Von Nebeln und Kneipendunst
Darthula Ossian Petra Hartmann
"Mach endlich das Gejaule aus!" - Als ich mich damals, im Sommer 1996, aufraffte, um nach der Übersetzung nun auch die Erzählung "Darthula" zu verfassen, war das erste, was passierte, dass meine kleine Schwester genervt in mein Zimmer stürmte, meine Schallplatte mit den Gesängen der Buckelwale stoppte und mir stattdessen eine Folk-CD, "The Celts rise again", aufnötigte. Vermutlich hatte das einen gewissen Einfluss auf den Tonfall der Geschichte, zumindest hat sich eine leichte Erinnerung daran in der Rahmenhandlung erhalten.
Im Roman, der jetzt bei Arcanum erscheint, sind die Heldin Petra, die furchtlose Crew der Yacht "Himingläfa" und der Bordhund John Wolf zwar nicht mehr vorhanden, aber damals hatte ich das maritime Quintett bereits dank einer Wasserhose auf den Mond und mit Hilfe des Klabautermanns ins sagenhafte Ostsee-Atlantis Vineta geführt. Da lag es nahe, Kapitänin Petra auch mit Ossian als Reiseführer ins Nebelland zu schicken ... Lest einfach mal rein:
Darthula
Irland. Natürlich, es hatte ja unbedingt Irland sein müssen. Ich für mein Teil war zwar für Griechenland gewesen, aber die anderen drei hatten mich nun einmal überstimmt. Und jetzt schaukelte die Himingläfa irgendwo dort draußen in dieser gottverlassenen Bucht vor Anker, und ich stand mit den Einkäufen am Strand und konnte im Nebel nicht einmal mein Schlauchboot wiederfinden. Typisch. Nicht, daß ich es bei dem Nebel gewagt hätte, zum Schiff zurückzurudern, ich hätte es in jedem Falle verfehlt und wäre aufs offene Meer hinausgetrieben, mutterseelenallein, ganz sicher. Ich hätte das Boot nur gern wiedergefunden.
Ich pfiff. Sofort tauchte vor mir im Nebel ein schwarzes, zottiges Ungeheuer auf und stieß freundlich mit der Schnauze gegen meinen Oberschenkel. John Wolf, unser Bordhund, hatte mich ins Dorf begleitet, und ich war froh, den Schäferhundmischling bei mir zu haben. Das Tier hatte schon immer einen guten Einfluß auf mich gehabt und wirkte auch nun äußerst beruhigend auf mich. Gutmütig ließ er sich das dichte, bockige Nackenfell kraulen, während ich in den Nebel starrte und versuchte, das Schiff auszumachen. Oder zumindest das Schlauchboot. So ein Mist. Wütend kickte ich Steine über den Kiesstrand und ärgerte mich, daß ich schon so weit an der Küste entlanggeirrt war. Denn nun würde ich den schmalen Pfad, der durch die Felsen zum Dorf zurückführte, ganz sicher nicht mehr wiederfinden. Keine Chance also, in irgendeinem dieser folklore- und bierdunstgeschwängerten Pubs zu sitzen und abwarten zu können, bis dieser Nebel sich verzog.
Da saßen sie nun also in der warmen Himingläfa, tranken einen steifen Grog oder auch Tee mit sehr viel Rum, Ludolf, Theodor und Clara, während ich leider ... typisch. Ich setzte mich auf einen der unangenehm klammen Felsen - selbst durch die Ölhose hindurch spürte ich, wie feucht er war - und nahm den schweren Rucksack ab. Wenigstens würde ich nicht verhungern, Brot, Butter und Aufschnitt hatte ich ja dabei, auch ein Päckchen Milch und für meinen persönlichen Gebrauch eine schöne, große, eisgekühlte Flasche Cola. Für Clara hatte ich Postkarten und Briefmarken mitgebracht, und Theodor hatte nach einer Tafel Vollmilchschokolade gejammert. Die beiden waren leicht zufriedenzustellen. "Und was soll ich dir mitbringen, Ludolf, hast du einen Wunsch?" Ludolf hatte die Achseln gezuckt. "Bring mir einfach eine Geschichte mit für heute Abend," hatte er dann gesagt. Er hatte tatsächlich die Unverschämtheit besessen, das Wort "einfach" zu verwenden. Obwohl er doch genau wußte, daß ich mit Irland und seinen Geschichten in keinster Weise klarkam. Soviel also dazu.
