Jahresrückblick II: April bis Juni 2012
Jahresrückblick
Hier der zweite Teil meines Jahresrückblicks. In den Monaten April bis Juni habe ich recht wenig gelesen, eine große Hörbuch-Enttäuschung erlebt und mich ansonsten mit Phantastik, Lyrik und Kinderbüchern befasst.
April
Andrea Tillmanns: Mimis Krimis # 1: Mimi und das gestohlene Foto
Michael K. Iwoleit: Die letzten Tage der Ewigkeit
Sechs Science-Fiction-Geschichten mit zum Teil sehr eigenwilligen Ansichten über die Welt von morgen. Sehr interessante Schilderungen über den künftigen Wissenschaftsbetrieb und philosophische Betrachtungen. Zum Teil etwas anstrengend zu lesen, aber nicht schlecht. Kein Buch für zwischendurch, sondern eines, das viel Aufmerksamkeit verlangt und verdient.
Antonia Michaelis: Jenseits der Finsterbach-Brücke
Geschichte eines Jungen aus einer armen Bergarbeiter-Familie in einer dreckigen Stadt, der es wagt, über die Finsterbach-Brücke zu gehen. Auf der anderen Seite der Schlucht findet er eine traumhafte Welt, in der ein anderer Junge lebt. Beide werden Freunde und müssen den Kampf gegen ein furchtbares Vogelmonster aufnehmen. Ein seltsamer weißer Ritter hilft ihnen dabei. Aber ist der Fremde wirklich einer von den "Guten"? Antonia Michaelis versteht es, Zauberwelten und bittere Realität auf eine fast magisch-natürliche Weise zu verbinden. Auf jeden Fall mehr als eine Kindergeschichte. Lesenswert.
Hörbuch
Kai Meyer: Arkadien fällt
Eine einzige Enttäuschung. Kai Meyer hatte in Arkadien erwacht eine großartige, zauberhafte Welt aufgebaut, hatte sich in Arkadien brennt noch um das Zehnfache gesteigert und einen atemberaubenden Thriller hingelegt, und jetzt das. Die Kulisse des sagenhaften Arkadien fällt in sich zusammen, als habe jemand einfach nur die Luft rausgelassen. Der großartig angelegte Tempel entpuppt sich als banaler Bodensatz eines Stausees. Die dämonischen Mafiapaten schleichen erschreckt davon, als ein Haufen Reporter einfliegt. Vieles wird einfach nur notgedrungen und simpel zu Ende gebracht, weil eben die Trilogie zu Ende ist. Schade. Kai Meyer hatte sich die Latte selbst mit dem zweiten Teil unvorstellbar hoch gelegt. Dieser Sprung blieb darunter. Schade.
Mai
Tomas Tranströmer: Sämtliche Gedichte
Beeindruckend, diese Sprache. Bis aufs Höchste verdichtet und offenbar jedes Wort eine halbe Ewigkeit abgewogen. Bilder, über die man noch lange nachdenkt. Es tut gut mitzuerleben, wie jemand tatsächlich mit und an der Sprache arbeitet. Große Hochachtung vor dem Übersetzer. Viele der Gedichte habe ich Tage später noch einmal zur Hand genommen, manche auch mehrfach noch einmal vorgeholt. Keine Lektüre für zwischendurch, man braucht sehr viel Zeit dazu. Aber es lohnt sich.
Andrea Tillmanns: Die Jagd nach der römischen Formel
Lokaler Kinderkrimi (Ermittlungsort: Zülpich) um ein Fundstück, das beim Umgraben eines Gartens nach oben kommt: Offenbar ist die seltsame Steintafel gar nicht so uninteressant, und prompt wird sie geklaut. Drei Kinder nehmen die Ermittlungen auf. Die Geschichte ist für Kinder ab 9 Jahre gedacht, spannend aber gewaltfrei, dabei gut geschrieben und lehrreich. Das Format (Crago-Taschenheft) ist für Hosentaschen geeignet (wenn auch nicht sehr stabil). Auch als kleines Geschenk sehr brauchbar.
