Jahresrückblick I: Januar - März 2011
Jahresrückblick
Ich hatte ja Anfang des Jahres beschlossen, dass ich mich 2011 vorwiegend auf Klassiker und Indianerbücher stürzen würde. Ein paar neuere phantastische Sachen sind aber doch darunter gewesen. Hier mein Lektürerückblick auf ein langes, lesestoffreiches Jahr, verbunden mit ein paar Tipps und Warnungen:
Januar:
Antje Babendererde: Die Suche
In einem Indianerreservat verschwindet ein Junge. Eine Jugendamts-Mitarbeiterin und der alleinerziehende Vater machen sich auf die Suche und müssen sich dabei einer zwischen Genie und Wahnsinn schwebenden Schamanin stellen ... Vielleicht nicht das beste Buch von Antje Babendererde, aber nicht schlecht.
Ursula K. Le Guin: Der Zauberer von Erdsee
Ursula K. Le Guin: Die Gräber von Atuan
Ursula K. Le Guin: Das ferne Ufer
Ursula K. Le Guin: Tehanu
Ursula K. Le Guin: Rückkehr nach Erdsee
Absoluter Klassiker. Steht schon seit 15 Jahren auf meiner Wunschliste, jetzt habe ich mir zu Weihnachten endlich mal etwas Gutes tun lassen und hab's nicht bereut. (Ich fand übrigens auch Tehanu nicht so schlimm, wie viele Rezensenten sagen ;-))
Paul Wimmer: Der Weg der Macht
Stefan Wernert: Chimaerenrache
Astrid Pabst: Der Drachensucher
Gerd Scherm: Der Nomadengott
Spannend, witzig, anspielungsreich. Ein echter Gewinn. Lesen!
Wiechmann/Mendez: Dietrich von Bern II
Wilhelm Busch: Krasse Märchen. Hrsg. v. Rena Larf
Rena Larf: Der Sternenprinz
Lothar Veit: Widerworte
Platon: Timaios
Noch genau so konfus wie damals im Studium, als ich's erstmals gelesen habe. Eher was für Spezialisten ...
Kerstin Groeper: Die Feder folgt dem Wind
Mark Brandis: Der Spiegelplanet
Ordentlich erzähltes SF-Abenteuer mit zum Teil haasträubenden astronomischen Schilderungen. Ich mag's aber trotzdem ... In meinem Nachwort habe ich mich ausführlich mit der Geschichte des hypothetischen Planeten Gegenerde von Pythagoras bis Pynchon befasst.
Mark Brandis: Sirius-Patrouille
Perry Rhodan Planetenroman 10: Geisterschiff Crest IV
Ich liebe ja die Planetenromane, weil man sie absolut voraussetzungslos lesen kann. In die aktuelle Serie reinzukommen, habe ich ein paar mal versucht, das ist aber für jemanden, der vor 20 Jahren im 17. Silberband steckengeblieben ist, ein verdammt hartes Brot. Der vorliegende Roman ist etwas physikverliebt und in den theoretischen Teilen ziemlich schwerverdaulich. Was die geschilderten Lebewesen angeht, hm, naja, das klingt eher nach Fantasy. Und warum man so ein uraltes Schiff noch bergen muss - Romantik halt. Aber sonst ganz okay.
Land der Verheißung - Phantastischer Oberrhein II
Vielseitige Sammlung mit teils sehr guten Geschichten. Lokalphantastik, aber auch für Norddeutsche ohne Oberrhein-Ortskenntnisse durchaus lesbar.
Markus Brause: Die Wassertropfen Methode
Hörbücher
Herta Müller: Atemschaukel
Faszinierende Sprache. So hätte sich Wolfgang Borchert angehört, wenn er jedes seiner Worte tagelang abgewogen und nach dem treffendsten Ausdruck gesucht hätte. Faszinierend etwa die endlos langen Tiraden über den Zement ... Auf jeden Fall ein Text, der beim Lesen laut mitgesprochen werden muss, als Hörbuch gut umgesetzt. Geht unter die Haut, allerdings auch sehr anstrengend, keine Lektüre/Auditüre für Zwischendurch.
