Ulrich Wißmann: Skalpjagd
Ulrich Wißmann Lakota Indianer Navaho Traumfänger
In "Skalpjagd" erzählt Ulrich Wißmann von einer Mordserie in einem Lakota-Reservat. Ausgerechnet ein Navaho-Indianer soll als Ermittler bei den Lakota-Sioux arbeiten. Eine interessante Begegnung zweier Kulturen ...
Frank Begay ist eigentlich Officer der Navaho-Stammespolizei, wo er als Ermittler, Fährtenleser und oft auch als Mediator arbeitet. Doch nun fordert ihn das FBI an: Es geht um eine ungewöhnliche Mordserie im Land der Lakota. Bisher wurden drei Skalpierte aufgefunden. Angeblich möchte man statt eines Lakota-Fährtenlesers einen Ermittler "von außen", um zu verhindern, dass verwandtschaftliche und freundschaftliche Bande die Jagd nach dem Täter verhindern ...
Ein Navaho ermittelt in der Lakota-Reservation
Die Idee ist nicht schlecht. Statt eines weißen Fremdlings im Reservat, der die Kultur der Lakota nicht kennt und nicht versteht, ist hier der Held ein Navaho, der zwar auch fremd ist, aber eine eigene Spiritualität und Stammestradition mitbringt. Der Leser lernt somit zwei sehr unterschiedliche indianische Kulturen und Denkweisen kennen und erfährt durch den fremdvertrauten Blick des Polizisten sehr viel über beide Welten. Die Figur, der Charakter Frank Begays ist sehr glaubwürdig, er ist eine lebendige, authentische Persönlichkeit, die dem Autor sehr gut gelungen ist.
Leider kann man dies nicht von den anderen handelnden Personen sagen. Die meisten wirken wie leere Sockenpuppen, deren einzige Aufgabe es ist, Frank mit viel geschichtlichem und gesellschaftlichem Hintergrundwissen zu versehen. Dabei reden sie kaum wie lebendige Menschen, sondern eher wie Soziologiestudenten im ersten Semester, die ein Referat ablesen. Hier ein Beispiel aus einem Gespräch Franks mit dem Gelegenheitsarbeiter Harry Blue Sky:
"Als wir unsere Kinder bekamen, wohnten wir noch im Nordwesten von Pine Ridge, nahe dem Cheyenne River. Sie wissen vielleicht, dass in den südlichen Black Hills, bei Edgemont, seit 1951 Uran abgebaut wird. Millionen von Tonnen radioaktiver Abraum liegen dort am Cheyenne River offen herum und der Wind und der Fluss tragen die Radioaktivität zu uns. Wir wussten das damals nicht. Erst als unser Sohn und unsere Tochter krank zur Welt kamen, sind wir fortgezogen.
[...]
Ja, die Frauenorganisation Warn, Women of all red Nations, der meine Frau dann später auch beigetraten ist [...] hat 1979 auf Pine Ridge eine Gesundheitsstudie durchgeführt, nach der im fraglichen Gebiet achtunddreißig Prozent aller Schwangerschaften mit einer Tod- [sic!] oder Fehlgeburt endeten! Und sechzig Prozent der lebend geborenen Kinder waren behindert oder litten an Krankheiten! Sogar die staatliche Umweltschutzbehörde gibt zu, dass die Radioaktivitätswerte im Oberflächen- und Grundwasser weit über den erlaubten Grenzwerten liegen!" (S. 104)
So reden weder indianische Gelegenheitsarbeiter noch deutsche Germanistikprofessoren, wenn ihnen ein fremder Polizist Fragen in Bezug auf einen Mordfall stellt. Kaum glaubhaft, dass alle Gesprächspartner Franks auf kurze Verhörfragen eines Polizisten mit solchen gestelzten Sätzen antworten. Ganz zu schweigen von den Prozent- und Jahreszahlen, die jederzeit auf Abruf hervorgesprudelt werden.
Unglaubwürdige Häufung von Ritualen
Auch dass Frank in der sehr kurzen Zeit sofort von zwei Lakota mit einer Zeremonie zum "Verwandten" gemacht wird und dass auf den nur 180 Seiten der Geschichte außerdem noch eine Visionssuche und - mal wieder - das Ritual des Sonnentanzes geschildert wird, klingt eher nach Klischee und Pflicht-Topos. Die Dichte von Ritualen (die sogar für die Gliederung des Romans benutzt werden) ist ungefähr so wahrscheinlich wie eine historische Erzählung, in der der Held nach Nürnberg kommt, gleich am ersten Tage zufällig Albrecht Dürer begegnet und sich danach noch schnell bei Hans Sachs seine Schuhe besohlen lässt.
Dass der Mörder auf der Flucht mal eben zwischendurch seinen Sonnentanz absolviert und anschließend mit noch blutender Brust weiterfährt, dass er sogar zwei weitere Personen umbringt und skalpiert und danach noch in einem Kampf auf Leben und Tod mit den bösen Drahtziehern im Hintergrund ohne nennenswerte Schwächung durch die Wunden mitmischen kann, erscheint gleichfalls mehr als unglaubwürdig. Er dürfte nach einem solchen Ritual für einige Zeit außer Gefecht gesetzt sein.
Gute Idee - Mängel in der Ausführung
Einige orthografische und sprachliche Schnitzer sind gleichfalls ärgerlich. So hat die Pfeife einen "Stil" (Nein, Stil ist nicht das andere Ende vom Besen), und beim Spurenlesen wird der Leser belehrt, dass Weiße im Gegensatz zu Indianern mit den "Versen" auftreten (was mehr als ungereimt klingt).
Schade eigentlich. Aus der guten Idee und dem Fachwissen des Autors hätte sich wesentlich mehr machen lassen. Zwei bis drei Lektoratsdurchgänge und eine Überarbeitung hätten die Schwächen des Romans sicher beseitigen und die Stärken des Autors besser herausstellen können. Denn die Stärken sind durchaus vorhanden. Die Szene, in der Begay am Wounded Knee der Opfer des Massakers gedenkt und ein Tabakopfer darbringt gehört zu den stärksten nicht nur des Buches, sondern der modernen Indianerliteratur überhaupt. Hiervon hätte ich mir mehr gewünscht.
Fazit: Viel Hintergrundwissen, ungewöhnliche Begegnungen und ein faszinierender Protagonist, leider große Schwächen im Dialog und einige Logikmängel.
Ulrich Wißmann: Skalpjagd. Ein Navaho-Cop bei den Sioux. Thriller. Hohenthann: TraumFänger Verlag, 2010. 184 S. Euro 16,50.
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Tanz mit Schlangen
© Petra Hartmann