Die apokalyptischen Schreiber: In Blut geschrieben
Bücher - phantastisch Apokalyptische Schreiber
Pestilenz. Hunger. Krieg. Tod. Sie nennen sich die "apokalyptischen Schreiber", sind gewöhnlich bei ihren Lesungen in Möchskutten gekleidet und den regelmäßigen Besuchern einiger Phantastik-Cons als düsteres Autorenquartett mit rabenschwarzen Geschichten vertraut. Jetzt haben Ralph Haselberger (Tod), Stefan Fels (Krieg), Thomas Backus (Hunger) und Volker Ilse (Pest) ein gemeinsames Buch herausgebracht. Es heißt "In Blut geschrieben", ist dick, düster und hochdramatisch und bietet Kurzgeschichten und Erzählungen vom Feinsten.
Die vier Autoren zeigen in ihrer Sammlung, wie vielseitig die dunkle Phantastik sein kann. Sie alle schlagen ernste, grauenerweckende Töne an, berichten von Krankheit, Tod und menschlichem Elend, und doch lassen sich bei aller Themenähnlichkeit sehr deutlich auch die Unterschiede der Stile und der Weltsichten der vier ausgesprochen individuellen Verfasserpersönlichkeiten erkennen.
Den Reigen der Geschichten eröffnet eine Schreibaufgabe für alle vier Protagonisten: Vorgegeben waren der erste und der letzte Satz einer Story über ein schon von Natur aus sehr gruseliges Thema: "Die Deutsche Bahn", die von allen Beteiligten auf höchst unterschiedliche Weise zum Ziel geführt wird. Im Anschluss daran gestaltet jeder der Autoren ein eigenes Viertel mit seinen Kurzgeschichten.
Von Pestilenz und anderen Seuchen
Den Auftakt macht Volker Ilse. Er erzählt, seiner Rolle im Weltuntergangsquartett gemäß, von Seuchen und Krankheiten, berichtet von einem Heiler, der ein totgeborenes Kind rettet, von schrecklichen Ritualen, die Seuchen fernhalten sollen (wobei ein Menschenopfer sich als kein vollwertiger Ersatz für ein Huhn erweist), oder schildert einen offenbar geistesgestörten Rosenliebhaber, der sich immer mehr in seine Besessenheit hineinsteigert. Da verschwinden Ärzte während der Behandlung eines Patienten oder müssen unbesiegbare Helden kurieren. Schockierend und im Privatfernsehen der nahen Zukunft gar nicht so unvorstellbar ist seine Beschreibung des Wettbewerbs "Fressen und gefressen werden": Ein Tagmensch und ein Nachtmensch machen abwechselnd Jagd auf sich und fallen im 12-Stunden-Rhythmus in den Schlaf. Der jeweils wache Teilnehmer sucht nach seinem schlafenden Gegner und darf so viel von ihm fressen, wie er kann. Ein Duell, das sich über mehrere Tage hinziehen kann.
Der Krieg liebt keine Kleinigkeiten
Stefan Fels, der Krieg, oft wegen seiner Statur auch als "Kleinkrieg" bezeichnet, ist derjenige der vier, der mit "Kleingkeiten" am wenigsten am Hut hat. Zwar trug er zu der Anthologie insgesamt nur drei Geschichten bei, dafür aber mit der Horrorstorys "Die Züchtungen" den längsten aller Texte. Es handelt sich eher um einen Kurzroman, in dem von einem Nazi-Wissenschaftler berichtet wird, der in einem geheimen Labor mit Kunstwesen bzw. Höllenkreaturen experimentiert. Das Ende des Zweiten Weltkriegs und der Einmarsch der Allierten beenden die Forschungen, das Labor wird verschüttet, der Wissenschaftler kommt um. Doch im Jahr 1998 nimmt dessen Sohn die Arbeit wieder auf, und entsetzliche Kreaturen entsteigen dem Höllentor.
Hungerstorys und Dämonenjäger mit Marburger Flair
Als fleißigster Autor entpuppt sich der Hunger, Thomas Backus. Fressen und Gefressenwerden ist dabei nur eines seiner Themen. Ob Rattengift in einer Schlachterei oder wutentbrannte Kunden, die sich für Gammelfleisch an den Verkäufern rächen - Backus als gelernter Schlachter zeigt beklemmende Detailkenntnisse über das Nahrungsmittelgewerbe. Auch ist er derjenige unter den Autoren, der seine Heimatverbundenheit am deutlichsten demonstriert: Viele seiner Geschichten spielen im Marburg und Umgebung, erzählen von Lokaljournalisten oder geben interessante Einblicke in die Marburger Phantastikszene, zum Beispiel wenn ein berühmter Dämonenjäger als Gastreferent des Marburger Vereins zur Vernichtung der Dämonen eingeladen wird und nebenbei eine Hexe in einem Kaufhaus erledigt. Mitten in dem düsteren, von Grusel und Schauderhaftem geprägten Buch pflanzt er zudem kleine Inseln der Heiterkeit, ein willkommenes Atemholen, bevor Ralph Haselberger als Tod den denkbar schwärzesten Schlusspunkt setzt.
Das letzte Wort hat der Tod
Haselberger, der in seiner einleitenden Kurzbiographie seine Menschenfreundlichkeit betont, ist zweifellos derjenige der vier, dem man am wenigsten im Dunkeln begegnen möchte. Seine Geschichten sind auf keine Fall als Lektüre kurz vor dem Einschlafen zu empfehlen. Ob er über Spukhäuser oder über eine neue Art von Hirntumoren berichtet, oder ob sein Held ein Mensch ist, der seinen Herzrhythmus willentlich beeinflussen kann, keine dieser Geschichten lässt sich nach dem Lesen so einfach aus der Hand legen, man muss erst einmal ganz tief einatmen und wird das Grauen des Schlussakkords nicht so leicht wieder los. Und die furchtbare Geschichte der herzensguten Borgmännchen ... nein, die lässt sich wirklich nicht so ohne weiteres wegstecken.
Insgesamt ist es eine außerordentlich beeindruckende Anthologie und durch ihre Aufmachung - Hardcover, entsetzlich-grausiges Coverbild von Ralph Haselberger, Autorenbiographien und Fotos - ein Schmuckstück für jedes Bücherregal.
Fazit: Kaufen. Lesen. Aber lieber nach dem Lesen nicht allein zu Hause sein.
Ralph Haselberger, Stefan Fels, Thomas Backus, Volker Ilse: Die Apokalyptischen Schreiber: In Blut geschrieben. Wismar: Persimplex Verlag, 2010. 436 S., Euro 19,90.
© Petra Hartmann