Judith und Christian Vogt: Ich, Hannibal
Bücher - phantastisch Punische Kriege Karthago Judith Vogt Christian Vogt Hannibal
Hannibal - eine Frau? Von dieser Prämisse geht das Autorenduo Judith und Christian Vogt aus und erzählt den zweiten Punischen Krieg auf seine ganz eigene, ungewöhnliche Weise. "Ich, Hannibal", nennen die beiden ihren Roman, der außer der Hauptfigur noch ganz andere phantastische Wesen zu bieten hat, wie zum Beispiel zyklopenäugige Elefanten, die Stammesbiester diverser gallischer Stämme, den Leviathan und eine geflügelte Sphinx. Das Heer, das sich da über die Alpen nach Italien wälzt, ist auf jeden Fall geeignet, das auszulösen, was der Untertitel verspricht: "Rom wird vor ihr erzittern."
Es ist Himilke, Hannibals Witwe, die den riesenhaften Elefanten besteigt, als Hannibal stirbt. Als der Roman beginnt, ist der Feldherr bereits tot. Doch das weiße Elefantenmonster mit dem Zyklopenauge und der funkenden Sonne auf der Stirn bietet Himilke sein Bein zum Aufsteigen an und gehorcht ihr als Reittier. Ein Zeichen des Gottes Melkart, wie es deutlicher nicht sein könnte. Und so ist es Himilke, die, verborgen unter einer goldenen Maske und unter dem Namen ihres getöteten Mannes, die punischen Heere nach Rom führt.
Zwischen Fantasy, Feminismus und Historie
Ein phantastischer feministischer Roman über einen historischen Krieg? Was ändert sich, wenn Hannibal eine Frau ist? Vor allem ändert sich die Stimmung im Generalstab, und Hannibal schlägt mehr Widerspruch entgegen, als ein männlicher Heerführer erhalten würde. Ganz klar tritt Himilke dagegen ein, dass Frauen der unterlegenen Parteien vergewaltigt werden, was sonst allgemein üblich ist und von den Soldaten auch als ihr gutes Recht betrachtet wird. Einmal versucht Hannibal, ihre weiblichen Reize einzusetzen, um die Loyalität eines Anführers eines verbündeten Stammes zu gewinnen. Doch dieser aufrechte und verheiratete Krieger macht ihr klar, dass er von ihr andere Argumente sehen will als zwei wohlgeformte Brüste.
Tatsächlich ist Hannibal nur eine von drei weiblichen Hauptfiguren - und verglichen mit den beiden anderen sogar die schwächste und blasseste. Im Mittelpunkt des Interesses steht vielmehr die Monsterjägerin Tamenzut, die auf einer beeindruckenden Sphinx das Heer begleitet und mit ihrem Speer bereits zahlreiche Monster besiegt und auf sich geprägt hat. Sie ist es, die Hannibal immer wieder mit neuen Bestien unterstützt und die Schlagkraft der Armee verstärkt. Zusammen mit ihrem Schüler unterwirft sie die Hydra, sie stellt Hannibal mächtige Flussgötter in Stiergestalt zur Verfügung und ist auf ihrer Sphinx auch für die Luftaufklärung zuständig. Tamenzut ist eine physisch starke, kampferprobte Frau mit dem Zynismus eines langjährigen Söldners, eine beeindruckende Kämpferin und Jägerin, die sich aber sehr klar bewusst ist, dass ihr Leben endlich ist. Mit einem hölzernen Penis hält sie die Männer in respektvollem Abstand, eine Geste, die im Roman funktioniert und bei Männern geradezu Angst auslöst, in der Jetztzeit aber wohl eher albern wirken würde. In Hannibals Heer ist Tamenzut auf jeden Fall eine gefürchtete Größe. Und doch: Es kommt zu einer Begegnung, die selbst die abgebrühte Monsterjägerin Demut lehrt. Als sie den urzeitlichen Leviathan einfangen und unterwerfen will, lernt Tamenzut, dass es Mächte gibt, die unfassbar viel größer sind als sie und ihr kleiner Speer. Eine Begegnung mit der Ewigkeit, die Tamenzut sehr verändert.
