Countdown für "Darthula"
Darthula Ossian
Mein Roman "Darthula" soll - laut Auskunft des Arcanum-Verlags - zum Ende dieses Monats erscheinen. Als kleine Einstimmung stelle ich in den nächsten Tagen mal ein wenig Quellenmaterial ein.
"Darthula" ist eine Geschichte, die ich schon seit 1996 mit mir herumtrage. Zu der Zeit hing ich gerade zwischen Magisterabschluss und Promotiosstart und hielt es für eine gute Idee, mir endlich einmal die Werke von Ossian zu Gemüte zu führen. Ihr wisst schon, damals, als Goethe seinen Werther schrieb, war die gesamte literarische Welt im Ossianfieber. Die merkwürdigen Gesänge, Epen, rhythmisierte Prosa oder dramatische Dialogszenen, die der Schotte James Macpherson (1736-1796) als angebliche Übersetzungen alter gälischer Urkunden veröffentlichte, begeisterten vor allem die die Deutschen, Ossian wurde gefeiert als "Homer des Nordens" ...
Ich muss gestehen, dass ich mit einer gewissen Arroganz an den alten Wälzer herangegangen bin. Jetzt schaue ich mir mal die geniale Fälschung an, auf die der olle Goethe so schön reingefallen ist (hihi). Ja, Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Ich hatte kaum die ersten Gesänge gelesen, da hatte auch mich das Fieber gepackt. Alle Synapsen im Gehirn schienen in Flammen zu stehen, meine Nerven schienen geradezu zu brennen, und plötzlich kapierte ich nicht nur, was in den alten Büchern immer mit "es befiel ihn ein schweres Nervenfieber" gemeint war. Mir war auch völlig klar, warum Werther sich Lotte gegenüber nicht mehr unter Kontrolle hatte, als er ihr seine Ossianübersetzungen vorlas ...
Das Fieber hatte mich gepackt. Mein Hirn glühte. Gedankenfetzen schossen mir durch den Kopf, dass ich kaum noch hinterherkam. Besorgniserregend für einen sonst so ruhigen Denker wie mich ;-) Es gab nur eine Möglichkeit der Selbstheilung: Ich musste eine Geschichte darüber schreiben. Und zwar über das kleine Epos "Darthula", das es mir schon von der ersten Begegnung angetan hatte. Und um eine gute Grundlage dafür zu haben, setzte ich mich hin, um das angestaubte Englisch in mein geliebtes Deutsch zu übertragen. Im Hintergrund nudelte während der ganzen Zeit übrigens eine Schallplatte mit den Gesängen der Buckelwale, um die richtige traurig-schöne Stimmung zu erzeugen. Ich setzte mich also hin und schrieb ...
Darthula
Tochter des Himmels, schön bist Du! Das Schweigen Deines Antlitzes ist freundlich. Du trittst heraus in Lieblichkeit. Die Sterne säumen Deine blaue Bahn im Osten. Die Wolken erfreuen sich in Deiner Gegenwart, o Mond! Sie lassen ihre dunklen, braunen Ränder erglänzen. Wer gleicht Dir im Himmel, Licht der stillen Nacht? Die Sterne stehn beschämt in Deiner Gegenwart. Sie wenden ihre leuchtenden Blicke ab. Wohin gehst Du zur Ruhe von Deiner Bahn, wenn das Dunkel mit Deiner Fortdauer wächst? Hast Du Deine Halle wie Ossian? Wohnst Du im Schatten des Kummers? Fielen Deine Schwestern vom Himmel herab? Sind die sich bei Nacht mit Dir freuten nicht mehr? Ja, sie sind gefallen, schönes Licht. Und Du ziehst dich oft zurück zu klagen. Du selbst wirst verblassen eines Nachts und Deinen blauen Pfad am Himmel verlassen. Dann erheben die Sterne ihr Haupt: Sie, die Deine Gegenwart beschämte, werden sich freuen. Doch noch bist Du gekleidet in Deine Strahlkraft. Schau aus Deinen Toren im Himmel. Jag' die Wolken auseinander, o Wind! Daß die Töchter der Nacht herausblicken können, daß die zottigen Berge erstrahlen und der Ozean seine weißen Wellen im Lichts kraust.
