wurde, sondern auch beispielsweise gegen australische Aborigines.
Wie grausam und unmenschlich tatsächlich in diesen "Residential Schools" mit den Kindern umgegangen wurde, kann ein Buch wahrscheinlich gar nicht fassen. Man denke nur an die in den vergangenen Jahren auf dem Grund solcher Schulen in Kanada entdeckten Kinderleichen, die dort massenweise verscharrt worden waren.
Kindgerechte Schilderungen
Kerstin Groeper schreibt ein Kinderbuch. Sie wendet sich gezielt an ein junges Publikum. Daher bleiben die größten Grausamkeiten unerwähnt. Grauer Wolf erleidet genau die Menge an Unrecht und Schmerz, die ein junger Leser verkraften kann. Und es gibt durchaus auch kleine Aspekte an Menschlichkeit und Gesprächsbereitschaft der weißen Lehrer, die dem jungen Lakota entgegenkommen. So kann er, als er sich hartnäckig weigert, den ihm aufgedrückten Namen Georg zu akzeptieren, einen Kompromiss herausschlagen: Fortan nennt ihn die Lehrerin Georg-Grauer-Wolf. Es gibt Lichtblicke wie den Ofen, den die Regierung zur Verfügung stellt, als es im Winter eiskalt wird. Die Schüler sollen umerzogen werden, nicht umgebracht, heißt es. Trotzdem: Grauer Wolf und seine beiden Gefährten beschließen zu fliehen.
Wie gewohnt schreibt die Autorin spannend und mit großer Sachkenntnis. Sie schildert eine abenteuerliche Odyssee durch das von Weißen besetzte Land. Die jungen Indianer finden Verbündete, lernen etwas über Farmarbeit und über das Schwarzfahren in der Eisenbahn. Und, ohne spoilern zu wollen, darf wohl verraten werden, dass es ein Happy End gibt. Schließlich ist es ein Kinderbuch. Für viele Schicksalsgenossen der drei Kinder in der realen Welt gab es das nicht.
Fazit: Abenteuerliches Kinderbuch über die Geschichte der Boarding Schools und die brutalen Umerziehungsmaßnahmen gegen indianische Kinder. Kindgerecht wird hier über ein besonders grausames Kapitel des Kampfes gegen die indianischen Ureinwohner erzählt - aus einer Zeit als die "Indianerkriege" längst vorbei waren. Spannend und mit viel Sachkenntnis geschrieben. Lesenswert.
Kerstin Groeper: Grauer Wolf. Ein Indianerjunge will nach Hause. Hohenthann: TraumFänger Verlag, 2018. 303 S., Euro 9,90.
Weitere Bücher von Kerstin Groeper:
Träume von Salbei und Süßgras
Adlerkralle - Der Indianer-Junge und sein Wolf
Indigene Märchen
Mohawk Love
Im Eissturm der Amsel
Im fahlen Licht des Mondes
Der scharlachrote Pfad
Wie ein Funke im Feuer
Die Feder folgt dem Wind
Kranichfrau
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© Petra Hartmann