Mark Brandis - Hörspiel "Testakte Kolibri"
Hörbücher - SF Mark Brandis Interplanar
Unglaublich, welche Klangräume sich auf zwei flache Silberscheiben pressen lassen. Mit der zweiteiligen Hörspielfolge „Testakte Kolibri“ haben die Macher von „Interplanar“ Maßstäbe gesetzt, die schwer zu überbieten sein werden.
Wunderraumschiff „Kolibri“ entpuppt sich als Höllenmaschine
„Testakte Kolibri“ ist die fünfte Folge der Hörspielreihe über die Abenteuer des Testpiloten Mark Brandis. Nach dem Sturz des Diktators Gordon B. Smith ist der Weltraumpartisan in den Dienst der Forschungsgesellschaft VEGA zurückgekehrt und erprobt neue Raumschifftypen. Doch der „Kolibri“ - ein Ein-Mann-Flieger, der im Raum, in der Atmosphäre und unter Wasser eingesetzt werden soll - entpuppt sich als Todesmaschine. Fünf Testpiloten haben bereits ihr Leben verloren, als Mark Brandis die Leitung des Projekts übernimmt.
Techniker und Piloten sind ratlos, die Mannschaft steht unter Druck: Die Politik dringt auf schnelle Freigabe des Kolibris, und auch das Militär will den Wundervogel so schnell wie möglich haben. Im Camp greifen Zynismus und Resignation um sich, einige Piloten haben die Smith-Ära zudem nur mit schweren psychischen Beschädigungen überlebt. Und die Unfälle gehen weiter, immer unter Wasser, immer mit Todesfolge und ohne die Möglichkeit, die Wracks zu bergen. „Der Kolibri ist ein Fleischwolf“, wie Pilotin Henri Vidal bereits zur Begrüßung des neuen Leiters Brandis verkündet. Und doch sind sie alle erfasst vom „Kolibri-Gefühl“, denn der Vogel hat Flugeigenschaften, die jedem Piloten das Herz höher schlagen lassen.
Piloten kämpfen mit den Schatten der Diktatur
„Testakte Kolibri“ erschien erstmals im Jahr 1973. Seit 2008 ist der Roman in der vom Wurdack-Verlag herausgegebenen Mark-Brandis-Gesamtausgabe erhältlich. Während er innerhalb der Romanreihe jedoch erst den siebten Band darstellt, schließt er sich in der Hörspielreihe direkt an den vierten Teil, "Aufstand der Roboter", an. Die Ereignisse spielen demnach unmittelbar nach dem Sturz des Diktators in einer gerade erst wiedergewonnenen, jungen Demokratie. Überall spürt man noch die Beschädigungen, die die Piloten, aber auch die Bevölkerung davongetragen haben. Es gibt Gestrandete, wie den Piloten Vargas, der es nach einem halben Jahr Dunkelhaft nicht mehr erträgt, in Räumen ohne Licht zu sein, aber auch Karrieristen, die vor einigen Wochen noch die „Flamme“, das Symbol der Smith-Anhänger, getragen haben und nun schon wieder oben schwimmen. Beklemmend an die Zeit nach 1945 in Deutschland erinnert die Tirade des Stationsleiters auf dem Mond, der sich über endlos langsame bürokratische Vorgänge ärgert und daran erinnert, wie wunderbar problemlos alles, was die Raumflotte betraf, unter dem Diktator bewilligt und ausgeführt wurde.
Tödliches Rettungssystem als „Fahrkarte zur Andromeda“
Schwer verständlich bleibt indes die Funktion des Rettungssystems. Wenn bei 2.500 Metern unter der Meeresoberfläche der Antrieb ausfällt, gibt es für den Piloten laut Setzung des Autors Nikolai von Michalewsky nur die Wahl zwischen dem Weitersinken und Zerquetschtwerden unter dem Druck der Wassermassen oder dem Druck auf den Alarmstartknopf. Letzterer bewirkt, dass der Kolibri mit höchster Antriebsleistung aus dem Meer schießt und ungebremst so lange mit voller Geschwindigkeit geradeausjagt, bis alle Energie verbraucht ist. Fast alle Piloten wählen, von Platzangst ergriffen, die „Fahrkarte zur Andromeda“ und katapultieren sich selbst auf Nimmerwiederfinden ins Weltall, wo sie vermutlich 14 Tage später entweder erfrieren, verdursten oder verhungern. Der Sinn eines solchen Rettungssystems erschließt sich weder dem Leser noch dem Hörer. Immerhin versucht Brandis, den Antrieb drosseln zu lassen, scheitert jedoch an der Bürokratie. Auch wie ein verunglückter und durchgedrehter Pilot mit seinem defekten Antrieb plötzlich die Rettungskräfte rammen kann, wundert im Hörspiel niemanden. Doch dies sind kleine Ecken, die nicht verhindern, dass diese Testflüge unter die Haut gehen.
Erzähler lassen sich Zeit für "großes Hör-Kino"
Die Entscheidung des „Interplanar“-Teams, die Romanhandlung im Gegensatz zu den vier Vorgängern auf zwei CDs zu erzählen, befremdet zunächst. Immerhin ist der Kolibri-Roman mit nur 157 Seiten einer der kürzeren in der Reihe, zudem einer der geradlinigsten und zielstrebigsten, der ohne große Nebenhandlungen auskommt. Doch das Ergebnis überzeugt, überwältigt geradezu und gibt den Machern Recht. Die psychologische Zeichnung der Piloten, die Konflikte innerhalb der Mannschaft und nicht zuletzt die akustische Umsetzung der Testflüge sind jede Hörminute wert. Die endlose Weite des Raums, die beklemmende Situation eines in die ewige Dunkelheit der Tiefsee absinkenden Piloten, all dies lässt sich fast hautnah miterleben. Wer dieses Raumabenteuer unterwegs auf der Autobahn hört, hat das Gefühl, selbst in einem Kolibri zu sitzen und die großartigen Flugeigenschaften des Vogels zu spüren. Ein unvergleichliches Hörerlebnis - und ganz großes „Hör-Kino“.
Mark Brandis: Testakte Kolibri. Folgenreich 2009. Interplanar-Produktion von Jochim-C. Redeker und Balthasar v. Weymarn. Hörspiel. 2 einzeln erhältliche CDs, Gesamtlaufzeit circa 110 Minuten. Jeweils Euro 9,80.
Weitere Mark-Brandis-Hörspiele:
Aufstand der Roboter
Vorstoß zum Uranus I
Vorstoß zum Uranus II
Raumsonde Epsilon
Die Vollstrecker
Pilgrim 2000 I
Pilgrim 2000 II
Aktenzeichen: Illegal
Operation Sonnenfracht
© Petra Hartmann