Alexandra Walczyk: Die Gesichter der Steine
Indianer Lakota Alexandra Walczyk Traumfänger
"Die Gesichter der Steine" nennt Alexandra Walczyk ihr Jugendbuch über einen 14-Jährigen zwischen zwei Welten: Geboren als Lakota, mit zwei Jahren von einem weißen Ehepaar adoptiert, aufgewachsen in einer typischen US-Mittelklasse-Familie und nun auf der Suche nach ... ja, was eigentlich?
James Powell hat eigentlich alles, was man sich wünschen kann: Phantastische Eltern, Freunde, offenbar keine Schulprobleme, und dass es etwas dunklere Haut hat, scheint kaum jemandem noch bewusst zu sein. Eigentlich ein typischer amerikanischer Schuljunge, vollkommen integriert in die Welt der Weißen und ohne jegliche Erinnerung daran, wie die Welt seiner biologischen Eltern aussah. Früher war er wohl manchmal etwas blöde angemacht worden wegen seines Aussehens, doch das war lange vor Beginn dieser Geschichte.
Allerdings scheint James auf irgend eine Art unausgefüllt, reagiert manchmal unwirsch, möchte mit Indianern grundsätzlich nichts zu tun haben. Es ist schließlich seine Mutter, die fühlt, dass etwas fehlt. Und so arrangiert sie für den wenig begeisterten Sohn eine Begegnung: James soll seinen biologischen Vater, den Lakota-Indianer Frank Stands Alone, kennen lernen und eine Weile bei ihm in der Reservation leben. James ist entsetzt. Diese Menschen sind nicht "seine Leute". Nur widerstrebend lässt er sich auf das "Experiment" ein, vor allem, da seine Mutter ihm versichert, dass er es jederzeit abbrechen könne.
Pubertät ohne Wutausbrüche - Selbstfindung ohne Esoterik-Schnickschnack
Der Roman ist von erstaunlicher Schlichtheit und ohne jede künstliche Stimmungmache und Gefühlsduselei geschrieben. Beeindruckend ist gerade die wohltuende Unaufgeregtheit, mit der hier die Begegnung mit fremden und irgendwie doch vertrauten Menschen geschildert wird. Alexandra Walczyk schafft es, einen Teenager glaubwürdig darzustellen und dabei völlig auf Klischees wie Wutausbrüche, Schulprobleme, Streit mit Eltern, dumme Computerspiele, Jugendgangs, Alkoholexzesse, Drogen und Probleme mit Mädchen zu verzichten.
Die Autorin schildert eine Begegnung eines adoptierten Kindes mit seinem Erzeuger ohne irgendwelchen Herkunftsschwulst und ohne Beschwörung eines paramythischen "Rauschens der Gene". Sie zeigt, dass es nicht immer großer Identitätskrisen und bombastischer Selbstfindungstrips bedarf, um neues über sich selbst herauszufinden und bei sich selbst "anzukommen".
Sie schafft es, einen jungen Menschen in eine indianische Gesellschaft einzuführen, ohne dazu Klischees wie Träume, Visionen und Schwitzhüttenzeremonien bemühen zu müssen. Ja, am Ende landet James in der Schwitzhütte - doch dies nur als Besiegelung einer Entwicklung, die den gesamten Roman über ihren Lauf nahm, und um nun auch offiziell zu machen, was James selbst herausgefunden hat: Er will - auch - Teil der Familie seines Vaters sein, beziehungsweise: Er ist es bereits.
Vielleicht ist es etwas merkwürdig, einen Roman zu definieren über das, was er nicht ist. Aber gerade das macht die Stärke des Buches aus, seine Kraft und seinen Zauber: Die Unaufgeregtheit, Gelassenheit und Ruhe, die Selbstverständlichkeit, mit der sich hier ein kleines Wunder vollzieht: Das Zusammenfinden von Menschen und das Zusammenwachsen einer Familie.
Alexandra Walczyk schildert keine "heile Welt"
Dabei ist das, was James vorfindet, beileibe keine heile Welt. Es ist eine arme, harte und karge Welt. Er ist Nachkomme von Reservationsindianern. Gezeugt im Alkoholrausch von zwei jungen Menschen, die sich nicht einmal kannten. Sohn einer Frau, die bereits zwei Jahre später betrunken auf der Straße lag und von einem Unbekannten überfahren wurde. Sohn eines Mannes, der von Weißen seiner Familie weggenommen wurde und "umerzogen" werden sollte, der zur Zeit von James Adoption wegen Einbruchs im Gefängnis saß, der nun als indianischer Widerstandskämpfer gegen US-Behörden beim FBI aktenkundig ist. Und dennoch, oder gerade deshalb, ist das alles für James ein wichtiger Teil seiner Identität, den der 14-Jährige neu hinzugewinnt und annimmt.
Fazit: Ein ungewöhlicher, überraschender und trotz aller Stille und des Verzichts auf "Action" von außerordentlicher innerer Spannung getragener Roman. Ausgesprochen lesenswert, auch für ältere Leser.
Alexandra Walczyk: Die Gesichter der Steine. Bloß kein Indianer sein. Hohenthann, TraumFänger Verlag, 2011. 150 S., Euro 9,90.
© Petra Hartmann