Tammer Abboud und Helga Lass: Ich schulde meinen Träumen noch ein Leben
Lyrik Tammer Abboud Helga Lass Syrien Goslar
Tammer Abboud ist Syrer, der nun in Goslar lebt. In seinem Lyrikband "Ich schulde meinen Träumen noch ein Leben" hielt er Erinnerungen an seine Heimat fest, Bilder aus seiner Kindheit und Jugend, schreibt über den Verlust seines Landes und über einen Jungen aus Assads Foltergefängnissen. Das Buch ist bereits 2019 erschienen. Inzwischen hat der Autor mit neuen Versen auf den Sturz des Assad-Regimes reagiert, die aber bisher nur im privaten Rahmen vorgetragen wurden.
Tammer Abboud war auf der Flucht vor Assads Schergen von einem betrügerischen Schlepper nicht nach Europa, sondern nach Ägypten gebracht worden, wo er ins Gefängnis gesteckt wurde. "Was er dort erlebt hat, bringt ihn zum Schweigen, er spricht nicht mehr. Ein Arzt rät ihm zu schreiben. So schreibt er Gedichte", schildert Co-Autorin Helga Hass im Vorwort seine Erlebnisse und die Entstehung dieses Buchs. Sie selbst war weniger als Übersetzerin tätig, die deutsche Fassung erstellte der Dichter, nachdem er die Sprache erlernt hatte, selbst. Vielmehr war ihre Aufgabe, im Gespräch mit dem Autor, dessen deutsche Fassung zu glätten und bei unverständlichen Versen im Gespräch mit dem Autor die eigentliche Aussage herauszuarbeiten.
Abboud trauert um ein Land, von dem er glaubte, dass er es nicht wiedersehen würde. "Kindheitsfarben" heißt eines der Gedichte. Der Autor erinnert sich an Träume unter einem Weidenbaum, seine Holzpuppe, Spiele mit Freunden auf grünen Wiesen. "Meine Kindheit ist voller Farben", heißt es in dem Gedicht. Aber:
Doch dann
werde ich heimgesucht
Vom Schmerz meiner Erinnerungen
Ich will schreien, will weinen
Schrei und Tränen
Lassen mich aufwachen.
Es hat geregnet in mir.
Ein anderer Text, diesmal in Prosa, aber durch Absätze zu Strophen strukturiert, handelt von einem Schmetterling, den der Ich-Erzähler gefangen hatte und dann fliegen ließ. Abboud schildert die Farben, die Trauer des Kindes, als das Tier wegflog, die Erinnerung: "Niemals würde ich seine sanften Farben aus meinem Gedächtnis streichen", schreibt er. "Ich habe sie versteckt in den Nischen meiner Seele, weit weg von den Falschheiten meines Lebens."
Die "Frage aller Fragen", so ist ein anderes Gedicht überschrieben, ist die Frage danach, wie man Kinder in den Krieg schicken kann. "Sie fallen wie Blitze / Fallen in ihrer Morgenröte / Sind schon am Ende / Gefallene Meteore / Gefallen aus der Galaxie ihrer Träume". Immer wieder sind es die Kinder, über die Abboud schreibt, deren Schicksal er beklagt. Da ist der Junge in Assads Gefängnis, über den ihm ein Freund berichtete. Ein 13 Jahre alter Junge, der weint, doch es nicht der Hunger und Durst, das ihn zum Weinen bringt. Hunger und Durst haben alle. Er weint auch nicht, weil sein Rücken voller Wunden von Verbrennungen ist, verursacht durch Folter mit Zigaretten. Er weint nur immer: "Ich will meine Mama!" Helfen können ihm seine Mitgefangenen nicht. "Alles, was ich in diesem Stück Hölle / für ihn tun konnte, war mit ihm zu weinen", schreibt Abboud. In einem anderen Gedicht erzählt er von einem fünfjährigen Kind, das von der Mutter aus dem Kindergarten abgeholt wird, während in der Ferne Bomben fallen. Es sagt zur Mutter:
Ich habe Angst
Dass du sterben wirst
Und ich nicht
Auch sterben kann
Zerrissene Herzen, blutige Träume, eine lähmende Leere und Sprachlosigkeit - das ist die eine Seite. Doch Abboud kennt auch andere Töne, lernte sie wieder anschlagen. Er schildert seine Erfahrungen mit dem neuen Land, mit neuen Chancen. Er beschreibt das "Land des Schnees" und stellt fest: "Das Leben wird weitergehen". Der Abschied vom Jahr 2016 enthält die Aufforderung, das scheidende Jahr möge auch die Last der Erinnerung an verlorene Jahre, unerfüllte Träume und gescheiterte Ideen mit sich nehmen. Den Blick für Menschen in Armut und Unterdrückung aber wolle er behalten und sich nicht daran gewöhnen, den Kampf gegen Not und Unrecht weiterführen.
Sehr weise und gelassen heißt es im Gedicht "Die Zeit geht weiter":
Die toten Rosen
Können wir nicht
Wieder aufblühen lassen
Doch wir können
Schöne neue Rosen pflanzen
Auch nach Enttäuschungen
Hört das Leben nicht auf
Die Zeit geht weiter
Auch wenn die Uhr stehen bleibt
Tammer Abboud schreibt sehr detailreich, immer ganz nah an den eigenen Erinnerungen, die Bilder vor Augen. Seine Verse sind einfach, wenig gedrechselt, entstanden aus dem eigenen Erleben. Bei einigen Gedichten ist der arabische Originaltext mit abgedruckt, sodass Sprachkundige die Chance zum Vergleichen haben. Die Verse sind schlicht, doch nicht banal. Wer wissen möchte, wie es ist, aus Damaskus zur fliehen und sein Heimatland zurückzulassen, um im Harz ein neues zu Hause zu finden, wird hier viel darüber erfahren. Keine große Kunst, sondern authentische, autobiografische Eindrücke, eine Suche nach der eigenen Sprache und ein Wiederfinden in der Poesie.
Fazit: Geschichte einer Flucht und eines Ankommens. Schlichte, einfache Verse, in denen sich das eigene Erleben von Flucht, Gefängnis und Erinnerung manifestiert. Lesenswertes, hochinteressantes Zeitdokument aus einer Epoche Syriens, die seit wenigen Wochen beendet scheint.
Tammer Abboud und Helga Lass: Ich schulde meinen Träumen noch ein Leben. Arabisch deutsche Sprachreise. Norderstedt: Book on Demand, 2019. 103 S., Euro 9.
© Petra Hartmann