Die verbotene Madonna des Theodor Mundt
Klassiker Theodor Mundt Madonna Junges Deutschland
Der Roman fiel der Zensur zum Opfer und erregte den Zorn Metternichs. Damals stand es im Zentrum eines der heftigsten Literaturskandale des 19. Jahrhunderts und wurde zusammen mit Heinrich Heine verboten. Jetzt ist es wieder erhältlich.
Es war eines der folgenreichsten Bücher in der Literatur des „Jungen Deutschlands“: Theodor Mundts Roman „Madonna. Unterhaltungen mit einer Heiligen“ stand ganz oben auf dem Index, als der deutsche Bundestag am 10. Dezember 1835 die Werke von Heinrich Heine, Karl Gutzkow, Heinrich Laube, Ludolf Wienbarg und Theodor Mundt verbot. Das „Buch der Bewegung“, wie der Verfasser den Reiseroman nannte, brachte ihm nicht nur ein Verbot seiner bisherigen, sondern auch aller seiner zukünftigen Schriften ein, obendrein kostete die „Madonna“ den Schriftsteller seine zum Greifen nahe Professur: Die Auflagen waren bereits vollständig erledigt, als der Universitätsrektor ausgerechnet am Tage der Antrittsvorlesung einen Vorabdruck mit einem Auszug aus diesem Roman in die Hände bekam. Er ließ sofort die Aula sperren, erklärte das Habilitationsverfahren des jungen Dozenten für auf unbestimmte Zeit vertagt, und für Theodor Mundt brach eine Welt zusammen.
Politischer Sprengstoff in der Metternich-Ära
Das jetzt als Book on Demand in der Sammlung Zenodot wieder erschienene Buch war Sprengstoff, politisches und gesellschaftliches Dynamit für den Obrigkeitsstaat der nach-napoleonischen Restaurationsepoche, in der Zeit der Karlsbader Beschlüsse, als der Deutsche Bundestag, eine Vertretung der deutschen Fürsten, vom österreichischen Kanzler Metternich dominiert wurde. Es war eine Zeit, in der Kritik am politischen System verboten war und Bücher oder Zeitschriften erst dann gedruckt werden durften, wenn sie von einem staatlichen Zensurbeamten gelesen und für unbedenklich erklärt wurden. Einzig Bücher mit einem Umfang mit mehr als 320 Seiten (20 Druckbogen) konnten zensurfrei gedruckt werden: Solche dicken Wälzer lasen ohnehin nur Professoren und weltfremde Gelehrte, und von solchen Menschen hatte man keine Revolution zu befürchten, glaubten die Zensoren. Doch dann kam das Junge Deutschland.
Das Junge Deutschland: Mit Romanen gegen das Regime
Mundt und seine literarischen Verbündeten schrieben keine politischen Abhandlungen. Sie betrieben „Ideenschmuggel“, sie schrieben Romane oder Reiseerzählungen, die den Leser auch länger als 320 Seiten bei der Stange hielten. Aber eingestreut in die Handlung konnten die Autoren zensurfrei ihre kritischen Gedanken transportieren. Da ist der Held, der seiner Geliebten als Beilage zu einem Liebesbrief einen theologischen Essay schickt und beweist, dass Gott nicht existiert, oder dass der Adlige vom Schöpfer auch nicht mehr Rechte erhalten habe als der Bürger. Da ist das selbstbewusste junge Mädchen, das es völlig absurd findet, wenn sie mit ihrem Geliebten vor der Ehe keinen intimen Umgang pflegen darf. Und immer wieder finden sich Seitenhiebe gegen die Zensurbehörden - zur damaligen Zeit die schlimmste Todsünde eines Schriftstellers.
Liberaler Ideenschmuggel in Reisebriefen aus Böhmen
Mundts Buch gibt sich offiziell als Reisebuch aus Böhmen. Der größte Teil des Romans besteht aus Briefen, die ein namentlich nicht genannter Ich-Erzähler und Reiseschriftsteller mit einer beeindruckenden jungen Frau namens Maria wechselt. Mundt ist dreist genug, drei Reisebriefe aus Prag mit der Betreffzeile „Katholizismus, Legitimität, Wiedereinsetzung des Fleisches“ zu versehen, in denen er Kirche, Absolutismus und Prüderie gleichermaßen angreift. Maria schreibt ihm dafür ihre Lebensgeschichte auf, die es „in sich hat“: Das fromme Lehrerkind, aufgewachsen in Unschuld hinter den böhmischen Bergen, wurde zur Erziehung in die Hände einer Tante nach Dresden gegeben. Allerdings entpuppt sich die Tante als übles Kuppelweib, das sie zur Mätresse eines wohlhabenden Adligen machen will. Maria flüchtet, gibt sich einem armen Theologiestudenten hin, der kurz darauf aus Schuldgefühl Selbstmord begeht, und sitzt nun wieder daheim hinter den Bergen und sehnt sich nach der Welt.
Schade, dass ein Kommentar fehlt
Für den heutigen Leser ist allerdings kaum noch nachzuvollziehen, warum ein Buch wie die „Madonna“ damals für solche Aufregung sorgen konnte. Wenn sich ein Reisender fragt, warum der Postillon auf dem Kutschbock nicht fröhlich in sein Posthorn stößt, und dann überlegt: „Wovor fürchten sich denn die Postillons? Ist es die Censur?“, dann waren dies Sätze, die einem Autor das Genick brechen konnten. Sätze, über die ein moderner Literaturfreund achtlos hinweglesen wird. Insofern hätte einer Neuausgabe der „Madonna“ ein Kommentarteil mit Erklärungen gut getan.
Unverständliche Kürzungen und „Kringel-U's“
Bei der vorliegenden Buchausgabe handelt es sich jedoch lediglich um eine Wiedergabe des Textes, die laut Impressum dem Erstdruck von 1835 folgt. Allerdings mit einigen Einschränkungen. Offenbar wurden Druckfehler - so heißt es im Original „wofor fürchten sich denn die Postillons?“ - korrigiert. Das ist gut. Etwas ärgerlich ist jedoch, dass in der Szene im Garten, als Maria das lateinische Kirchenlied „Stabat Mater“ singt, die Strophen herausgestrichen wurden. So fängt sie einfach an zu singen, und der nächste Absatz beginnt unvermittelt mit: „Hier stockte, hier zögerte und zitterte ihre Stimme ...“ - ohne dass der Leser dieses „hier“ hätte erkennen und die Strophen hätte mitlesen können. Als zitierbare Grundlage einer germanistischen und historischen Untersuchung ist diese Ausgabe daher nicht geeignet.
Völlig verwirrend und ärgerlich für den Leser ist auch, dass trotz dieser Änderungen offenbar niemand das Buch Korrektur gelesen hat: Einem halbwegs sehfähigen Bearbeiter hätte auffallen müssen, dass - wohl beim Einscannen und Umwandeln der alten Frakturbuchstaben - zahlreiche kleine U-Umlaute nicht als ü, sondern als Kringel-U (ů) dargestellt wurden. Auch etwas größere Buchstaben und ein großzügigeres Layout (aus 436 Seiten wurden 159 Seiten) hätten dem Buch gutgetan.
Fazit: Ein wichtiges Buch, das einen größeren Bekanntheitsgrad verdient. Leider etwas oberflächlich bearbeitet und unkommentiert.
Theodor Mundt: Madonna. Unterhaltungen mit einer Heiligen. Sammlung Zenodot 2007. Broschur, 159 Seiten. Euro 14,90.
© Petra Hartmann