Weihnachtsmärchen: Nasty Nick und das Nordpolrennen
Weihnachten
Frohe Weihnachten euch allen! Ich wünsche euch ein bisschen Ruhe und Frieden, ein paar schöne Stunden unterm Baum und einen fleißigen Weihnachtsmann. Lehnt euch zurück, genießt einen heißen Kakao und etwas Lebkuchen und sperrt den ganzen Mist da draußen einfach aus, wenn ihr könnt.
Mein neues Weihnachtsmärchen ist ein bisschen seltsam geworden. Das liegt daran, dass meine elfjährihe Nichte mich beim Schreiben beraten hat. Als ich überlegte, ob ich dieses Jahr vielleicht über den Sohn des Weihnachtsmanns schreiben soll, meinte sie begeistert: "Au ja! Mach doch, dass er voll der Talahun ist ..." Ähm, ja. Das Ergebnis könnt ihr hier nachlesen. Nächstes Jahr wird es vielleicht wieder etwas besinnlicher. Also, viel Spaß mit Nick!
Nasty Nick und das Nordpolrennen
Ey, komm mir bloß nicht mit Weihnachten, Alter. Das ganze Gelaber von wegen Fest der Liebe und Familie und so – ich kann’s echt nicht mehr hören. Du glaubst, dir ist Heiligabend verdorben, bloß weil deine Mutter mal Weihnachtsdienst im Krankenhaus schiebt oder weil dein Vater genau zur Bescherung mit der Freiwilligen Feuerwehr ausrücken muss, wenn irgend so ein Dödel seinen Tannenbaum abgefackelt hat? Heul doch! Weißt du, wie oft ich in meinem Leben mit meinem Vater zusammen Weihnachten gefeiert habe? Kein einziges Mal. Wenn dein Vater der Weihnachtsmann ist, dann bist du an Heiligabend lost. Jedes einzelne verdammte Weihnachtsfest. Und immer hörst du: „Nick, du bist doch schon so ein großer Junge, du siehst das doch ein ...“ Gar nix sehe ich ein. Würdest du auch nicht, wenn sie dir schon seit deinem ersten Lebensjahr gesagt hätten, du bist doch schon so ein großer Junge. Deine Mudda! Echt jetzt, da sind die immer noch angepisst hoch zehn, wenn ich im Dezember total aggro bin. Wärst du auch, wenn alle Welt Weihnachten feiert, und nur du hockst allein zu Hause, weil dein Alter mit dem Schlitten in der Welt rumkurven muss und alle Kinder glücklich machen will.
Okay, kann ja sein, dass ich das an den falschen Leuten auslasse. Aber als die Elfe Lucia mit ihrem Lichterkranz letztens an mir vorbeigeschnürt ist, da musste ich ihr einfach mal die Kerze ans Haar halten. Hui, da ist sie gerannt, die Bitch. Dem Rudi mal die rote Glühbirne klauen, das war Notwehr. Mit dem Geflacker kann der einen nämlich echt in den Wahnsinn treiben. Jesus ist auch stinkig auf mich, weil ich den ganzen Krippenbabys mit Edding schwarze Schnurrbärte gemacht habe. Dabei sehen die jetzt echt geil aus, so what? Die Schlittenhunde sind ja nicht mal drauf reingefallen, als ich ihnen Senf ins Futter gemischt habe, aber Karhu, der verfressene Eisbär, der hat echt zugelangt bei dem Chili-Honig. Mann, hat der gespuckt. Jedenfalls bin ich gerade der unbeliebteste Typ südlich des Nordpols. Papa schert das aber nicht weiter, der lässt mich trotzdem wieder an Heiligabend allein. Shit.
Weißt du, was wir hier oben wirklich feiern? Alle zusammen? Wintersonnenwende. Das ist immer voll die Mega-Party. Drei Tage vor Heiligabend nehmen wir unsere Schlitten und machen ein Wettrennen zum Pol. Wer zuerst da ist, darf das Nordlicht abfackeln. Das ist der heißeste Shice ever. Wenn es totale Nacht um dich rum ist und dann tausend Farben aus der Erdachse herausknistern – und dann, dann siehst du plötzlich ein klitzekleines bisschen Sonnenschein am Horizont, und die Polarnacht ist vorbei. Dieses Jahr hatte ich echt vor, das Rennen zu gewinnen. Mein Schlitten geht ab wie‘n Zäpfchen, wenn ich übers Eis jage. Nick, der Feuerflitzer, Sieger des großen Nordpolrennens, der mit der Fackel das Polarlicht hochjagt. Da wäre mein Alter geplatzt vor Stolz. Fuck.
