Geheimnisvolle Geschichten: Steampunk
Erik Schreiber Bücher - SF Saphir im Stahl Steampunk
Dem noch relativ jungen Genre des Steampunk widmet sich die zweite Anthologie der "Geheimnisvollen Geschichten" im Verlag Saphir im Stahl. Herausgeber Erik Schreiber hat 14 Storys in dem Buch versammelt, die sich auf unterschiedliche Weise mit Dampfkraft-Fiktionen im historischen Gewand auseinandersetzen.
Ähnlich der vielbeachteten ersten deutschsprachigen Steampunk-Anthologie "Von Feuer und Dampf" der Autorengruppe Geschichtenweber liegt auch dieser Anthologie ein mehr oder weniger geschlossener Alternativ-Weltentwurf zugrunde. Wir befinden uns im Europa der Bismarckzeit, die Geschichten spielen zumeist in Deutschland, einige in Prag. Der "Eiserne Kanzler" rüstet für einen neuen Krieg, Prag liegt unter einem magischen Schutzschirm und widersteht dem deutschen Reich, Italien ist ein vom Papst regierter katholischer Staat, wobei der Papst selbst offenbar nur eine Marionette in der Hand seiner bereits zu Lebzeiten heilig gesprochenen Geliebten ist.
Das Deutsche Steampunk-Reich rüstet auf
Einen großen Raum nehmen Gedanken um die Aufrüstung des Deutschen Reichs ein. So erzählt Jörg Olbrich die Geschichte eines Erfinders, der Bismarck eine neuartige und noch durchschlagendere Dampfkanone anbietet und dabei vom Kanzler skrupellos betrogen wird. Etwas schwergängig ist die Story "Im Schatten des Pulverturms" ausgefallen, in der ein als Schundroman getarnter Geheimdienstbericht in einem Prager Café übergeben wird. Die Lesung des Schundromankapitels, das eine geheime Zusammenkunft verschiedener deutscher Interessenvertreter schildert, wird immer wieder vom Lesenden und Überbringer durch kleine Kommentare unterbrochen, ansonsten ist es einfach nur eine Gesprächsrunde, in der Soldaten, Wirtschaftsbosse und Kirchenleute sagen, dass sie bereit sind für den Krieg und was sie dazu beitragen können. An sich keine schlechte Idee, aber der Steampunk-Bezug ist so gering, dass ich ihn nicht zu entdecken vermochte.
Eiserner Bismarck befielt: "Volldampf!"
Sehr von Dampfkraft durchdrungen dagegen ist die Geschichte "Volldampf" von Andreas Zwengel: Bismarck versucht, mit einem Zug nach Prag zu fahren, um dort Verhandlungen über den magischen Schutzschirrm der Stadt zu führen. Die streng geheime Fahrt bleibt jedoch senen Gegnern nicht verborgen. Ein zweiter Zug nimmt die Verfolgung auf, zwei starke Dampfmaschinen liefern sich ein tödliches Wettrennen. In dieser Situation bleibt dem eisernen Kanzler - dessen Beinamen Zwengel in dieser Geschichte wörtlich nimmt - nur ein einziger Befehl: "Volldampf".
Pflicht für Steampunker: ein Zeppelin
Ein Pflicht-Element jeder Steampunk-Welt ist der Zeppelin. Und tatsächlich gibt es ein spannendes Luftschiffabenteuer von Ju Honisch. "Innovationen" ist die Geschichte einer flüchtigen Elfenprinzessin, die wesentlich lieber Mechanikerin geworden wäre als einen spitzohrigen Trottel zu heiraten. Im Maschinenraum eines Luftschiffs findet sie Unterschlupf - bei einem riesigen Zwerg.
Gelungen ist auch die zweite Zeppelin-Geschichte, obwohl diesmal das Luftschiff am Boden bleibt. Max Pechmann schildert ein fliegendes Bordell, in dem wundersame Aufziehpuppen Freier aus den höchsten Gesellschaftskreisen verwöhnen. Doch Puppe Mimi hat ein lebensgefährliches Zusatzprogramm. "Tullas Traum" von Maximilian Weigl schließlich berichtet von einem Dorf und einer Luftschifffahrt der explosiveren Sorte ...
Durchschlagender Dampfboxer "Steampunch"
Wahrscheinlich wird jeder Leser in dem Buch seinen eigenen Favoriten finden. Für mich ist die schönste und gelungenste Erzählung "Steampunch" von James Lovegrove. Sie spielt im englischen Boxermilieu, in der neuen Zunft der Dampfboxer. Ein Mechanikerteam erschafft den großartigsten aller Dampf-Kampfroboter der Welt. Steampunch eilt von Sieg zu Sieg und streckt einen dampfbetriebenen Gegner nach dem anderen in den öligen Sand der Arena. Die Massen jubeln ihm zu. Doch das konservative Lager wartet nur auf seine Chance, dem verhassten, neumodischen Sport den Garaus zu machen. Eine Geschichte, in der sich Liebe zur Maschine und Erzählkunst vereinen.
Bezaubernd, klassisch, dampflos
Ebenfalls wunderschön, an klassische Novellen erinnernd, ist die Geschichte "Vazlav Míhalik korrumpiert und bestochen" von Georg Pletteberg. Großartig erzählt, aber leider - abgesehen von einer am Rande erwähnten Dampfdroschke, die problemlos auch eine gewöhnliche Droschke hätte sein können, und eines ebenfalls am Rande erwähnten und ersatzlos streichbaren über der Stadt schwebenden Polizeizeppelins - absolut keine Steampunk-Geschichte. In jeder anderen Anthologie wäre dieser Beitrag ein absolutes Glanzlicht gewesen. Schade.
Fazit: Großartige Geschichten, jede einzige ein kleines Kunstwerk. Bei einigen wenigen, nicht den schlechtesten, ist allerdings der Steampunk-Bezug etwas dünn. Ansonsten unbedingt empfehlenswert.
Geheimnisvolle Geschichten: Steampunk. Hrsg. v. Erik Schreiber. Bickenbach: Saphir im Stahl, 2011. 205 S., Euro 15,95.
© Petra Hartmann