Maraba: Gedichte vom höchsten Ast des Kirschbaums
Lyrik Haiku Maraba
"Gedichte vom höchsten Ast des Kirschbaums" nennt der Dichter Maraba seinen ersten Lyrikband. Es handelt sich um Kurzpoesie nach japanischem Vorbild, vor allem die Formen des Haiku und Senryu haben es dem Verfasser angetan. Das Werk ist in Eigenregie als Kindle-eBook veröffentlicht worden, weitere Lyrikbände werden angekündigt.
Maraba, der mit bürgerlichem Namen Marcel Raul Balcu heißt, ist unter Freunden des Haiku und Senryu kein Unbekannter. Unter anderem war er Mitbegründer der Lesereihe "Das literarische Sofa" in München, veröffentlichte Gedichte bei diversen Wettbewerben und zeigt seine Werke seit der Jahrtausendwende auf seiner Homepage www.maraba.de.
Die im Buch enthaltenen 77 "Gedichte vom höchsten Ast des Kirschbaums" sind allesamt von japanischen Formen inspiriert. Wobei es dem Dichter nicht unbedingt darum geht, das klassische Haiku-Schema (drei Zeilen; 5-7-5 Silben) sklavisch zu erfüllen. Auch werden Liebhaber des Haiku sich manchmal fragen, ob die stark mit philosophischen Fragestellungen oder eigenen Empfindungen aufgeladenen Gedichte tatsächlich "echte" Haikus sind. Sie sind es nicht, macht der Verfasser bereits im Vorwort klar. Viele der Dreizeiler seien als Senryu aufzufassen. Eine Gedichtform, die mit dem Haiku zwar den Aufbau, nicht aber den eher "objektiven" Inhalt und den Blick auf die Natur gemeinsam hat.
Sehr klassisch etwa kommt das Eingangsgedicht daher, in dem es heißt:
Des Baumes Schatten
über dem Wasser des Teichs.
Die alte Brücke.
Doch schon das folgende Kurzgedicht spielt eher ins Senryuhafte:
Heute gehe ich,
getragen durch das Leben
wie ein Blatt im Wind.
Manches freilich wirkt etwas zu stark moralisierend und pädagogisierend. Etwa wenn das lyrische Ich auf das Blumenpflücken verzichtet:
Nur diese Blume
hier zu schaffen ist ein
Werk von Äonen.
Ich pflücke sie nicht für dich
und schenke dir ihr Leben.
Hier hätte der Autor den Zeigefinger besser unten gelassen. Zu viel Ermahnung schadet der Lyrik.
Auch mit der Frage, ob man als Nicht-Japaner überhaupt Haiku schreiben kann, hat sich Maraba auseinander gesetzt. Vieles, etwa den sehr umfangreichen Symbolgehalt, die ein einziges Wort haben kann, den kulturellen Kontext und die immer mitschwingende Jahrhunderte alte Tradition, die mit jeder Silbe transportiert wird, ist im Deutschen schwer nachzuahmen. Auch die kurzen Wörter der japanischen Sprache, die für diese Kurzgedichte geradezu prädestiniert scheinen, haben im Deutschen oft keine Entsprechung, weshalb der Autor durchaus dafür plädiert, auch mal auf das strenge Silbenschema zugunsten des Inhalts zu verzichten.
Ein großer Pluspunkt des eBooks ist überhaupt die intensive theoretische Auseinandersetzung mit den Formen und der Versuch, den Leser mitzunehmen in die Geschichte der einzelnen Gedichtarten. So sind im Anhang Erläuterungen zu Waka, Tanka, Haiku und Senryu enthalten, ihre Herkunft und Entwicklung wird geschildert, und der Leser erhält auch einen kurzen Einblick in die Zusammenhänge von Haiku und Zen.
Fazit: 77 Gedichte, darunter Haiku, Senryu und Tanka, sehr verdichtete Aussagen, oft mit philosophischem Hintergrund oder persönlichem Empfinden, von einem Autor, der sich viel Gedanken über Geschichte und Tradition der von ihm verwandten Formen gemacht hat. Ergänzt durch Informationen zum Hintergrund der japanischen Lyrik. Lesenswert.
Maraba: Gedichte vom höchsten Ast des Kirschbaums. Haiku, Senryu, Tanka. Kindle Edition, 2014. Etwa 98 Seiten, Euro 3,34.
© Petra Hartmann