Mark Brandis: Die Vollstrecker I + II
Februar:
Rafik Schami: Eine Hand voller Sterne
Märchenhafte Geschichte über einen kleinen Jungen in Damaskus und einen Journalisten, der als Angestellter der staatlichen Medien seine Selbstachtung verloren hat: Die beiden gründen eine Untergrundzeitung, um dem Volk endlich die Wahrheit zu sagen, und riskieren dabei Gefangennahme und Schlimmeres. Ein Buch, das jeder Journalist in Deutschland gelesen haben sollte ...
Terry Pratchet: Die Farben der Magie
Nicht schlecht. Ich wünsche mir eine Kiste aus magischem Birnbaumholz ...
Andreas Eschbach: Die Haarteppichknüpfer
Magisch, phantastisch, fesselnde und detaillierte Schilderungen aus dem Leben einer ganz besonderen Handwerkszunft. Eine etwas abgedrehte Auflösung. Sehr schöne Sprache. Lesenswert.
Tassilo 13: Das Land ohne Wiederkehr
Antje Babendererde: Wundes Land
Der Roman spielt in der Lakota-Reservation Pine Ridge, wo eine Deutsche ein Hilfsprojekt betreuen soll. Doch dann geschieht ein Mord. Dass sie und der Verdächtige sich sehr nahe kommen, macht die Sache nicht leichter. Und dann ist da auch noch die radioaktive Verseuchung, die an einigen Stellen des Reservats auftritt und die niemand wahrhaben will ... Spannend, gut geschrieben, lesbar.
Reimer Jehmlich: Science Fiction
Uraltes wissenschaftliches Buch (1980), das ich auf dem "Kostenlos"-Tisch der Landesbibliothek entdeckt habe. Bemüht sich sehr darum zu definieren, was SF überhaupt ist. Ein großer Schwerpunkt liegt auf dem Umstand, dass es nur sehr wenig "richtige" Sekundärliteratur und Kritiken in "seriösen" Medien gibt, dafür aber eine schier unübersehbare und zum Teil auch sehr sachkundige Besprechungsmasse aus dem Fandom. Da hat sich wohl nicht viel geändert.
Wieland: Peregrinus Proteus
Antiquarisch erstanden. Ein Buch, auf das ich schon lange scharf war. Wieland macht aus dem "Proteus" des antiken Satirikers Lukian eine Art Bildungsroman im Stile seines Romans "Agathon" und bürstet den uralten Text vollkommen gegen den Strich. Lukian und der von ihm geschmähte Proteus begegnen sich nach ihrem Tode im Elysium wieder, und der edle Philosoph und Erleuchtungssucher erzählt dem Schriftsteller, wie es damals wirklich war. Einfach nur köstlich, ich fand's toll. Für die Lektüre sollte man allerdings einiges an Vorkenntnissen mitbringen. Wer Lukians Schmähschrift über den Philosophen nicht gelesen hat, wird vermutlich nicht viel damit anfangen können.
Hörbuch
Peter Ward: Der Rubindrache (abgebrochen)
Vielleicht ist das Buch gut, ich weiß es nicht. Ich habe die CDs von meiner frustrierten Schwester geschenkt bekommen, die meinte, sie könne sich das Ding einfach nicht anhören. Ich selbst bin bis zur zweiten von 6 CDs gekommen und habe dann ebenfalls abgebrochen. Das Risiko, beim Autofahren einzuschlafen, war mir einfach zu groß. Mag sein, dass es an der Stimme und dem gleichförmigen Vortrag des Sprechers liegt. Jedenfalls bekommt man inhaltlich kaum etwas mit. Finger weg davon. Versucht es lieber mit dem Buch und erzählt mir dann, wie es war.
Mario Adorf: Die Lieblingsballaden der Deutschen
Sehr schön vorgetragen. Der klassische Kanon der großen Balladen. Empfehlenswert.
März
Guy N. Boothby: Das Experiment des Doctor Nikola
Thüring von Ringoltingen: Melusine (Reclam)
Die Urgroßmutter der Nixengeschichten. Eine geheimnisvolle schöne Frau heiratet einen jungen Adligen und macht zur Bedingung, dass sie einmal pro Woche nicht gestört werden darf. Sie wird die Ahnherrin eines großen Geschlechts, und ihre Söhne vollbringen sagenhafte Heldentaten und erringen bedeutende Königreiche. Doch eines Tages beobachtet ihr Gatte sie an einem verbotenen Tag heimlich im Bad: Von der Hüfte abwärts ringelt sich ihr ein entsetzlicher Wurmschwanz - seine zauberhafte Frau ist ein Meerweib! Das Buch stammt aus dem Jahr 1587 und ist in einer entsprechend spröden, verklausulierten Sprache geschrieben. Die Handlung ziemlich verschlungen, da ein Großteil des Buches von den Taten der einzelnen Söhne handelt und es sehr lange dauert, bis der Erzähler wieder zur eigentlichen Hauptperson zurückfindet. Die Kommentierung ist ganz ordentlich, sauberer Reclamstandard. Trotzdem eine eher anstrengende Lektüre, nicht gerade ein Appetithäppchen für Zwischendurch zum Abschalten.
