Julius von Voß: Ini
Bücher - SF Klassiker
So also stellten sich unsere Altvorderen die Zukunft vor: Julius von Voß (1768-1832) veröffentlichte mit "Ini" einen hochinteressanten "Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert", der vom Verlag Utopica inzwischen in einer Hardcoverausgabe neu aufgelegt wurde.
Die Handlung ist eine Mischung aus einer Liebesgeschichte und einem klassischen Bildungsroman. Guido, der Held des Romans, wird in einem Waisenhaus aufgezogen, wird hervorragend ausgebildet und begegnet als Jugendlicher der schönen Ini. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Doch Ini und der junge Guido werden noch nicht sofort ein Paar. Zunächst entwirft die junge Frau, die wie er als Waise erzogen wird, ein Gemälde, das den zukünftigen Guido als gereiften und vollkommenen Mann zeigt. Erst wenn er dieses Ideal erlangt hat, dann will sie ihm gehören. Guido schreitet im Verlaufe des Buches in seiner Selbstvervollkommnung und Ausbildung voran. An der Seite seines Lehrers absolviert er seine Bildungsreise durch die Welt, er leistet seinen Militärdienst ab und macht dabei einige wertvolle neue Erfindungen, die das Heerwesen verbessern, er bereist Italien, das zukünftige Berlin, Paris und muss sich einige Monate allein am Nordpol durchschlagen, bevor er als Heerführer den Krieg zwischen Europa und Afrika entscheiden kann.
Zukunftsvisionen von Luftschiffen und Fernsprechern
Der fabulierfreudige Autor erzählt von riesigen Luftschiffen und künstlichen Inseln, von gläsernen Tauchvorichtungen, von Theatermaschinerien und einer Art Fernsprecher. Manches ist ziemlich naiv und märchenhaft gehalten, so werden die Luftschiffe von zahmen Adlern gezogen und die Rieseninsel von dressierten Walen. Manches, wie die Erziehungsideale, sind dem hohen Pathos der Goethezeit geschuldet, haben aber auch durchaus Gemeinsamkeiten mit den frühneuzeitlichen Utopien wie Morus' "Utopia" oder Bacons "Neu-Atlantis". Vieles von der Schwärmerei Guidos klingt für heutige Leser schwülstig und kitschig und ist nur vor dem Hintergrund der damaligen Zeit zu verstehen. Dass Guido sich am Ende als der Sohn des Kaisers entpuppt und in einem Heim erzogen wurde, damit ihm der Stolz und der Glanz der Krone nicht den Charakter verderben, kommt nicht wirklich überraschend, ebenso wie Inis hohe Abkunft.
Erziehungsideale, die auch für die Herrscher gelten
Doch sollte der Leser sich vor Augen halten, dass zwischen uns und diesem Roman zweihundert Jahre liegen und dass Dinge, die wir heute als abgedroschen empfinden, es damals noch nicht waren. Man muss sich vor Augen führen, welchen politischen Sprengstoff allein der Zug birgt, dass ein Königs- oder Kaiserssohn nicht mehr automatisch auf dem Thron landet, sondern unerkannt mit bürgerlichen Waisen erzogen wird, um ein anständiger Mensch zu werden. Und selbst nach Ende der Ausbildung ist noch lange nicht heraus, dass er die Krone auch erhält. Guido wird Zeuge, wie ein junger Königssohn vor den Rat tritt, über den Gang seiner Ausbildung Rechenschaft ablegt und am Ende von den Ratsherren doch abgelehnt wird, weil er zu wenig Reformvorschläge gemacht hat und zu sehr im Schatten seines verehrten Vaters steht. Der Vorschlag, einen Herrscher allein nach Qualifikation zu benennen - ein undenkbarer Vorschlag im Jahr 1810 und selbst im Gewand eines "Märchens aus der Zukunft" alles andere als ungefährlich. Nur neun Jahre später, nach Erlass der Karlsbader Beschlüsse und der rigrosen Zensurgesetzgebung, hätte der Autor große Probleme, seinen Roman überhaupt zu veröffentlichen.
Ein Bildungsroman aus der Zukunft
Vermutlich kann dieses Buch nur jemand seinem vollen Wert nach schätzen, der mit der Bildungsroman-Tradition dieser Zeit vertraut ist und sich von Helden wie Wilhelm Meister oder Anton Reiser nicht abschrecken lässt. Es ist ein Buch, das an den Leser schon einige Ansprüche stellt und das durch seinen Satzbau und Tonfall nicht ganz einfach zu lesen ist. Für denjenigen, der sich darauf einlässt, wird es aber dennoch ein interessanter Ausflug in die Urzeit der Science-Fiction.
Sehr lesenswert ist das Nachwort von Ulrich Blode. Hier erfährt der Leser viel zu Julius von Voß und zum Hintergrund des Romans. Und für einen Menschen, für den bestimmte Erfindungen und technische Hilfsmittel längst zur Selbstverständlichkeit geworden sind, ist es sehr erhellend, noch einmal aufgelistet zu bekommen, welche Fülle von Dingen Voß tatsächlich vorausgesehen hat.
Insgesamt ist es ein hochinteressantes und wichtiges Buch, und es ist gar nicht hoch genug zu schätzen, dass der Utopica-Verlag das kleine Stück Literatur wieder zugänglich gemacht hat.
Fazit: Keine leichte Kost. Ein Roman, der dem Leser einiges an Arbeit macht. Aber es lohnt sich durchaus, sich auf diese "Ini" einzulassen.
Julius von Voß: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Eine Utopie der Goethe-Zeit. Neu herausgegeben und kommentiert von Ulrich Blode. Oberhaid: Utopica, 2008. 212 S., Euro 29,98.
© Petra Hartmann