Ehrlich, ich hatte es versucht. Drüben, in meiner Koje auf der Himingläfa, lag noch ein Buch mit irischen Märchen, das ich schon angefangen hatte. Aber ich kam damit echt nicht zurande. Weißt du, John Wolf, bei den Grimms, da ist alles so schön einfach. Da hat ein Vater drei Söhne, die ziehen in die Welt hinaus, zwei sind klug aber eingebildet, die scheitern dann, vollkommen zurecht, und dann kommt der dritte, der ist von eher schlichtem Verstand aber herzensgut, der löst dann die Aufgabe, dann kriegt er die Prinzessin, und wenn er am Ende verheiratet ist, dann ist das Märchen fertig. So schön und übersichtlich muß ein richtiges Märchen sein. Aber die Irländer sehen das halt anders. Das irländische Märchen wird geboren im irischen Kneipendunst, da steht ein Märchenerzähler auf und fabuliert munter drauflos über den siebten von zwölf Söhnen, der erlebt ein haarsträubend unlogisches Abenteuer nach dem anderen, und das Märchen ist zu Ende, wenn das Bier alle ist.
Ich nahm einen tüchtigen Schluck aus meiner Colaflasche und kraulte John Wolf hinter dem rechten Ohr. In Griechenland hätte ich ihm schöne Geschichten mitbringen können. Die alten Gesänge von den Inseln, Geschichten um Helden und Schiffe. Weißt du, John Wolf, wer die geschrieben hat? Das ist der alte blinde Mann, er wohnt am felsigen Chios, seine Lieder bleiben für immer die schönsten.
Nebel ist nicht gut für die Seele. Da saß ich nun auf dem Felsen, es war kalt und feucht, von allen Seiten umgab mich dies weißliche Grau, in dem seltsame Satten waberten, und es ist kein Wunder, wenn einen Menschen dort die Schwermut beschleicht. Die weiße Watte hüllt alle Geräusche ein, und nichts klingt mehr so, wie es sich anhören sollte. Die Wellen vom Ufer, kaum zwei Schritte entfernt, brandeten fremdartig gedämpft an mein Ohr. Und als ich nun mit den Händen einen Schalltrichter formte und ins Nichts hinausrief: "Theodor! Clara! Ludolf!! Himingläfa ahoj!", da warf mir der Nebel ein so unheimliches Echo meiner eigenen Stimme zurück, daß ich es kein zweites Mal versuchte. Irgendwo raschelte Laub, doch kein Wind zerteilte die Nebel vor mir. Ich ließ den Kopf hängen.
"Tränen an Darthulas Grab?" Ich schrak zusammen. John Wolf knurrte leise, doch nicht bösartig, das beruhigte mich etwas. Undeutlich tauchte vor uns aus den Nebeln eine Gestalt auf, kam die wenigen Schritte zu uns herüber. Ich erhob mich und bot dem alten Mann meinen Gruß, der, in fließende, helle Gewänder gehüllt, selbst ein Teil des uns umgebenden Nebels zu sein schien. Eine leichte Wanderharfe, die der Fremde mit sich führte, ließ mich an die "Celtic Folk"-CD denken, mit der uns der leicht zu begeisternde Theodor schon seit Tagen bedröhnte. Doch machte der Alte nicht den Eindruck eines typischen Wirtshausmusikers, auch waren einige der Saiten zersprungen und hingen nun traurig herunter. "Es hat schon lange niemand mehr geweint an Darthulas Grab," murmelte er und tastete nach dem Felsen, auf dem ich gesessen hatte. "Ich habe nicht geweint," widersprach ich. "Doch hast du geweint," sagte er.
"Aber ich höre schon," begann er nach einer Weile des Schweigens, "daß du nicht Darthulas wegen hier bist." "Und weshalb sind Sie hier?" fragte ich. "Bei diesem Nebel bleiben die Menschen für gewöhnlich zu Hause." Er lächelt traurig. "Für mich herrscht immer Nebel," sagte er, und erst jetzt, als ich ihm genau in die Augen sah, bemerkte ich, daß er blind war. Ich schwieg betreten und schaute zu, wie er John Wolf den Nacken kraulte. Er hatte geschickte Finger, die alle Stellen fanden, an denen der Schwarze das Kraulen liebte. Der Harfner mochte demnach kein unrechter Kerl sein, und ich beschloß, Vertrauen zu ihm zu haben, auch wenn er sich an Orten wie diesem herumtrieb.
© Petra Hartmann
Die komplette Story findet ihr hier.