Eoin Colfer: Artemis Fowl: Der Atlantis-Komplex
Kristin Cashore: Die Flammende
Enttäuschend. Ich habe "Die Beschenkte" geliebt, aber dieses Buch fällt stark gegen den Vorgänger ab. Die Geschichte ist sehr locker verbunden mit dem ersten Buch, es taucht der ganz junge "Leck" auf, der in der Beschenkten der Erzbösewicht und Endgegner ist. Ansonsten gibt es keine Bezüge zum ersten Roman. Die Geschichte spielt im östlichen Reich jenseits der Berge, wo es keine Menschen mit sonderbaren Gaben gibt, dafür aber "Monster", erkennbar an der buntleuchtenden Fellfarbe. Auch Menschen können solche Monster sein, die Titelheldin "Fire" ist so ein Monster. Ein Großteil des Romans besteht aus ihrer Selbstfindungsgeschichte und einem furchtbar langen Hin und Her in der Frage, ob sie ihr besonderes Talent - eine Art Gedankenlesefähigkeit - nun für den König einsetzen kann und soll oder ob sie das aus ethischen Gründen nicht darf. Ziemlich zäh. Nicht schlecht geschrieben, aber nach dem ersten Romen einfach nur enttäuschend.
Werner Koch: See-Leben I
Werner Koch: Wechseljahre oder See-Leben II
Werner Koch: Jenseits des Sees
Wenn ich 2011 nur diese Trilogie entdeckt hätte, das Jahr hätte sich gelohnt. Unglaublich, diese Sprache, diese scheinbar leichte, schwerelose Alltagsmagie, diese nachdenklichen und traurigen, aber nie niederdrückenden Töne. Ich weiß gar nicht recht, wie ich diese Bücher beschreiben soll. Die Handlung? Eigentlich gibt es kaum eine. Ein Mann verbringt seinen Urlaub am Bodensee und kommt irgendwann auf die Idee, dass er doch bleiben sollte. Sein Schreibtisch steht fortan auf der Wiese, seine Kollegen erklären ihn für verrückt, die Firma, der Betriebsrat, der Chef ... All das nur ein paar nebensächliche Zeilen. Der Rest sind Gespräche mit der Katze, mit sich selbst, mit den im See Ertrunkenen ... Begegnungen mit einem Menschen, der rückwärts lebt und immer jünger wird. Gedanken über Leben und Tod. Lest es selbst, wenn ihr mal was wirklich Gutes lesen wollt.
Ich habe die ersten beiden Bände zufällig im "Zum Mitnehmen"-Regal der Hildesheimer Volkshochschule gesehen und griff zu, weil ich irrtümlicherweise dachte, es müsse wohl um eine Seefahrergeschichte von der Nord- oder Ostseeküste gehen. Danach fuhr ich sie gut ein Jahr lang auf dem Autorücksitz spazieren, bis sie mir beim Aufräumen des Wagens wieder in die Hände fielen. Dann hat es noch ein paar Monate gedauert, bis ich sie aus dem Zwischenlager in der Garage barg. Als ich den ersten Band dann endlich aufschlug, war es mehr oder weniger Verzweiflung, weil ich nichts zum Lesen im Haus hatte ... Der Rausch packte mich bereits nach wenigen Zeilen, ich las beide Bände durch, ohne aufhören zu können, und besorgte mir sofort im Netz den dritten Teil. Also, noch einmal: Wenn ihr diese See-Bücher irgendwo seht, greift zu, es lohnt sich!