Eine römische Witwe als Spionin
Die dritte Heldin schließlich ist die Römerin Fulvia. Als ihr Mann stirbt, steht die Witwe nahezu mittellos da und muss seine drei Kinder irgendwie versorgen. Das große Vermögen des Patriziers riss sich Publius Cornelius Scipio unter den Nagel, selbst um das Pflichtteil muss die Familie einen Prozess führen. Fulvia versucht alles, um ihre, respektive die Kinder ihres Mannes zu ernähren. Sie wäre sogar bereit gewesen, sich zu prostituieren, wenn die Puffbetreiberin nicht sofort gespürt hätte, dass "das nichts für sie ist". Doch als Patrizierin mit immer noch funktionierenden Verbindungen wird sie schließlich zur wertvollen Spionin und versorgt Karthago mit Nachrichten über die Zustände in Rom und Informationen über das Militär. Vor allem an Wissen über die römischen Bestien sind die heranrückenden Punier extrem interessiert. Der Fulvia-Erzählstrang ist sehr interessant und macht das Schicksal römischer Frauen deutlich, die ohne ihren Mann nahezu rechtlos sind. Im Gegensatz zu Hannibal und Tamenzut ist es für Fulvia ausgesprochen schwer, sich zu behaupten. Und es ist sehr schade, dass dieser Erzählstrang nicht besser an die Haupthandlung angebunden wurde und erst im Finale mit den Fäden der beiden anderen Heldinnen zusammenfindet.
Auf Cannae folgt kein Zama
Die Vögte schreiben einen phantastischen Roman, in dem Monster und Bestien kriegsentscheidend sind. Doch abgesehen davon halten sie sich recht genau an die historischen Abläufe. Als wichtigste Quelle geben sie das - ausgesprochen lesenswerte Buch "Schwarze Tage - Roms Kriege gegen Karthago" von Michael Sommer an. So ist es wohl auch Sommers Darstellung zu verdanken, dass im Roman sehr klar wird, wie Hannibals Plan, Roms Verbündete zum Abfall zu bewegen, immer wieder scheitert. Hannibal will sich als Befreier der unterdrückten Völker auf einem Siegeszug von Spanien über Gallien und durch ganz Italien feiern lassen. Doch die Völker haben sich eingerichtet. Teils aus Angst, teils aus Bequemlichkeit, teils auch, weil das Bündnis mit Rom ihnen klare Vorteile bringt, wollen Roms Bundesgenossen nicht zu Hannibal überwechseln. Schade irgendwie. Und doch: Die Sympathien der Autoren liegen ganz klar auf Seiten der Karthager. Und so gönnen sie ihrer Feldherrin und ihren Monstern den Sturm auf Rom und ein episches Finale. Und: Auf die großartige Schlacht bei Cannae, die das historische Rom das fürchten lehrt, folgt kein Zama.
Judith und Christian Vogt haben einen spannenden historischen Fantasy-Roman geschrieben, der trotz der phantastischen Elemente die Realität und Grausamkeit des Krieges nicht unter rosa Einhornzuckerguss verschwinden lässt. Ein Romanexperiment, das mit dem Thema Geschlechterrollen spielt - aber es ist ein sehr ernstes Spiel. Spannend, bewegend und zugleich zum Nachdenken anregend. Und vor allem von Tamenzut möchte man unbedingt mehr, vielleicht einen eigenen Roman lesen.
Fazit: Feministische Fantasy im historischen Ambiente und ein gewagtes Geschlechter-Experiment, das auf jeden Fall zu einem gelungenen Roman geführt hat. Lesenswert.
Judith und Christian Vogt: Ich, Hannibal. Rom wird vor ihr erzittern. München, Piper, 2024. 430 S., Euro 17.
© Petra Hartmann

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