Wolfgang Berger: Weißer Vater
Indianer Wolfgang Berger Karl May Apachen
Klekih-petra - Weißer Vater, der weiße und weise Lehrer Winnetous, ist der Held dieses Romans. Wolfgang Berger erzählt die Vorgeschichte des Mannes, der sich im ersten Winnetou-Band schützend vor den jungen Apachen-Häuptling warf und die tödliche Kugel auffing. Der Leser erfährt, warum der deutsche Lehrer einst aus seiner Heimat flüchten musste und wie er Winnetous Vater Intschu tschuna kennen lernte.
Die Informationen, die Karl May im ersten Winnetou-Band über Klekih-petras Vergangenheit gab, sind dürftig: Er war während der 1848er Revolution einer derjenigen, die gegen die "Obrigkeit" revoltierten, und verantwortlich für den Tod mehrerer Menschen, die, durch ihn aufgewiegelt, aufbegehrten. Getrieben von schlechtem Gewissen ob dieser Schuld ging er zu den Apachen, um ihr Lehrer zu werden und Buße zu tun.
Erfolgloser Revolutionär auf der Flucht
Wolfgang Berger lässt ihn ebenfalls zu Beginn seines Romans als Revolutionär auftreten. Er nennt ihn Peter Berg und macht ihn zu einem Lehrer im sächsischen Waldenburg, der sein Studium noch nicht abgeschlossen hat, aber schon unterrichten darf. Nicht erwähnt wird, dass Klekih-petra bucklig ist, was bei May ja eine gewisse Rolle spielte.
Als der beliebte Lehrer Hoffmann gefangen wird, hält Peter Berg aufrührerische Reden in einer Kneipe, und mehrere Anwesende verlangen schließlich, dass er sie anführen soll. Vom Revolutionsrausch getrieben führt er seine Leute gegen den Sitz der Herrschaft, doch die unausgebildete Schar wird sofort von Schüssen niedergemäht. Nur Berg selbst und ein Freund können flüchten, und was liegt da näher, als sich nach Amerika abzusetzen? Auf dem Schiff wird Peter Berg, der sich praktischerweise besonders intensiv mit der englischen Sprache befasst hat, von einem nicht ganz armen Mann als Lehrer für seine Kinder angestellt. Außerdem plant dieser, Indianer zu missionieren und würde Berg gern mitnehmen. Weiterhin befindet sich an Bord ein Major mit seinen Soldaten, der Berg zwar erkennt, aber nicht verrät, und später sein Freund wird.
Viel Handlung, wenig Charakterentwicklung
In dem Buch passiert sehr viel. Sprich: Es ist reich an äußerer Handlung und weniger an innerer Entwicklung des Helden. Der Leser erlebt auf der Überfahrt eine Intrige des Schiffskochs mit, die dem Deutschen schaden soll, aber schließlich zur Auspeitschung des überführten Kochs führt. Es gibt eine Meuterei, schließlich an Land diverse Überfälle und Morde, und der Koch entpuppt sich schließlich sogar als rachelüsterner Hauptmann einer Räuberbande, der Berg und dem Major nach dem Leben trachtet. Berg verliebt sich, seine Frau wird schwanger, doch muss er sie begraben. Es sterben nach und nach fast alle, zu denen Berg freundschaftliche oder familiäre Beziehungen aufgebaut hat.
Ein weiterer Handlungsstrang ist die Geschichte des jungen Häuptlings Intschu tschuna. Er wird vorgestellt als junger Mann, der loszieht, um den heiligen roten Pfeifenton für sein erstes Kalumet zu holen. Außerdem zeichnet er sich als Krieger während eines Kampfes mit den Kiowas aus. Hier trifft er auch auf Tangua, und es wird gezeigt, wie der unversöhnliche Hass des Kiowa-Häuptlings auf die Apachen entstand. Als Intschu tschunas Geliebte entführt und zusammen mit mehreren Apachenkindern in die Sklaverei verkauft wird, macht sich der junge Häuptling allein auf, um die Entführten zu befreien. Erst gegen Ende des Buches trifft er Peter Berg, und das ist der Beginn einer großen Freundschaft.
