"Die Audienz" - 16 Expeditionen in fremde Welten
Bücher - SF Anthologie Kurzgeschichte Wurdackverlag
"Die Audienz" heißt das neue Buch aus der SF-Reihe mit dem Dreieck: Der inzwischen 16. der Science-Fiction-Bände aus dem Wurdack-Verlag enthält 16 Geschichten aus fremden Welten, anderen Zeiten und virtuellen Realitäten ...
Ohne den in dieser Anthologie vertretenen Autoren zu nahe treten zu wollen, soll doch festgehalten werden: Der Klappentext mit den außerirdischen Rezensions-Schnipseln gehört zum Besten, was dieses Buch zu bieten hat. Einfach schön, was sich die Herausgeber dieser Reihe jedesmal einfallen lassen, wenn sie eine neue Sammlung mit Kurzgeschichten auf den Weg zum Leser schicken. Ein dickes Lob auch an Jacek Kaczýnsky, dessen Coverbild mit dem Porträt eines menschenähnlichen Wesens, das sich im Kopfbereich in Mumienbinden und grüne und rote Pflanzenstrukturen auflöst, bereits einen sehr stimmungsvollen Einstieg in die dahinterliegenden Welten verschafft.
Metamorphosen und virtuelle Welten
Metamophosen jeglicher Art, das Leben nach dem Tod, aber auch der Übergang von realen in virtuelle Existenzen, das sind die Grundthemen, mit denen sich die Autoren in diesem Band auseinandersetzen. Der Leser begegnet seltsamen Pflanzen, die die Gestalt ihrer außerirdischen, menschlichen Besucher annehmen (lesenswert: Heidrun Jänchens Geschichte „Kamele, Kuckucksuhren und Bienen“), nach Zimt duftenden Waldhaien mit einer ganz eigenen Ursprungsgeschichte (sehr anschauliche Schilderung einer fremdartigen Flora und Fauna in Karsten Kruschels „Ende der Jagdsaison auf Orange“) und ekligen Fleischengeln, die unheilbar Krebskranke abholen , um - ja wozu eigentlich? (Jakob Schmidts Geschichte „Auslese“ über Kämpfer, Märtyrer, Forscher und den Krebstod in einer beklemmenden Krankenhaus-Wirklichkeit).
Verwirrende Bewusstseinsströme
Etwas verwirrend und wenig reales Leben atmend kommen die Geschichten „Hör auf die Wahrsagerin, Nishka“ (Bruna Phlox) und „Finja-Danielas Totenwache“ (Nadine Boos) daher. Durcheinander laufende Bewusstseinsströme, virtuelle Welten und Fremdkörper machen es dem Leser schwer, sich zurechtzufinden und sich auf die Hauptfigur einzustellen. In ähnlicher Weise überlagern sich Zeiten und Bewusstseinsströme in „Ein Schiff wird kommen“ (Regina Schleheck): Eine Passagierin betritt ein Schiff auf der Reise zu den aufregendsten Plätzen der Galaxis, gerät dabei offenbar in eine Art Zeitschleife, erlebt Déjà -vus, vergisst immer wieder, begegnet einer Schauspielerin aus dem 20. Jahrhundert, wird über das Schicksal der Titanic aufgeklärt ... alles in allem wohl für sehr tief denkende Leser gemacht.
Rätselhafte Titelgeschichte
Sehr rätselhaft auch die titelgebende Geschichte von Frank W. Haubold , in der ein wohl menschlicher Pilot bei einer wohl außerirdischen Macht um Hilfe für seine Zivilisation gegen eine andere außerirdische Macht sucht. Als Antwort erhält er ein parabiblisches oder paraindisches Gleichnis oder eine verbrämte historische Erzählung, verzichtet, weise geworden, auf die Hilfe und reist wieder ab, während seine Gesprächspartner, nur für den Leser sichtbar, ihre Masken abhnehmen und sich entpuppen als ... eben eine sehr rätselhafte Pointe.
Mörder und Roboter
Da gibt es einen Mörder, der im virtuellen Raum lustmordet und eine Versicherungsangestellte, die in einer dystopischen Zukunftswelt dank einer unterschlagenen Polizeibrille Gefühlsdaten und Mentalzustände ihrer Mitmenschen ablesen kann - wobei der Leser dankenswerterweise noch erfährt, wie man quadratische Eier brät. Der Leser erfährt außerdem, wie einem Roboter im Dienste des amerikanischen Präsidenten zumute ist, wenn nach Ende der Amtszeit seines Vorgesetzten die elektronischen Erinnerungen gelöscht werden sollen, und begleitet einen Lod ins Haus einer Lad, um Ermittlungen über einen Todesfall anzustellen. Am Ende sind zwei Led tot, und es war nicht die Chine ... (konfus und durch die Namensgebung etwas schwer zu lesen, aber keine schlechte Grundidee).
Lesenswert und "heiß"
Besonders lesenswert sind die beiden „heißen“ Storys „Phönix“ (Armin Rößler) über einen raubeinigen Piloten, der mit seinem Löschflugzeug einen gewaltigen Waldbrand bekämpft und sich an Bord mit einem nervigen Fernsehteam herumärgern muss, und Andrea Tillmanns' Geschichte „Hitze“, in der eine alte Bäuerin mit Stromrationierungen, Benzinknappheit, der Hitzewelle und jugendlichen Viehdieben zu kämpfen hat. Absoluter Höhepunkt: „Sarah“ von Berndhard Schneider, eine unter die Haut gehende Geschichte von Vaterliebe und Wahnsinn, die sich auch außerhalb des Science-Fiction-Szenarios beim Alleinerziehenden nebenan ereignet haben könnte.
Fazit: Eine gut komponierte Sammlung mit zum Teil herausragenden Geschichten, die für jeden Geschmack etwas zu bieten hat. Unbedingt empfehlenswert.
Die Audienz. Hrsg. v. Armin Rößler und Heidrun Jänchen. Science-Fiction-Reihe Band 16. Nittendorf: Wurdackverlag, 2010. 224 S., Euro 11,95.
© Petra Hartmann
(Das Kompliment für den Klappentext gebe ich gern, wie immer, an Heidrun weiter; beim Rest fühle ich mich auch angesprochen ...)