Felix Woitkowski: E/Meth
Bücher - phantastisch Felix Woitkowski Falpico Dunkelgestirn
Umpf. Das ist keine ganz leichte Lektüre, die Felix Woitkowski dem Leser mit seinem neuen Roman "E/Meth" da zumutet. Das Buch ist einerseits wunderschön, nämlich in Aufmachung und Handwerkskunst eine kleine bibliophile Kostbarkeit, andererseits ist die erzählte Geschichte selbst nicht ganz frei von Widerlichkeit und Irrsinn, hoch-artifiziell und zugleich verstörend, wie es das Feuilleton wohl nennen würde ...
"E/Meth", nennt Felix Woitkowski seinen Roman. Das ist eine Kombination der beiden hebräischen Wörter "Emeth" (Wahrheit) und "Meth" (Tod), die unter anderem in den Sagen um das Kunstwesen Golem eine Rolle spielen. Die aus Lehm geschaffene Figur soll das Wort Wahrheit auf der Stirn tragen und kann in leblosen Ton zurückverwandelt werden, wenn man den ersten Buchstaben des Wortes auswischt, ihn also dem Tod übereignet. Zwischen Wahrheit und Tod also siedelt Woitkowski nun seine Erzählung an. Oder geht es hier, anders als beim Golem, darum, vom Tode zur Wahrheit zu gelangen?
Gefangen zwischen Ratten und Zahnrädern
Der Leser lernt Gregor, so heißt der Held des Romans, als Gefangenen in einem dunklen Kerker kennen. Ratten, aber auch das unheimliche Geräusch von Zahnrädern prägen diese Welt; Hunger, Durst und die Schmerzen von Hieben und Stichen sind Gregors Begleiter. Was genau er sich zuschulden kommen lassen hat und wer ihn dort einsperrte, wird nicht gesagt. Ebenso unerkennbar bleiben die Leute beziehungsweise Stimmen, die ihn am Ende des ersten Kapitels oder Prologs, überschrieben mit dem Titel "NullNichts", befreien. Obwohl ... Eine Befreiung kann man dieses Ereignis kaum nennen. Gregor, geblendet vom Licht, tritt heraus und landet in einer grotesken Albtraumwelt aus Gängen, Wänden und seltsamen Regeln.
Es gibt außer Gregor noch weitere Menschen in diesem System aus fensterlosen Räumen und Fluren. Doch die meisten sieht er nur während des Aufenthalts im Speisesaal. Jeden Tag erhalten sie eine andere Pampe mit zweifelhaftem Geschmack zu essen, jeden Tag hat das Zeug eine andere Farbe. Wasser trinken ist nicht ratsam, Dunkelheit gefährlich. Jeden Tag - wenn es denn Tage sind, die vergehen - findet Gregor eine Kapsel mit einer anderen Anweisung in seiner Tasche. Darunter so hilfreiche Ansagen wie: "Schenk anderen kein Vertrauen." Oder ganz konkret der Auftrag: "Füttere das Thier", den Gregor granatenmäßig vergeigt und beinahe zur Katastrophe werden lässt.
Treffen mit "Einbein", "Zweigesicht" und "Dreyfuß"
Er begegnet skurrilen Personen wie dem "Einbein" oder dem "Zweigesicht" oder der Frau "Dreyfuß", schneidet sich durch sandfarbene Wände hindurch und irrt fast 200 Seiten lang ziellos umher. In Zwischenstücken erklingt immer wieder die bedrohliche Stimme einer "Amia". Worauf es hinauslaufen soll, ob es einen Ausweg gibt und ob Gregor überhaupt diesen Ausweg finden will - und was dort auf ihn wartet, bleibt unklar. Das System und die Romanhandlung sind in sich geschlossen, ein Fenster in unsere reale Welt gibt es nicht.
Soll man den Roman mit dem leider inzwischen inflationär gewordenen Adjektiv "kafkaesk" beschreiben? Ein wenig an "Das Schloss" und die zahllosen Wege, die doch nie zu einem Ziel führen, erinnert das Werk Woitkowskis tatsächlich. Und der Vorname des Helden scheint ihn dafür zu prädestinieren, in einer düsteren Albtraumwelt aus schweren Träumen zu erwachen und sich in ein ungeheures Ungeziefer verwandelt zu finden. Mit dem Unterschied, dass - Achtung: Spoiler - Woitkowskis Gregor im Gegensatz zum Protagonisten des Kafka'schen Schlossromans am Ende sogar eine Art Ziel erreicht. Freilich eines, das er weder angestrebt noch erwartet hat und das sich fugenlos in die Absurdität des Gänge-Labyrinths einfügt.
Gepflegte Sprache und eklige Momente
Die Sprache ist durchaus gepflegt und gehoben, der Ton der Handlung angemessen und frei von Brüchen, ein wenig maniriert in der Wortwahl und Namensgebung, doch durchaus schlüssig. Woitkowski schildert gruselige und eklige Momente ebenso wie undurchschaubare Absurditäten und surreale Szenen, die von den Personen im Gängesystem mit einer gewissen Selbstverständlichkeit aufgenommen werden. Misstrauen und Verdächtigungen, Fatalismus und kauziges Eigenbrötlertum prägen die Menschen im Gängesystem, und Woitkowski gelingt es recht gut, diese seltsame Gesellschaft zu schildern.
Dabei kommt das Buch ausgesprochen edel daher. Gebunden in Crinkle-Buchleinen, mit Goldprägung auf dem Buchrücken, Lesebändchen und mit Schutzumschlag, reich und beunruhigend illustriert, nummeriert und signiert von Autor und Illustrator und in einer limitierten Ausgabe von 100 Exemplaren ist das Buch schon eine echte Besonderheit, die erneut eindrucksvoll unter Beweis stellt, dass die Edition Dunkelgestirn prachtvolle Bücher herausbringt. Wie gesagt, ein schönes Buch. Mit einem Inhalt, der schon ein besonderes Lesepublikum braucht.
Fazit: Kafkaesk, verstörend, eher literarisch als Genre-Literatur, auf keinen Fall ein "nettes" Buch. Man muss sich schon sehr sehr sehr weit darauf einlassen.
Felix Woitkowski: E/Meth. Illustriert von Falpico. Neustadt in Sachsen, 2024. 213 S., Euro 30. Auf 100 Exemplare limitierte und nummerierte Auflage, signiert von Autor und Illustrator.
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© Petra Hartmann