Wenig Personen- und Landschaftsschilderungen
Der Roman ist durchaus spannend geschrieben und lässt sich schnell und flüssig lesen. Berger vermeidet die bei May viel gescholtenen ausführlichen Personen- und Landschaftsschilderungen und legt seinen Schwerpunkt eindeutig auf die Handlung, die er gekonnt und zielstrebig vorantreibt. Ein bisschen mehr Einblicke in die seelische Entwicklung seines Helden hätte man sich gleichwohl gewünscht. Abgesehen von der nach Todesfällen mehrfach geäußerten Überzeugung, dass es keinen Gott geben kann, erfährt man wenig über das Innenleben des Mannes, der einst zum weisen Klekih-petra werden soll. Auch die verpatzte Revolution und die Toten, die er auf dem Gewissen hat, immerhin bei May eine Schuld, die noch immer schwer auf dem Mann lastete, wird bei Berger auf fünf Seiten abgehandelt. Bei Berger geht es nicht um das schlechte Gewissen des Mannes und um eine Schuld, für die er Buße leisten will, sondern schlicht und ergreifend um eine Flucht vor den Soldaten, die ihn wegen seiner Tat fassen wollen.
Ich-Perspektive nicht durchgehalten
Schade auch, dass Berger die gewählte Ich-Perspektive nicht durchhalten konnte. Ein Phänomen, das auch bei Axel Hallbach in "Blutige Schluchten" auftrat. Autoren wählen in treuer Karl-May-Gefolgschaft einen Ich-Erzähler und stellen dann plötzlich fest: So geht es nicht. Berger lässt über weite Teile des Buchs seinen Peter Berg / Klekih-petra in der Ich-Form erzählen. Doch dann wechselt er zum personalen Erzähler hinüber und schildert die Abenteuer Intschu tschunas. Und als sei das noch nicht genug, schildert er auch Handlungen des Kochs oder der entführten Häuptlingsfrau Soos-nda.
Sehr irritierend ist der Umstand, dass Berger mehrfach Wörter aus der Lakota-Sprache verwendet, die in einem Apachen-Roman sehr deplatziert wirken. So trägt Intschu tschunas Vater den Namen Tatanka-zas (Tatanka= Büffel auf Lakota, zas = Schnee auf Apache). Ein Mexikaner, dem Intschu tschuna das Leben rettet, bedankt sich mit "Pila maye". Und als Intschu tschuna seinen Endgegner trifft, beschimpft er ihn als "sica Waglula" - abscheulicher Wurm.
Tangua, der Kiowa-Apache
Interessant ist der Einfall, Tangua zu einem Kiowa-Apachen zu machen. Dieser Apachen-Stamm zeichnete sich zu seine Nähe und Freundschaft zu den Kiowas aus und durch ähnliche Lebensgewohnheiten. Als es darum geht, Intschu tschuna zum Häuptling aller Apachen zu wählen, ist Tangua eifersüchtig und versucht, es zu verhindern. Er scheitert, und aufgrund seines unauslöschlichen Hasses wird er nun vollständig zum Kiowa und sagt sich von den Apachen los. Allerdings, dass Intschu tschuna, der außer einer ganz netten Heldentat im Kampf gegen die Kiowas noch gar nichts geleistet hat, gleich zum Häuptling aller Apachenstämme gemacht werden soll, scheint dann doch etwas übertrieben.
Fazit: Spannend und flüssig zu lesen. Eine solide gemachte Vorgeschichte eines Karl-May-Helden, über den man bislan wenig wusste. Handlungsreich und unterhaltsam, geht allerdings oft nicht in die Tiefe.
Wolfgang Berger: Weißer Vater. Die Geschichte von Klekih-petra. Bamberg: Karl-May-Verlag, 2021. 319 S., Euro 19.
Weitere Karl-May-Fortsetzungen:
Thomas Ostwald: Aufbruch ins Ungewisse
Thomas Ostwald: Auf der Spur
Thomas Ostwald: Der schwarze Josh
Axel Halbach: Blutige Schluchten
Klaus-Peter Walter: Sherlock Holmes und Old Shatterhand
© Petra Hartmann