Jules Verne: Der grüne Blitz
Jules Verne Klassiker
Ja! Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass BoD, CreateSpace und eBook-Selfpublishing-Plattformen nicht alles sein können, dann ist es dieses Buch. Was dem Leser hier an Ausstattung und Handwerkskunst geboten wird, zeigt ganz deutlich, dass auch im 21. Jahrhundert noch Platz für Verlage ist. Verlage, die etwas mehr bieten als billig hergestellte Massenprodukte.
Die Rede ist von dem Roman "Der grüne Blitz", erstmals erschienen 1882, der als der einzige Liebesroman Jules Vernes gilt. Sonst eher für seine Science-Fiction- und Abenteuerromane bekannt, schuf der Autor hier eine romantische Geschichte um eine junge Dame aus Schottland, die von ihren beiden Onkeln verheiratet werden soll, aber vorher unbedingt noch ein Naturphänomen beobachten möchte: den grünen Blitz, den man nur unter ganz besonderen Bedingungen zu Gesicht bekommt. Es handelt sich um den allerletzten Strahl der Sonne, wenn sie im Meer versinkt, wobei der Himmel wolkenlos und völlig frei von Nebel sein muss. Wenn dies alles erfüllt ist, so erscheint dieser letzte Lichtblitz nicht rötlich, sondern grün.
Dieses Ereignis, das sich offenbar tatsächlich in seltenen Fällen beobachten lässt (der Verfasser des Nachworts berichtet, er selbst habe den grünen Blitz zweimal in seinem Leben gesehen), verbindet Jules Verne mit einer frei erfundenen Legende aus den Highlands: "Der Blitz bewirkt, dass derjenige, der ihn gesehen hat, sich in Gefühlsdingen nicht mehr irren kann; sein Erscheinen vernichtet Illusionen und Lügen; und wer das Glück hatte, ihn einmal zu erblicken, der kann in seinem eigenen Herzen und in dem der anderen lesen."
Die junge Helena Campbell ist also fest entschlossen, diesen Blitz zu beobachten, bevor sie sich von ihren Onkeln verheiraten lässt. Eine Schiffsreise zu diversen schottischen Inseln und Beobachtungsplätzen ist die Folge. Sie reist zusammen mit ihren beiden Vormündern und Onkeln Sam und Sib. Die beiden sind ein freundliches und skurriles Brüderpaar, nicht Zwillinge aber doch nicht einmal zwei Jahre auseinander und so vollkommen aufeinander eingespielt, dass sie sich nicht nur eine Schnupftabacksdose teilen, sondern auch gegenseitig ihre Sätze vollenden und ihre Dialoge über Helenas Zukunft sich beinahe wie ein Monolog anhören.
Unglücklicherweise versuchen die Brüder auf der Reise, sie ihrem Zukünftigen, dem unsäglichen Aristobulos Ursiclos, näher zu bringen, der sich, bramarbassierend und ungeschickt immer wieder zur Unzeit ins Gedächtnis ruft. Dass dieser Ursiclos nicht der rechte Mann ist, Helenas Herz zu gewinnen, macht Verne bereits bei der ersten Begegnung klar. Er stellt ihn dem Leser folgendermaßen vor: "Er war eine 'Persönlichkeit' von achtundzwanzig Jahren, die nie jung gewesen war und wahrscheinlich nie alt sein würde. [...] Ein Bartkranz umrahmte seine Wangen und sein Kinn, was ihm ein affenähnliches Antlitz verlieh. Wäre er ein Affe gewesen, wäre er ein schöner Affe gewesen - vielleicht der, welcher der Stufenleiter der Darwinisten fehlt, um den Anschluss der Tierwelt an die Menschenwelt zu schaffen."
Aristobulos ist einer der trockensten und zugleich dümmsten Menschen, die es jemals dazu gebracht haben, zwischen zwei Buchdeckel zu gelangen. Fast überall, wo er auf die schöne Helena trifft, schwatzt er ihr plattes naturwissenschaftliches Zeug vor. Immerhin verdanken wir ihm eine naturwissenschaftliche Erklärung des optischen Phänomens, das Helena sehen möchte. Dass er selbst auf sie ausgesprochen widerwärtig wirkt und dass sie es gar nicht leiden mag, wenn er ihren romantischen Blitz derart prosaisch zu deuten versucht, bemerkt er nicht. Dafür ist er es, der fast ständig dazwischenplatzt und durch seine Ungeschicklichkeit immer wieder dafür sorgt, dass, gerade wenn Helena endlich einen perfekten Sonnenuntergang erlebt, die Sicht verstellt ist.
Zum Glück findet sich auf der Suche nach dem grünen Blitz auch ein ganz phantastischer Mann und Lebenspartner für Helena, den sie bei einer Krocketpartie auch sehr energisch auf sich aufmerksam macht.
Dass sich ein Erzähler wie Verne nicht auf irgendwelche netten rosafarbenen Herzschmerzgeschichten einlässt, dürfte klar sein. Eine abenteuerliche Suche, die schottische Küste, Meeresbrandung Schiffbrüche, einsame Inseln, Ossian-Deklamationen, alte Sagen und Lieder, Stürme und ein großartiger Showdown in der Grotte des sagenhaften Fingal - was will man mehr?
Die Übersetzung von Cornelia Hasting behält einen etwas "älteren" Tonfall bei, ohne dadurch aber gekünstelt oder steif zu wirken. Das Nachwort von James Hamilton-Paterson erläutert unter anderem die physikalischen Hintergründe und erzählt auch etwas zum Film "Das grüne Leuchten" von Éric Rohmer.
Die Ausgabe des Verlags mare besticht aber nicht nur durch eine ganz gute Geschichte, sondern vor allem durch die Aufmachung. Die solide in grünes Leinen gebundene und mit ebenfalls grünem Lesebändchen versehene Ausgabe enthält die großartigen Stiche der Erstausgabe, in der die romantischen und dramatischen Ereignisse der Erzählung festgehalten sind. Dazu gibt es einen stabilen Schuber. Ein Buch, das man immer wieder in die Hand nehmen und bestaunen möchte.
Fazit: Ein Schmuckstück für jede Bibliothek. Dieser grüne Blitz bringt bibliophile Augen zum Leuchten.
Jules Verne: Der grüne Blitz. Aus dem Französischen von Cornelia Hasting. Mit einem Nachwort von James Hamilton-Paterson. Hamburg: mareverlag, 2013. 287 S., Euro 26.
© Petra Hartmann