Gerhart Hauptmann: Die Ratten
Heinrich von Kleist: Penthesileia
Die beiden Büchlein habe ich kostenlos bekommen, als ich meine Prämienpunkte bei Libri einlöste. Beides Ausgaben der Reihe "Hamburger Lesehefte". Ich bin kein Fan der Reihe, Reclamhefte mag ich einfach lieber, ich schätze deren Kommentarteil sehr. Tja, es sind halt zwei Klassiker, was soll man dazu sagen, was nicht besser im Kindler oder bei Wikipedia steht? Die Ratten sind durch den Dialekt ziemlich anstrengend zu lesen und spielen in einem Milieu, in dem ich nicht unbedingt zu Hause bin. Penthesilea gehört zweifellos zu Kleists lebendigsten, am wenigsten steif geratenen Dramen. Auf jeden Fall eine interessante Interpretation der Geschichte um Achill und die Amazonenkönigin.
Peter Völker: Achilleus und Thetis
Und gleich nochmal eine Schilderung aus dem Leben des Helden Achill: Das Lyrik-Büchlein fand ich auf der Minipresemesse in Minden und konnte es nicht wieder aus der Hand legen. Es handelt sich um ein sehr vielseitiges und vielschichtiges Gesamtkunstwerk. Peter Völkers Gedichte über Achill und seine Mutter Thetis sind zweisprachig, griechisch-deutsch, das Büchlein enthält lyrische und epische Passagen, aber auch mit Noten versehene Lieder und zahlreiche Illustrationen. Eine faszinierende Zusammenstellung, mit sehr viel Liebe gemacht - man merkt, dass es aus einem Kleinverlag stammt, in dem jedes Buch noch persönlich in die Hand genommen wird.
Ulrike Stienen-Hoffmann: Verschollen
Andreas Dierks & Marina Carletto: Marinda und der verhexte Apfel / Marinda e la mela stregata
Erasmus von Rotterdam: Lob der Torheit (Reclam)
Das wollte ich schon seit 20 Jahren lesen ... Erasmus, der große Humanist und Zeitgenosse Luthers, wandelt auf den Spuren Lukians und zeigt, dass es auch auf katholischer Seite intelligente Leute gab - und viel schöner zu lesen als die bierernsten Lutheraner jener Zeit ist er allemal ;-)
Sören Kierkegaard: Entweder - Oder
Das Buch hatte ich zuletzt Mitte der 90er gelesen, ich brauchte es für meine Magisterarbeit. Es war ein schönes Wiedersehen. Vor allem ist mir jetzt erst klar geworden, wie ähnlich Kierkegaard stilistisch und inhaltlich den Jungdeutschen und Heine war. Das "Tagebuch des Verführers" kann auf jeden Fall im Regal zwischen den jungdeutschen Romanen stehen ohne aufzufallen.
Peter Høeg: Vorstellung vom 20. Jahrhundert
Phantastisch: Ein dänischer Gutbesitzer stellt fest, dass sein Domizil der Mittelpunkt der Welt ist, umgibt das Areal mit einer Mauer und hält die Zeit an. Eine Familiengeschichte der ganz besonderen Art - hochgradig realistisch und trotzdem phantastisch. Einfach großartig.
Antike Zaubersprüche. Übers. u. hrsg. v. Alf Önnerfors, gr./dt. (Reclam)
Nette Sammlung. Vielleicht mal brauchbar als Qelle für einen Fantasy-Roman, wenn ich einen fiesen Zauberspruch brauche.
Perry Rhodan Planetenroman 11: Tod über Derogwanien
Ziemlich konfuses Zeug. Diese Puppenwelt ist nicht ganz mein Fall. Aber recht lesbar.
Heldenlieder der älteren Edda (Reclam)
Das war seinerzeit das erste Reclamheft, das ich mir selbst bestellt hatte. Muss irgendwann Mitte der 80er gewesen sein. Die Buchhandlung ist inzwischen längst geschlossen. Ich hab's mir nochmal vorgenommen für meine Arbeit an einem neuen Roman über Valkrys, die Falkin. Die Übersetzung hat ihren ganz eignen Rhythmus, wenn ich auch bei den Götterliedern die Hansen-Übersetzung schöner finde. Ganz brauchbar.
Hörbuch
Klaus Bringmann: Cicero
Mark Brandis: Pilgrim 2000 I
Mark Brandis: Pilgrim 2000 II
Zu Teil II: Jahresrückblick April - Juni 2011
Zu Teil III: Jahresrückblick Juli - September 2011
Zu Teil IV: Jahresrückblick Oktober - Dezember 2011
© Petra Hartmann