Fabienne Siegmund: Sternenasche
Sueton: Nero (Reclam)
Schöne zweisprachige Ausgabe über den irren Kaiser ... Man hört im Hintergrund förmlich Peter Ustinov singen. Für Alt-Historiker ein Muss. Für alle anderen ein gut zu lesendes, spannendes Stück Geschichte. Sueton liest sich auch um einiges lockerer als Tacitus.
Carla Berling: Vom Kämpfen und vom Schreiben
Ja, Carla Berling hat recht: Schreiben hat viel mit Kämpfen zu tun, und man muss für seine Romane verdammt viel kämpfen. Fast jeder Schreibende dürfte, wenn er nur lange und ernsthaft genug dabei ist, ähnliche Erfahrungen gemacht haben: Falsche Freunde, Kollegen, die einen sitzen lassen, gute und schlechte Verleger und die Tücken der Schreibmaschinen oder heutzutage der Schreibprogramme. Köstlich und irgendwie typisch schon der Start mit der defekten Schreibmaschine, bei der das "e" hakte. Bei mir war's damals ein selbstgeschriebenes Textverarbeitungsprogramm, das mein Vater und ich in einem Urlaub Mitte der 80er in Dänemark ausgeklügelt hatten: Nach einer Stunde angestrengten Tippens stellte sich heraus, dass der Kasten das Komma als Steuerzeichen interpretierte. Er verschluckte jedesmal das Wort vor dem Komma, machte dann einen Absatz, wiederholte den Satz nach dem Komma zweimal und machte dann weiter. Mein Manuskript sah aus wie moderne Lyrik, und es war der Optik auch nicht gerade zuträglich, dass ich von da ab den Lattenzaun # anstelle des Kommas benutzte. Das Manuskript ging niemals zur Post ... Also, falls ihr selbst schreibt, ihr werdet in Carla Berlings Buch viel Bekanntes und Selbsterlebtes wiederfinden. Und falls ihr noch nicht schreibt aber mit dem Gedanken spielt, ein Buch zu verfassen, solltet ihr auch mal einen Blick hineinwerfen. Nur damit ihr hinterher nicht sagen könnt, es hätte euch keiner gewarnt. ;-)
Andrea Tillmanns: Lena lernt zaubern
Stig Ericson: Kleiner Wolf und die sprechenden Zeichen
Kinderbuch über einen Indianerjungen, der nach seiner Ankunft in der Reservation zur Schule gehen und Lesen lernen soll. Zufallsfund in der Bibliothek. Nicht schlecht, lässt sich gut lesen.
Ein Augenblick für Zwei. Gedichte
Hörbuch
Malcolm Max: Venedig sehen und sterben
Juni
Miriam Pharo: Section 3/ Hanseapolis: Schlangenfutter
Ein Mitbringsel von der Homburger Buchmesse. Ich hatte das Vergnügen, Miriam lesen zu hören, und konnte natürlich nicht ohne ein eigenes Hanseapolis-Buch nach Hause gehen. Die High-Tech-Zukunftswelt, in der ihr Ermittler-Duo agiert, hat es in sich: Nach einer Flutkatastrophe sind Hamburg und Lübeck zusammengelegt worden, ein Damm schützt die Metropole vor erneuten Besuchen des Meeres. Im Jahr 2066 müssen eine junge Polizistin und ihr etwas abgebrühterer Kollege, der von der neuen Begleitung zunächst gar nicht so erbaut ist, einen ziemlich ekligen Mord aufklären. Das Ganze nimmt immer größere Ausmaße an, schließlich muss eine Spezialeinheit übernehmen ... Die Geschichte ist spannend erzählt, verblüfft immer wieder durch neue Details aus der Zukunftswelt und erinnert durch die kleinen erläuternden Infos, die immer wieder in den Text eingeblendet werden, an die Kommentare des sagenhaften Reiseführers aus Douglas Adams' Anhalter-Bänden. In der Mitte gab es ein kleines Logikloch, als der Ermittler Elias plötzlich während einer Razzia in einem Kellergewölbe verschwindet und dann am Anfang des zweiten Abschnitts lange erklären musss, was er in der Zwischenzeit erlebt hat. Doch das ist der Spannung und dem Lesevergnügen nicht abträglich. Ich werde mir beizeiten den nächsten Band holen.