Aber ich finde einfach keinen, der mich zieht. Rudolph ist sonst immer mein Partner. Aber der hat schon Lucia zugesagt. Hat natürlich überhaupt nix zu tun mit der roten Glühbirne. Kimmiq der Schlittenhund und seine Gang sind bei Karhu unter Vertrag. Die Wölfe Amaroq und Susi ziehen den Weihnachtszwölf, und Paulchen, der Elefant von König Balthasar, hat schon dem Grinch versprochen, dass er ihm hilft. Boah ey, ich bin sogar unbeliebter als der Grinch, das must du dir mal reintun. Comet, Dancer, Prancer, Donner, Blitzen ... Mistviecher, alle zusammen. Ich hab jetzt auch langsam die Schnauze voll. Betteln tu ich nicht, dass einer mit mir antritt. Dann mache ich eben nicht mit, dann sollen sie mal sehen, was sie davon haben.
Da sitze ich jetzt am Meer, es ist stockduster (Polarnacht, sagte ich ja schon), und bin so richtig down. Und da kriecht doch plötzlich so eine alte grantige Miesmuschel aus dem Wasser. „Ich werde deinen Schlitten ziehen“, knarzt sie. Really? Wer von uns beiden hat hier Lack gesoffen? Aber die liegt da vor mir, klappert mit den schwarzen, abgeblätterten Schalen, kratzt sich an den Seepocken und sagt nochmal: „Mach dir keine Gedanken, ich werde deinen Schlitten ziehen.“ Voll cringe, mit so einem krassen Teil zum Schlittenrennen anzutreten, ich schwöre. Aber die Muschel so: „Partner?“ Und ich so: „Partner.“ Hammer, ist das krank.
Ich wollte ja voll einen auf Slayer machen beim Start. Aber wenn du mit so ‘nem creepy Schaltier voller Seepocken vor deinem Hobel dastehst, bist du einfach der hinterletzte Alpha-Kevin. Rudis Nase hat geflackert wie ein Strobolight. Hey, Bro, Schere nach oben. Aber ich ziehe das jetzt durch, Digga. Mein alter Herr hat geschielt wie ein Grönlandwal voll Meth. Bloß nicht meinetwegen, sondern wegen dieser Motorschlittenverkäuferin Dolores Häkkinen, die natürlich in ihrem feuerroten „Fire on Ice 2012“ vorfahren musste. Klar, die ist ja auch seine Bae.
Und Bämm! – da gings schon los. Ein großer weißer Polarhase ließ seine Hinterpfote aufs Eis trommeln – und alle zischten ab. Comet ging in Führung, dicht gefolgt von Paulchen und dem Wolfsgespann, und dann ließ die Häkkinen-Tusse ihren Motor aufröhren und düste an allen vorbei. Dann waren alle weg. Alle bis auf – surprise! – Weihnachtsmanns Junior und sein Hartschal-Vieh.
„Oh Sheesh!“, rief ich. „Willste hier jetzt chillen oder was?“
„Oooch, nee, ich bin nur noch nicht ganz wach. Kannst du nicht die ersten paar Meter selbst ziehen, so zum Warmwerden?“
Echt bodenlos, der Pockenhaufen. Aber was willste machen? Ick packe sie also, pflanze sie auf den Schlitten und ziehe das Teil selber. Und ich hätte es fast geschafft, Rudi einzuholen, wenn ich nicht ausgerutscht wäre und mich auf die Fresse gelegt hätte.
„Okay, jetzt bist du dran“, sag‘ ich.
Aber das Hayvan hat einfach nur auf’m Schlitten gelegen und rumoxidiert. Echt gediegen. Ich leg mich also wieder ins Geschirr und pese los. Und die Muschel so: „Voll fame, Babo! Yalla!“ Was für ein whacker Move! Das Tier war mir schon von Anfang an voll sus.
Und da seh ich plötzlich vor uns im Dunkel was Graues. Je näher wir kommen, desto größer wird es. Alter! Das ist ja Paulchen der Elefant. Und dann noch’n rotes Licht daneben. Da steht Rudi mit Lucia, und es geht nicht weiter.
