Fußstapfen VII
Darthula Fußstapfen Heinrich Heine Harzreise
Da ich in den nächsten Tagen den Götterboten erwarte, der mir den "Fels der schwarzen Götter" ins Haus bringt, wird es langsam Zeit, die Darthula-Fußstapfen zu beschließen. Das letzte Wort soll hier mein guter alter Freund und Wegbegleiter Heinrich Heine haben.
Heine muss von Darthula und der Ossian-Begeisterung die Nase gestrichen voll gehabt haben. Werther, Weltschmerz und die empfindsame Seelenstimmung der alten Literatur - all das hatte er zur Genüge, zum Überfluss immer wieder anhören müssen. Die Sentimentalität dieser schöngeistigen Literaturfreunde forderte seinen Spott heraus, und die ätzende Ironie traf gerade die arme Darthula. In der "Harzreise" (1824 verfasst, Buchveröffentlichung 1826), seinem ersten großen Wurf in der Prosa, schildert er zwei sentimentalische Jünglinge, die im Zustand der Volltrunkenheit schwülstige Ossianverse deklamieren. Besonders fies und wirkungsvoll: Am Originaltext ändert sich nichts, er wird lediglich durch den Rahmen, in dem er dargeboten wird, vollkommen lächerlich gemacht.
Hier der Auszug aus der "Harzreise":
"Nun erhoben sich die beiden Jünglinge, einer schlang den Arm um den Nacken des andern, und sie verließen das tosende Zimmer. Ich folgte ihnen nach und sah, wie sie in eine dunkle Kammer traten, wie der eine, statt des Fensters, einen großen Kleiderschrank öffnete, wie beide vor demselben mit sehnsüchtig ausgestreckten Armen stehen blieben und wechselweise sprachen. »Ihr Lüfte der dämmernden Nacht!« rief der erste, »wie erquickend kühlt ihr meine Wangen! Wie lieblich spielt ihr mit meinen flatternden Locken! Ich steh' auf des Berges wolkigem Gipfel, unter mir liegen die schlafenden Städte der Menschen, und blinken die blauen Gewässer. Horch! dort unten im Thale rauschen die Tannen! Dort über die Hügel ziehen in Nebelgestalten die Geister der Väter. O, könnt' ich mit euch jagen auf dem Wolkenroß durch die stürmische Nacht, über die rollende See, zu den Sternen hinauf! Aber ach! ich bin beladen mit Leid, und meine Seele ist traurig!« - Der andere Jüngling hatte ebenfalls seine Arme sehnsuchtsvoll nach dem Kleiderschrank ausgestreckt, Thränen stürzten aus seinen Augen, und zu einer gelbledernen Hose, die er für den Mond hielt, sprach er mit wehmütiger Stimme: »Schön bist du, Tochter des Himmels! Holdselig ist deines Antlitzes Ruhe! Du wandelst einher in Lieblichkeit! Die Sterne folgen deinen blauen Pfaden im Osten. Bei deinem Anblick erfreuen sich die Wolken, und es lichten sich ihre düstern Gestalten. Wer gleicht dir am Himmel, Erzeugte der Nacht? Beschämt in deiner Gegenwart sind die Sterne, und wenden ab die grünfunkelnden Augen. Wohin, wenn des Morgens dein Antlitz erbleicht, entfliehst du von deinem Pfade? Hast du gleich mir deine Halle? Wohnst du im Schatten der Wehmut? Sind deine Schwestern vom Himmel gefallen? Sie, die freudig mit dir die Nacht durchwallten, sind sie nicht mehr? Ja, sie fielen herab, o schönes Licht, und du verbirgst dich oft, sie zu betrauern. Doch einst wird kommen die Nacht, und du, auch du bist vergangen, und hast deine blauen Pfade dort oben verlassen. Dann erheben die Sterne ihre grünen Häupter, die einst deine Gegenwart beschämt, sie werden sich freuen. Doch jetzt bist du gekleidet in deine Strahlenpracht, und schaust herab aus den Thoren des Himmels. Zerreißt die Wolken, o Winde, damit die Erzeugte der Nacht hervor zu leuchten vermag, und die buschigen Berge erglänzen, und das Meer seine schäumenden Wogen rolle in Licht!«
Ein wohlbekannter, nicht sehr magerer Freund, der mehr getrunken als gegessen hatte, obgleich er auch heute Abend, wie gewöhnlich, eine Portion Rindfleisch verschlungen, wovon sechs Gardelieutenants und ein unschuldiges Kind satt geworden wären, dieser kam jetzt in allzugutem Humor, d. h. ganz en Schwein, vorbeigerannt, schob die beiden elegischen Freunde etwas unsanft in den Schrank hinein, polterte nach der Hausthüre, und wirtschaftete draußen ganz mörderlich. Der Lärm im Saal wurde auch immer verworrener und dumpfer. Die beiden Jünglinge im Schranke jammerten und wimmerten, sie lägen zerschmettert am Fuße des Berges; aus dem Hals strömte ihnen der edle Rotwein, sie überschwemmten sich wechselseitig, und der eine sprach zum andern: »Lebewohl! Ich fühle, daß ich verblute. Warum weckst du mich, Frühlingsluft? Du buhlst und sprichst: ›Ich betaue dich mit Tropfen des Himmels. Doch die Zeit meines Welkens ist nahe, nahe der Sturm, der meine Blätter zerstört! Morgen wird der Wanderer kommen, kommen, der mich sah in meiner Schönheit, ringsum wird sein Auge im Felde mich suchen, und wird mich nicht finden.‹« - Aber alles übertobte die wohlbekannte Baßstimme, die draußen vor der Thüre unter Fluchen und Jauchzen sich gottlästerlich beklagte, daß auf der ganzen dunkeln Weenderstraße keine einzige Laterne brenne, und man nicht einmal sehen könne, bei wem man die Fensterscheiben eingeschmissen habe."
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© Petra Hartmann
Ja, good old Heine war schon ein Meister-Spötter!
Gruß
Ralf