Michael Böhnhardt: Das Luftschiff des Doctor Nikola
Wurdackverlag Doctor Nikola Michael Böhnhardt Bücher - Abenteuer Guy Boothby
Doctor Nikola ist wieder da. Michael Böhnhardt, der Übersetzer der vier Nikola-Romane aus der Feder Guy N. Boothbys, hat nun selbst zur Feder gegriffen und eine Fortsetzung geschrieben. Es entstand ein abenteuerlicher, exotischer Roman, der den victorianischen Charme des Schurken durchaus erhält, dabei aber zugleich einen etwas moderneren Tonfall als Boothby anschlägt.
Eine Fortsetzung zu Doctor Nikola? Kein leichtes Unterfangen für den Autor. Immerhin sind seit dem Erscheinen von "Farewell, Nikola" (dt.: "Der Palazzo des Doctor Nikola") inzwischen 111 Jahre vergangen. Böhnhardt knüpft an das Ende des letzten Nikola-Romans von Boothby an, der seinen Helden zum Abschluss in ein chinesisches Kloster führte, wo Nikola zu bleiben gedachte. Dem Doctor war es schließlich bei den Mönchen zu langweilig geworden, und er taucht nun im russischen Bürgerkrieg im Jahre 1920 wieder auf.
Auf der Suche nach Doctor Nikola
In der Auseinandersetzung zwischen Russen, Chinesen und Mongolen macht sich der Herzog von Glenbarth mit einem Luftschiff auf, um Nikola zu suchen. An Bord: seine Frau Getrude, die einstige Geliebte Nikolas, und die todkranke Tochter der beiden, Annabelle, deren einzige Hoffnung nun in Nikolas magisch-medizinischen Fähigkeiten liegt. Doch Nikola hat eigene Pläne. Darin spielt Baron Klingenberg eine große Rolle, ein baltischer Adliger, erfahrener Kriegsmann und Kommandeur eines weißen Kosakenregiments, der sich durch Nikolas Illusionskunst zum Führer eines mongolischen Reiterheers aufschwingen kann. Nur was bezweckt Nikola damit?
Der "weiße Baron" als Vorbild
Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive Klingenbergs, für den es ein lebendes Vorbild gibt, wie Böhnhardt im Nachwort verrät: Baron Ungern-Sternberg, genannt der "weiße Baron", der seinerzeit als letzter Khan der Mongolei herrschte und sich auf dem Höhepunkt seiner Macht als Reinkarnation Dschingis Khans bezeichnete. Kein durch und durch sympathischer Mensch, aber für den Autor sehr gut geeignet als Inspirationsquelle und Stoffsammlung, an der es allerdings zu arbeiten galt: "Ungern-Sternberg gibt keinen brauchbaren Protagonisten ab und die Schurkenrolle war schon vergeben. Darum habe ich dem Baron das Diabolische abgestreift, seinen Sadismus, seine Grausamkeit, seinen Antisemitismus - und musste der Figur folgerichtig einen anderen Namen geben", heißt es im Nachwort.
Michael Böhnhardt hat gründlich recherchiert
Auch sonst hat Böhnhardt seinen Stoff sehr gründlich recherchiert. Berichte über angebliche Wunderheiler aus dieser Zeit, das Leben der Russen und Mongolen im Kriegsgebiet, die Schlachten und Handstreiche, die politischen Konstellationen und Verflechtungen, all das ist durch Quellen belegt und geschichtsgetreu erzählt. Fast scheint es, als sei Nikola schon immer in diesem Krieg vorhanden gewesen, und Böhnhardt habe die Spur des Doctor nicht gelegt, sondern nur aufgefunden und deutlicher herausgearbeitet, als sei hier etwas zusammengewachsen, was schon immer zusammen gehörte.
Lady Gertrudes erstaunliche Entwicklung
Sehr erstaunlich ist die Entwicklung, die Lady Gertrude unter Böhnhardts Regie nimmt. Das zarte, herzensgute Mädchen, das durch ihre unschuldsreine Seele einst Nikola zum Verzicht auf seine Rache bewegte, ist kaum wiederzuerkennen. Zwanzig Jahre an der Seite des Herzogs haben sie zu einer Frau reifen lassen, die jenseits aller hübschen und hilflosen Opfer-Frauchen, die Boothby gewöhnlich als Belohnung für den Helden bereithält, ihren Weg findet und ihren Kopf durchsetzt. Dass sie dabei ihre immer noch reichlich vorhandenen Reize ausspielt, Geschlechtsverkehr der härteren Gangart nicht ausgeschlossen, und auch schon mal über Leichen geht, macht sie zu einer hochinteressanten Figur, von der man gern mehr hören würde. Vielleicht gibt es ja von Böhnhardt irgendwann einmal einen Nikola-Roman mit einer Ich-Erzählerin, die Gertrude oder Annabelle heißt?
Fazit: Gut recherchierte und kenntnisreiche Darstellung eines fast vergessenen Krieges mit glaubwürdigen Figuren und einem wiederauferstandenen Serienhelden, der erstaunlich gut in diese Welt passt. Sehr spannend und lesenwert.
Michael Böhnhardt: Das Luftschiff des Doctor Nikola. Nittendorf: Wurdack Verlag, 2012. 220 S., Euro 12,95.
Weiterer Roman vom Michael Böhnhardt
Im dunklen Buch des Anbeginns
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© Petra Hartmann
danke für die Rezension.
Ein ganzer Roman aus Sicht einer Frau, und dann noch aus der Perspektive einer so schwierigen Figur wie Gertrude oder Annabelle? Ich weiß nicht, ob ich da der Richtige wäre ...
Viele Grüße
Michael