Nathos ist in der Tiefe, und Althos, das Licht der Jugend. Ardan ist bei seinen Brüdern. Sie irren durch das Dunkel ihres Weges. Die Söhne Usnoths fliehen in der Finsternis vor dem Zorn Cairbars von Erin. Wer ist das, dunkel an ihrer Seite? Die Nacht verhüllt ihre Schönheit. Ihr Haar seufzt im Wind des Meeres. Ihr Kleid fließt nieder in dunklen Ringen. Sie ist wie der helle Geist des Himmels inmitten des schattigen Nebels. Wer anders ist es als Darthula, die erste der Mädchen von Erin? Sie floh vor der Liebe Cairbars mit Nathos, dem Träger des blauen Schildes. Aber die Winde trogen Dich, o Darthula. Sie versagten Deinen Segeln das waldige Etha. Dies sind nicht die Berge Nathos', noch ist dies das Brüllen seiner Brandung. Die Hallen Cairbars sind nahe: Die Türme des Feindes erheben ihr Haupt. Erin schiebt seine grüne Landzunge weit ins Meer hinaus. Turas Bucht nimmt auf das Schiff. Wo wart ihr, Südwinde, als die Söhne meiner Liebe betrogen wurden? Aber ihr spieltet in den Ebenen, verwehtet die Bärte von Disteln. O daß ihr gerauscht hättet in Nathos' Segeln, bis die Hügel Ethas sich erhoben! Bis sie aufragten in ihren Wolken und ihren heimkehrenden König sahen! Lange warst Du fort, Nathos. Der Tag Deiner Heimkehr ist dahin.
Doch das Land der Fremden sah Dich, Lieblicher! Lieblich warst Du in den Augen Darthulas. Dein Antlitz war wie das Morgenlicht, Dein Haar wie die Schwinge des Raben. Deine Seele war freigebig und mild wie die Stunde des Sonnenuntergangs. Deine Worte waren wie der Wind im Schilf, wie der fließende Strom von Lora. Doch wenn sich Schlachtgetöse erhob, warst Du wie das Meer bei Sturm. Das Dröhnen Deiner Waffen war schrecklich. Das Heer zerstob beim Laut Deines Heranstürmens. Da war es, als Darthula Dich erblickte von der Höhe ihres bemoosten Turmes, vom Turme Selamas, wo ihre Väter wohnten. „Lieblich bist Du, o Fremder,“ sprach sie, denn ihre bebende Seele erwachte. „Schön bist Du in Deinen Schlachten, Freund des gefallenen Cormac. Warum stürmst Du vorwärts in Deiner Tapferkeit, junger Krieger mit gerötetem Antlitz? Wenig sind Deine Hände im Kampf gegen den dunklen, braunen Cairbar. O daß ich frei wäre von seiner Liebe! Daß ich mich freuen dürfte der Gegenwart Nathos'! Glücklich sind die Felsen Ethas. Sie werden seine Wege sehen auf der Jagd, sie werden seine weiße Brust sehen, wenn die Winde sein fließendes Haar wehen lassen.“ So waren Deine Worte, Darthula, auf den moosigen Türmen Selamas.
Doch nun ist Nacht um Dich. Die Winde haben Deine Segel betrogen, die Winde betrogen Deine Segel, Darthula. Ihr Brausen tönt in der Höhe. Laß ab eine Weile, o Nordwind! Laß mich hören die Stimme der Lieblichen. Deine Stimme ist lieblich, Darthula, in den heulenden Winden. „Sind dies die Felsen Nathos'?“ sprach sie, „dies das Rauschen Deiner Bergströme? Kommt dies Licht aus Usnoths nächtlichem Saal? Nebel breiten sich aus ringsum, das Licht ist schwach und weit entfernt. Doch das Licht der Seele Darthulas leuchtet im König von Etha. Sohn des hochherzigen Usnoth, warum dieser gebrochene Seufzer? Sind wir im Land der Fremden, König des widerhallenden Etha?“ „Dies sind nicht die Felsen von Nathos,“ erwiderte er, „noch ist dies das Brausen seiner Ströme. Kein Licht scheint aus dem Saale Ethas, denn sie sind weit entfernt. Wir sind im Land der Fremden, im Land des grausamen Cairbar. Die Winde betrogen uns, Darthula. Hier erhebt Erin seine Berge. Geh nach Norden, Althos. Du, Ardan, richte Deine Schritte der Küste entlang, daß der Feind nicht im Dunkel komme und unsere Hoffnung auf Etha scheitere. Ich selbst will dort zu dem bemoosten Turme gehn und nachschaun, wer bei diesem Licht wohnt. Raste, Darthula, am Strand. Raste in Frieden, liebliches Licht. Nathos' Schwert ist um Dich wie der Blitz des Himmels.“
© Petra Hartmann