Theano: Briefe einer antiken Philosophin
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Theano war eine der bekanntesten Philosophinnen der Antike. Ihr überliefertes Werk ist schmal, und von dem wenigen, das sich unter ihrem Namen erhalten hat, ist vieles umstritten und ihr nur fälschlicherweise zugeschrieben. Jetzt hat der Verlag Reclam der Pythagoreerin ein eigenes Büchlein gewidmet und ihre Briefe und überlieferten Aussprüche in einer zweisprachigen Ausgabe herausgebracht.
Theano gehörte (wohl im sechsten vorchristlichen Jahrhundert) der Schule des Pythagoras an, der zu jener Zeit einzigen Schule, in der auch weibliche Schüler zugelassen und in größerer Anzahl zu finden waren. Überliefert sind die Namen von 17 Philosophinnen dieser Schule, von denen einige durch eigene Schriften an die Öffentlichkeit traten. Die bekannteste von ihnen war Theano, die einigen Berichten zufolge auch als Ehefrau des Meisters, bei einigen sogar als seine Nachfolgerin in der Leitung der Schule genannt wird.
Theano gibt Ratschläge zu Kindererziehung und Sklavenhaltung
Sieben Briefe umfasst das Heft, vier davon, die vier kürzeren, gelten als mit großer Sicherheit nicht von ihr verfasst, sondern ihr nur zugeschrieben. Die drei anderen, kurz, bestimmt, selbstbewusst und sehr "vernünftig" im Ton wenden sich an Frauen, an Freundinnen der Verfasserin und nehmen Stellung zu ethischen Fragen und Verhaltensrichtlinien in klassischen Frauenthemen: Theano gibt Ratschläge zur Kindererziehung und warnt die Adressatin davor, ihre Kinder zu verhätscheln, sie rät vielmehr zur Mäßigkeit und Abhärtung. Ferner gibt sie Ratschläge zum Umgang mit Sklaven, die heutige Führungskräfte gegenüber Untergebenen durchaus beherzigen sollten: "Du aber, meine Liebe, musst wissen, dass du die Musikinstumente nachahmst, die misstönend klingen, wenn ihre Saiten etwas entspannt sind, aber zerspringen, wenn sie zu stark angezogen werden. Denn bei den Sklavinnen ist es genauso; eine zu große Lässigkeit fügt dem Gehorsam einen Missklang zu, die Überspannung des Zwangs aber eine Zerstörung des Körpers."
Richtiger Umgang mit Hetären
Ein drittes Briefthema, ausgesprochen heikel, ist die Frage, wie eine Frau sich verhalten soll, wenn ihr Mann zu einer Hetäre geht. Theanos für heutige Frauen etwas überraschende Haltung: Eine anständige Frau sollte sich hüten, mit einer Prostituierten überhaupt zu wetteifern. Und offen darüber zu reden würde die Schande, die ihr Mann auf sich geladen hat, noch vergrößern. Zur Hetäre gehe der Mann einzig und allein aus Gründen der Sinnlichkeit, doch an seine Ehefrau binde ihn die Vernunft, eine weitaus edlere und festere Bindung als irgendwelche Gefühle.
Die Sammlung wird ergänzt durch einige weitere Texte von Philosophinnen aus der Schule des Pythagoras: ein Brief von Myia über die Frage, welche Art von Amme man einstellen sollte, Fragmente eines Buches von Phintys "Über die Besonnenheit der Ehefrau", Fragmente aus dem Buch "Über die Ordnung der Ehefrau" von Periktione und einen Brief von Melissa darüber, welche Kleidung eine anständige Frau tragen sollte.
Aufsatz von Wieland ergänzt die Sammlung
Der Sammlung beigegeben ist der Aufsatz "Die Pythagorischen Frauen" von Christoph Martin Wieland, der im Revolutionsjahr 1789 eine Auswahl von Theanos Briefen - der drei als "echt" geltenden - im Zusammenhang und für ein größeres weibliches Publikum veröffentlichte. Ein wichtiges Zeugnis der Wirkungsgeschichte Theanos auch in die Neuzeit hinein.
Eine Ikone der Frauenbewegung wird man aus Theano sicher nicht machen können. Themen wie Kindererziehung und Kleidungsfragen oder die Grundannahme, dass die Frau dazu da sei, ihrem Mann zu dienen und ihm das Leben angenehm zu gestalten, waren schon für für viele Zeitgenossinnen Wielands ein wenig zu konservativ. Dennoch beeindruckt an dieser Pythagoreerin die Klarheit und Direktheit ihrer Aussagen und die Selbstverständlichkeit, mit der in dieser Philosophenschule Frauen lernten und lehrten. Auch bieten diese Schriften interessante Einblicke in den Alltag und die Gedankenwelt von Frauen jener Zeit, aus der sonst hauptsächlich männliche Stimmen erhalten sind.
Schade: Die Einleitung ist sehr kurz
Insgesamt ist die Ausgabe ein wichtiges und lesenswertes Buch, und Theanos Werk, auch wenn es schmal ist, bekannter zu machen, verdient großes Lob. Bedauerlich erscheint dagegen, dass der Herausgeber Kai Broderson nicht mehr über die Verfasserin erzählt hat. Ja, die Quellenlage ist dünn, zugegeben. Aber Brodersen gibt sich damit zufrieden, den Texten Theanos einen über 200 Jahre alten Wieland-Aufsatz voranzustellen, und er selbst steuert nur ein knapp zehnseitiges Vorwort bei, das fast zur Hälfte von Wieland und seiner Theano-Rezeption handelt. Sicher, Wieland ist der vermutlich bedeutendste Übersetzer seiner Zeit und ein großer Fachmann für antike Literatur, eine wichtige Stimme in der Rezeptionsgeschichte Theanos, obendrein ein lesenswerter Schriftsteller und ein brillanter Stilist. Zudem ist der Text gemeinfrei, man kann daher auf kostengünstige Art etwas Füllmaterial gewinnen. Aber es kann doch nicht sein, dass sich seit 1789 gar nichts mehr getan hat in der Theano-Forschung und dass sich die kurze Einführung mehr um Wieland als um die Philosophin dreht. Brodersen selbst hat immerhin 2009 einen Aufsatz zur Ökonomie bei Theano veröffentlicht und hätte sicher noch etwas mehr über sie und ihre Zeit erzählen können, wie spärlich auch immer die antiken Berichte sind.
Fazit: Eine hochinteressante Sammlung, umfangreiches Quellenmaterial und eine faszinierende Autorin, die es neu zu entdecken gilt. Lesenswert und nachdenkenswert.
Theano: Briefe einer antiken Philosophin. Griechisch/Deutsch. Mit der Übersetzung von Christoph Martin Wieland herausgegeben von Kai Brodersen. Stuttgart, Reclam, 2010. 134 S., Euro 4,40.
© Petra Hartmann