Ole Lund Kierkegaard: Gummi-Tarzan
Dänischer Kinderbuchklassiker, den ich in meinem Dänisch-Volkshochschulkurs lesen und übersetzen durfte. Hat sehr viel Spaß gemacht. Humorvoll, frech und fantasievoll erzählt, einfach schön. Wie haben uns schlappgelacht über den Faustschlag auf den Kopf des Affenkönigs oder über die verunglückte Fahrradfahrt und den Weitspuckwettbewerb. Nur die Moral von der Geschicht', das Ende ... Naja, so gehen solche Geschichten wohl immer aus.
Andrea Tillmanns: Mimis Krimis #1: Mimi und das chinesische Rätsel
Uwe Timm: Der Schatz auf Pagensand
Geschichte einer Jungenbande, die mit einem abenteuerlichen, wracken Kahn die Sandbänke in der Hamburger Elbmündung erkundet. Die Sage von Störtebeckers Schatz hat schon die Phantasie vieler Kinder und Erwachsener beflügelt, doch nun ist einer der Schüler ganz sicher, dass er das Rätsel gelöst hat: Auf Pagensand muss der Schatz liegen. Unterwegs begegnen sie Stürmen, Schweinen, Verbrechern, der Polizei und einem beinahe waschechten König. Und es findet sich tatsächlich so etwas wie ein Schatz. Das Buch ist nicht zu Unrecht in die Junge Bibliothek der SZ aufgenommen werden. Ein einfach erzähltes, völlig ohne phantastische Elemente auskommendes Abenteuerbuch, das man schon zu den Jugendbuch-Klassikern rechnen kann.
Helmut Ballot: Das Haus der Krokodile
Wer als Kind die Serie mit Tommy Ohrner gesehen hat, hat bei dem Titel bestimmt schon Bilder vor den Augen, gelle? Beim Stöbern in der Bibliothek habe ich jetzt zufällig das Buch dazu entdeckt. Die Krokodilsbilder, das Mädchen, das ins Treppenhaus stürzte, und immer wieder diese Augen, die alles beobachten. Gruselig, stimmungsvoll, eine unvergessliche Atmosphäre. Beim Lesen des Buchs stellte sich das Gefühl von damals wieder ein. Okay, wenn man den Text vor Augen hat und das Tempo ein wenig herausgenommen ist, fallen einem auch gewisse Logikmängel und Ungereimtheiten auf. Aber so war die Zeit damals einfach.
Max von der Grün: Die Vorstadtkrokodile
Noch eine Krokodilsgeschichte aus meiner Jugend. Nach dem "Haus der Krokodile" und dem Gerede um die Neuverfilmung der "Vorstadtkrokodile" wollte ich es einfach wissen und zog mir den Kinderbuch-Klassiker nochmal rein. Nicht schlecht, ich fürchte bloß, dass heutige Kinder mit dem Buch gar nichts mehr anfangen können. Irgendwie tun die mir leid.
Charlotte Engmann: Die Rechnung wird mit Blut bezahlt
Haiku. Japanische Gedichte. Hrsg. v. Dietrich Krusche
Schöne Sammlung, viele Klassiker, sehr sachkundiges Nachwort. Mein besonderer Liebling ist Issa. Der lässt sich ja auch, wie es heißt, am besten in andere Sprachen übersetzen.
Jahresrückblick I: Januar bis März 2012
Jahresrückblick III: Juli bis September 2012
Jahresrückblick IV: Oktober bis Dezember 2012
© Petra Hartmann