„Voll stabil“, knarzt die Muschel. „Bist echt’n Ehrenmann.“
Da sind auch Comet und Dancer und Donner und Kimmiq, die stehn da alle goofy rum und fermentieren. Jetzt sehe ich auch, warum es nicht weitergeht. Vor uns ist das Eis weg, da ist nur noch so’n Riesen-See. Weird.
„Oh Mann, jetzt erwischt uns die Klimakatastrophe hier oben voll“, jammert Eisbär Karhu rum und schüttelt sich den Pelz. Von hier bis zur Erdachse ist alles krass abgetaut. Das große Rennen zum Nordpol ist smashed. Und jetzt bin ich doch ein bisschen angefasst. Nie wieder das Polarlicht zünden und mit Rudi um die Erdachse sliden. Fu!
„Hey, Bro“, hör ich hinter mir die Muschel jammern. „Trag mich doch mal rüber zu dem Brunnen da, ich hab Durst.“ Unlügbar, da steht echt an der Eiskante so ein Teil rum. Ein Brunnen kurz vorm Nordpol, voll strange. Ich bin ja noch total gefresht, aber soll das Weichteil doch hier sitzen bleiben und fernschimmeln, denke ich. „Geht fit, mate“, sage ich und pflanze das Schleimtier auf den Brunnenrand.
„Hey, Babo! Wo gehst du hin?“
Und ich so: „Nach Hause.“
Und sie so: „Aber du kannst mich doch hier nicht sitzen lassen.“
Und ich so: „Komm klar, Kumpel.“
Und sie so: „Platsch!“
Sheesh! Da is die doch voll in den Brunnen geplumpst.
„Nick, du must deinen Partner bergen“, sagt Comet.
Seriously? Partner? Der Typ war ein akkurater Nichtspieler.
„Doch, du musst ihn wieder mit zurückbringen, sonst wirst du gesperrt für alle Zeit“, knurrt Karhu.
„Komm schon, ich lasse dich mit dem Eimer runter“, sagt Lucia. Die ist so cute, da geh ich mit. Ich steige in den Eimer, und da rauscht auch schon die Kette los, es geht runter in die Röhre, echt spooky. „Kannst relaxen, Partner, i bims“, rufe ich. Dabei bin ich gar nicht so swag, wie ich tue, so vong die Platzangst her. Weiß echt nicht, wie mein Alter immer durch die Schornsteine kommt. Der heißt nicht umsonst mit vollem Namen Santa Claus-Trophobie. Oh Mann, wenn der das den ganzen Heiligabend über macht, will ich gar nicht mit dabei sein. „Muschel, ich hol dich raus, ich schwöre.“
Boah – was ist das jetzt für ‘ne krasse Lightshow? Da ist plötzlich Tageslicht, mitten in der Polarnacht, hier unten im Brunnen. Und alles ist grün, voll der Veganzirkus hier unten, Gras, Bäume, Büsche – ich dreh völlig ab. Da im Rasen steckt ja auch die Miesmuschel, die packe ich gleich in die Hosentasche, auch wenn sie meckert.
Ich glaub, ich hab echt ‘ne Hallo Luzie. Da steht tatsächlich ein Backofen mitten auf dem Grünteppich. „Hol uns raus, hol uns raus, wir sind schon ganz fertig gebacken, wir verbrennen“, wimmerts aus dem Ofenloch.
„Vorsichtig“, zischt die Klapperschale. „Das könnte eine Falle sein.“
Aber ich fackel nicht lang und hol das Zeug raus. Es sind hundert Lebkuchenmänner, die da ins Gras plumpsen. Ich stapele die alle auf einen akkuraten Haufen, da schreit es schon wieder hinter mir: „Ach, hilf mir doch, meine Äste sind so schwer, die brechen bald. Ernte doch meine Äpfel ab.“
Die Pockenzecke meckert wieder: „Lass die Finger davon, Äpfel sind immer vergiftet, weiß man doch.“
Aber nicht solche kandierten roten Bratäpfel, die machen dir nur ‘n Zuckerschock. Ich klotze also konkret ran und hol das Glucosezeug runter, während die Muschel meckert und grantelt. Das gibt 100 Aura-Punkte, wetten?
Dann sehe ich das Haus. Strange, so eine total abgeschottete Location. Hier könnte man echt gottlos Party machen, ohne dass irgendwelche abgefuckten Spacken meckern und die Bullerei rufen. Sieht echt nice aus, bisschen retro. Ich bin voll auf Lock. Frag mich nur, wer da wohnt.
„Geh da nicht rein“, knirscht die Muschel. „Das ist fishy.“
Die Tür ist offen. Ich also rein. Liegt da doch so’ne Omma und pennt. Ein bisschen thicc und voll gucci. Die hat gesägt wie Karhu im Winterschlaf. War wohl ‘ne lange Gammelfleischparty letzte Nacht. Oder sie hat mindestens drei Rotkäppchen intus.
„Hoho-Hoho“, sage ich höflich den Nordpol-Gruß auf.
Da zuckt sie zusammen und wäre beinahe vom Sofa gekracht.
„Nick? Nick, mein Junge, bist du das? Mein Gott, was bist du groß geworden!“
Und da merke ich: Ich kenne die Olle. Das ist die Holle. Meine Tante Holle.
„Mensch, Auntie, lange nicht gesehen“, sag ich. „Sag mal, pennst du schon lange?“
„Wieso, was haben wir denn heute für ein Datum?“
„Es ist Wintersonnenwende. Und der ganze Nordpol ist weggetaut – kein Schnee, kein Eis, das ganze Rennen ist ruiniert, und ich wollte doch das Polarlicht anzünden ...“
„Um Himmelswillen! So spät schon?
Die Holle rappelt sich auf.
„Nick, mein Junge, du musst mir helfen. Ich muss sofort meine Betten ausschütteln.“
Fu. Ich rede von einer Umweltkatastrophe, und diese alte weiße Frau will lieber einen auf Tradwife machen. Federbetten – gibts denn hier noch keine Biber-Bettwäsche? Voll old-fashionend, die Mutter. Ich fasse es nicht. Aber crazy peoples soll man nicht widersprechen. Sie reißt das Fenster auf, raus mit dem Deckbett und immer so: Shake-it, shake-it, shake-it. Und ich aus dem anderen Fenster mit dem Kopfkissen. Die Federn fliegen wie in ‘nem Hühnerschlachthof, voll der Federsturm, und immer mehr. Ich krieg schon Ameisentitten auf den Armen vor Kälte. Und plötzlich ist es Schnee, lauter gediegener Schnee, der da aus dem Kissen fliegt. Und Eis, echt krass konkretes Eis, total stabil, ich war voll geflasht, eine Eisbahn zum Nordpol, das Rennen war safe. Unfuckingfassbar. Holle ist ‘ne Ehrenfrau. Und, ich schwöre, nächstes Jahr vor der Wintersonnenwende, gehe ich gleich hin zu ihr und schüttele ihr das Kissen. Wenn sie es doch allein nicht mehr auf die Kette kriegt. Papa hat ja eh keine Zeit für mich.
Natürlich sind Klapperschale und ich viel zu spät zum Nordpol gekommen. Und natürlich hat dieser Chabrón sich den ganzen Weg von mir ziehen lassen. Wir kamen gerade noch rechtzeitig um zu sehen, wie die Häkkinen-Bitch die Pyros abziehen ließ.
Der Schneehase an der Ziellinie posaunte meine Zeit raus – obercringe, ich war Letzter. ASKLA. Mistkarnickel.
Aber dann war mein alter Herr da und hat mich umarmt und abgebützt. „Nick, wo bist du so lange gewesen?“, hat er gebrabbelt. „Ich hatte so Angst, dass dir was passiert ist.“
„Keine Panik, Oldtimer“, flexte die nasty Muschel. „Ich habe doch auf ihn aufgepasst.“
„Weißt du was, Nick?“, hat Daddy da gesagt. „Weihnachten muss ich wirklich arbeiten. Aber was hältst du davon, wenn wir Ostern etwas zusammen unternehmen? So ein richtig langes Vater-Sohn-Wochenende, nur wir beide. Was sagst du?“
Aber da konnte ich erstmal gar nichts zu sagen. Weil neben uns nämlich der weiße Hase losbölkte: „Ostern? Alter, komm mir bloß nicht mit Ostern. Wisst ihr eigentlich, wie das ist, wenn euer Vater an Ostern nie zu Hause ist?“
© Petra Hartmann